Sebastian Caspar
Zone C
KLAK Verlag 2014
153 Seiten
12,90 Euro
Medienprodukte, die den Konsum von Drogen im Focus haben, besitzen meist so unglückliche Eigenschaften wie mit erhobenem Zeigefinger zu belehren, durch reißerische Machart erst recht neugierig aufs Ausprobieren zu machen – oder einfach nur zu langweilen. Zone C, das Erstlingswerk von Sebastian Caspar, begeht keinen dieser Fehler. Der Roman schildert die Auswirkungen der Modedroge Crystal Meth („ein Gemisch aus Ephedrin, Abflussreiniger und Batteriesäure“) aus der Innensicht seines Protagonisten: Sten, 19 Jahre alt und gerade wieder arbeitslos, nimmt seine Welt praktisch nur noch im Rausch wahr: „In dem düsteren Flur, der nur spärlich von einer nackten Glühbirne erhellt wird, knackt es beängstigend, und dann beginnt das Licht in der ganzen Wohnung zu flackern. Ich drehe meinen Kopf in Richtung dieses Lautes, bereite mich darauf vor, dass gleich der verweste Torso eines Menschen um die Ecke kriecht und meinen Namen flüstert. Doch wie immer geschieht nichts und ich drücke noch mal auf dieses verdammte Feuerzeug. Ich habe dieses Leben nie gemocht.“
Sten wohnt in einer nicht weiter benannten ostdeutschen Stadt – könnte Leipzig sein, aber auch jede andere –, sein Vater hat die Familie verlassen und sich mitsamt neuer Frau nach Saigon abgesetzt, die Mutter ist depressiv, der geliebte Großvater stirbt bald. Weitere typische Loser-Szenarien werden nicht bedient – die Hauptfigur ist weder sozial isoliert noch dumm noch rechtsradikal. Ihm öffnet sich nach der Schule schlicht keine greifbare Perspektive. Und die Droge, meist billig in Labors in Tschechien hergestellt, ist immer da und bietet sich an, um den drögen Alltag zu übertünchen. Stens Freundin Asic, die durch ihn auch drogensüchtig wurde, hat ihn verlassen, um in Westdeutschland clean zu bleiben und zu studieren. Auch über diesen Verlust kommt er nicht hinweg. Eine neue Beziehung bleibt oberflächlich, ebenso wie sich seine Freundschaften hauptsächlich über Partys und Drogenkonsum definieren. Aber Sten hat einen besten Freund, Monti, der stets an seiner Seite ist und unbeschwert alle Exzesse mit ihm teilt. Doch gerade diesen Freund umgibt ein Geheimnis, das sich am Ende unerwartet offenbart und der Geschichte eine Dimension des Grauens gibt, die dafür sorgt, dass man das Buch so schnell nicht wieder vergisst.
Der Autor zeigt das Leben eines Abhängigen, mit innerer Leere, Trostlosigkeit und Wahnvorstellungen, ohne dass man das Lesen nach einer Weile entnervt aufgeben will. Denn ebenso wie die Sprache mal poetisch, mal vulgär ist, geben die Gedanken des Protagonisten in all ihrer Realitätsverzerrung auch einfach nur die Sehnsüchte eines jungen Menschen wieder, der einerseits um die halbe Welt reisen würde, um seine große Liebe noch ein Mal wiederzusehen, und andererseits mit einer flüchtigen Affäre alle im Porno abgeschauten Sexvarianten durchexerziert.
Der Text kommt gänzlich ohne Dialoge aus. Das versinnbildlicht vielleicht auch die Sprachlosigkeit der abgehängten, ostdeutschen Nachwendejugend, aber nicht nur – denn kommuniziert wird ja. Vor allem jedoch macht es deutlich, dass sich die Handlung im Kopf des Protagonisten abspielt, wobei die Hauptrolle, neben anderen Drogen, das „große C“ spielt. Und damit wird klar, dass Crystal Meth mehr ist als nur eine beliebige Partydroge und auch nicht mit dem Hintergrundwissen verharmlost werden kann, dass bereits Soldaten im Zweiten Weltkrieg ein vergleichbares Mittel („Pervitin“) verabreicht bekamen, um ihre Kampfbereitschaft zu steigern. Letztlich führt der Text ganz nebenbei auch zu der Idee, dass es doch schlauer ist, die Finger von Crystal zu lassen. „Ich erinnere mich an die Nächte, in denen ich voll drauf bin, wach auf meinen Atem höre und an meinen Körper, der vom C schweißnass ist und zittert. An den Versuch, ein Buch zu lesen, das Gefühl, etwas verloren zu haben, den Moment, als alles begann. Wind, der warmen Regen über Felder treibt.“
Sebastian Caspar, Jahrgang 1977, wurde in Weißenfels/Saale geboren und arbeitete mehrere Jahre in Australien und Asien. Er absolvierte ein Sozialarbeitstudium, lebt jetzt in Leipzig, und er weiß, wovon er schreibt. Laut Welt am Sonntag „[erinnert sich] Sebastian Caspar, der einstige Abhängige, noch heute an die ‚immense Kerbe’, die ‚Crystal ins Suchtgedächtnis schlägt’“. Dabei hat er, so Steffen Könau auf http://www.mz-web.de, Zone C „nicht […] geschrieben, um auf die Gefahren durch Drogenmissbrauch hinzuweisen“, sondern ihn „hätten schon immer die Verlierer interessiert, die Leute ohne Stimme, ohne Lobby“.
Gabi Vogel
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