Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag

Katrin Rothe
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag – die Mainzer wird geräumt
Neue Visionen – Unabhängiger Film Verleih 2010
DVD
12,99 Euro

83351Kurz nach der Wende, im Januar 1990, wurden die ersten leer stehenden Häuser in Ostberlin besetzt. Hintergrund dieser Besetzungen waren die extreme Wohnungsknappheit in West‑Berlin einerseits und andererseits die Aufbruchstimmung in Ost‑Berlin und die dort herrschenden unklaren Besitzverhältnisse bezüglich der zahlreichen maroden und unbewohnten Häuser. Der Anschein eines rechtsfreien Raumes und völlig neuer Perspektiven zog sowohl Westberliner aus der autonomen Szene als auch nonkonforme ostdeutsche Jugendliche an.

Im Juni 1990 gab es bereits über 120 besetzte Häuser, die als legal galten, im Ostteil der Stadt, auch die Häuser in der Mainzer Straße im Bezirk Friedrichshain. Als zum Ende des Juni ein Stichtag gesetzt wurde, ab dem Neubesetzungen nicht mehr gestattet würden, änderte sich zunächst nicht viel an dieser Situation. Fünf Monate später begann die Stadt jedoch mit Räumungen. Dass die Bewohner_innen die Rücknahme ihrer selbst geschaffenen Freiräume nicht widerstandslos hinnehmen würden, war klar. Trotz der Versuche sowohl der Besetzer_innen als auch der Bürgerbewegung und einiger Politiker, die Situation mit friedlichen Verhandlungen zu klären, wurde die Mainzer Straße im November 1990 gewaltsam geräumt.

Diesen Zeitpunkt nimmt Rothes Film zum Anlass, 20 Jahre später vier der ehemaligen Hausbesetzer aus ihrer Perspektive über die damaligen Ereignisse erzählen zu lassen. Bastian, heute Wissenschaftlicher Assistent, und der Performance‑Künstler Oswaldt kamen aus dem Westen, der Schriftsteller Ahne und Bo, der als Industrie‑Fassaden‑Kletterer vorgestellt wird, aus dem Osten. Alle vier waren aktiv an den Hausbesetzungen beteiligt und haben die Räumungen hautnah miterlebt. Der Film zeigt sie in ihren heutigen Wohnungen und lässt sie abwechselnd zu Wort kommen.

Ebenfalls interviewt wurde die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. Das vollständige Interview mit ihr ist auf der DVD als Bonus‑Track enthalten, im Hauptfilm wurden nur einige Sequenzen davon eingefügt, ebenso wie einzelne Aussagen des Fotografen Harald Hauswald, dessen beeindruckende Aufnahmen der Räumungen als Illustrationen der damaligen Ereignisse dienen. Wortbeiträge gibt es zudem von dem grünen Rechtspolitiker Dirk Behrendt, der als relativ unbeteiligter Zuschauer inhaltlich jedoch wenig zu diesem Film beizutragen vermag. Abgerundet wird die Dokumentation durch kleine Zeichnungen und Zwischentitel, die den Verlauf des Filmes strukturieren.

Lebendig wird das Thema durch die Präsenz und den Tonfall der vier sympathischen Erzähler, von denen jeder einzelne mit seiner Eigenwilligkeit und persönlichen Detailerinnerungen die Geschehnisse von vor zwanzig Jahren wieder aufleben lässt, ebenso wie Bärbel Bohley, die im September 2010, ein halbes Jahr nach den Aufnahmen, verstorben ist. Osswaldt verlor nach der Räumung, die an seinem Geburtstag begann, seine pazifistischen Ideale, Ahne begriff, in welchem Ausmaß eingeschleuste Provokateure zu der gewaltsamen Eskalation beigetragen hatten, für Bo erschien das Vorgehen der Polizei wie eine Kriegstaktik und Bastian brauchte noch lange Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten.

Rothe ist es gelungen, einen, trotz aller thematisierten Gewalt, freundlichen Film über die Ostberliner Hausbesetzerszene zu schaffen, ohne die Dramatik der damaligen Ereignisse herunterzuspielen oder unnötig Nostalgie heraufzubeschwören. Bedauerlich ist nur, dass keine ehemalige Hausbesetzerin zu Wort kam. Insgesamt aber absolut sehenswert, nicht nur für Leute, die damals dabei gewesen sind.

Als weiteren Bonus-Track enthält die DVD den Spielfilm Die Ex bin ich. Das Setting passt zu der obigen Dokumetenation: Wir befinden uns in einem besetzen Haus in Ost‑Berlin zur Nachwende‑Zeit. Die Welt sollte sein wie die riesige, geklaute Disco‑Kugel in Berts Zimmer. Tatsächlich zeigt sich hier kaum noch etwas von dem Glanz des kurzen Sommers der Anarchie im Jahr 1990. Bert, der im Zuge der Häuserräumungen ins Gefängnis kam und danach sein Leben draußen „auf Bewährung“ hätte meistern sollen, hat sich umgebracht.

Diese Nachricht bewirkt das Zusammentreffen seiner drei Exfreundinnen, von denen jede auf ihre Art versucht, Berts Freitod zu bewältigen. Die drei jungen Frauen zeigen plakativ unterschiedliche Charaktere. Die brave, konventionelle Jura-Studentin Sandra (Friederike Kempter) aus West‑Berlin, die versponnene Möchtegern‑Künstlerin und Mit‑Besetzerin Anne (Maria Kwiatkowsky) aus dem Osten und die resolute Kneipenwirtin Britt (Heike Warmuth) aus Hildesheim begegnen sich im besetzten Haus, in dem Bert gewohnt hat. Sie durchsuchen seine Habseligkeiten und versuchen, die Fragen zu klären, die sein unerwarteter Tod aufgeworfen hat.

Rückblenden in Form von Zeichentricksequenzen, in denen Bert quasi aus dem Jenseits und als Ich‑Erzähler die Vorgeschichte aufrollt, die zu seiner Verzweiflungstat geführt hatte, zeigen, wie in der Hausbesetzer‑Szene libertäre Ideale und profane Instandsetzungsrealität aufeinander prallten. Während sich die drei Exfreundinnen in der laufenden Handlung mit Berts Eltern, der Organisation der Beerdigung und nicht zuletzt mit sich selbst auseinandersetzen, erfährt man so nach und nach aus Berts Perspektive eine Innensicht der Szene und der Ereignisse rund um das Jahr 1990 in Ost‑Berlin. Am Ende landet die große Discokugel in Britts Kneipe in Hildesheim, Anne zieht aus dem besetzten Haus aus, das später von der Hausgemeinschaft gekauft wurde, und Sandra geht ihrer wohlgeordneten Wege.

Regisseurin und Drehbuchautorin Katrin Rothe, die bereits mit dem Grimme‑Preis ausgezeichnet wurde und selbst ehemalige Hausbesetzerin ist, zeigt eindringlich und authentisch, wie unvereinbar letztendlich die idealistischen Ansprüche und die jugendliche Aufbruchstimmung mit den Zwängen der bürgerlichen Gesellschaft und den staatlichen Repressionen waren. Die Atmosphäre des Films wird sowohl von dem stimmigen Soundtrack (Feeling B, Bert’z Rache u. a.) getragen als auch durch bissigen Humor und eine Melancholie geprägt, die wohl angemessen ist angesichts der heute kulturell zu Tode sanierten und gentrifizierten Viertel in Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Es wäre schön, wenn man diesen gelungenen Film öfter zu sehen bekäme, als spät nachts im ZDF.

Gabriele Vogel

(Diese Rezension erschien zuerst im Journal der Jugendkulturen #17, Winter 2011)

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