CTM: Seismographic Sounds / Rojava

Zwei Veranstaltungshinweise im Rahmen des diesjährigen CTM-Festivals:

seismobook300.jpgIm Kunstraum Kreuzberg/Bethanien wird heute (29.1.2016) die Ausstellung Seismographic Sounds- Visions of a New World eröffnet. Sie wurde von Norient, einem Netzwerk für lokale und globale Sounds und Medienkultur konzipiert und kuratiert, außerdem ist 2015 ein gleichnamiger Sammelband erschienen. In der Ausstellung geht es um die Auseinandersetzung mit Arbeiten von insgesamt 250 Künstler*innen, Musiker*innen, Akademiker*innen und Blogger*innen aus 50 Ländern. Die Arbeiten experimentieren mit den Möglichkeiten des Internets und rücken Globalisierung und Digitalisierung in ein konstruktives visionäres Licht. Sie stehen damit im Gegensatz zu verbreiteten pessimistischen Perspektiven, die auf kulturelle Homogenisierung fokussieren. Innerhalb der Themenbereiche Geld, Einsamkeit, Krieg, Zugehörigkeit, Exotika und Sehnsucht/Begehren (desire) setzen sie einen Gegenstandpunkt. Das gleichnamiges Buch kann laut Theresa Beyer, einer der Herausgeber*innen, auch als Ausstellungskatalog gelesen werden kann, beide funktionieren aber unabhängig voneinander. In einer Buchvorstellung, die 26.1.2015 im sympathischen und gut sortierten Buch- und Plattenladen Echo in Berlin-Wedding stattfand, stellte Thomas Burkhalter, ein weiterer Herausgeber, Tracks, Sounds und Videoclips aus Seismographic Sounds vor. Sie zeigen musikalische und künstlerische Praxen, die sich gesellschaftspolitische Themen aneignen und dabei mit neuen bzw. globalisierten Musikstilen und digitalen Medien experimentieren. Dabei ging es u. a. um die musikalische Auseinandersetzungen mit gender, z. B. TemiDollFace Pata Pata (Nigeria) oder Umlilo Magic Man (Südafrika). Kontrastierend zu diesen emanzipatorischen Praxen in afrikanischen Kontexten ist das Beispiel Bishi Bhattacharya (Queen Bishi) Albion Voice aus Großbritannien als Ausdruck von übertrieben inszenierten Anpassungs- und Zugehörigkeitswünschen an einen verstetigten Kolonialismus. Auch PC Music aus England werden thematisch eingebettet, die Anfang 2015 von Plattformen wie Fact Magazine oder der Zeitschrift The Wire als Phänomen der digitale Avantgarde gehandelt wurden, oder Vaporwave aus den USA, eine DIY-Sample-Praxis, die 2010 in Internet Communities wie Tumblr entstanden ist. Sie ist durch eine kritische oder ironische Faszination von Kapitalismus und Popkultur gekennzeichnet und drückt sich in einer Mischung aus gepitchten Retromania-Ästhetiken, abgehackter Fahrstuhlmusik, synthesiertem Jazz, Videospielen und Werbung aus. Aus dem scheinbar unendlich großen Spektrum an den im Netz verfügbaren Sounds, Ästhetiken, kulturellen Ausdrucksformen und politischen Positionen wurden mit Hilfe von Kollaborationen musikalische Praxen für das Norient-Buch ausgewählt: die Macher*innen baten Menschen aus 50 Ländern 24 ausgewählte Musikclips persönlich zu kommentieren, über aktuelle Trends und über Erfahrungen in der ethnografischen Feldforschung zu berichten oder einen Überblick über akademische Schlüsselkonzepte zur Musikforschung zu geben. Im Ergebnis zeigen die Songs, Tracks, Kompositionen und Videoclips, wie musikalische Visionen – teilweise mit lebensbedrohlichen Konsequenzen für die Künstler*innen – aussehen können, die „new spaces beyond the confines of commercialism, propaganda, fanatatism, racism, sexism and homophobia“ (vgl. Einleitung des Sammelbandes) schaffen.

Das Buch:
Theresa Beyer, Thomas Burkhalter, Hannes Liechti (Hrsg.)
Seismographic Sounds – Visions of a New World
Norient Books
 2015, 504 S., 31,00 €

Die Ausstellung:
Mo-Fr., im Rahmen von CTM bis 7.2.2016: 11-22h, danach bis zum 20.3.2016: 11-20h
KBB Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, 10997 Berlin

rojava200.gifDen Visionen einer neuen Welt widmet sich auch das Panel Music, Awarness und Solidarity for #Rojava (6.2., 13:30, ebenfalls im KKB). Im Dezember 2015 startete das Netzwerk female:pressure eine Kampagne, um auf die Widerstandsbewegung in den Kantonen von Rojava (West-Kurdistan in Nord-Syrien) aufmerksam zu machen, in der sich Frauen vor Ort für eine staatenlose Demokratie bzw. Selbstverwaltungsstrukturen einsetzen. Die staatenlose Demokratie beinhaltet soziale und ethnische Gerechtigkeit, Religionsfreiheit, ökologische Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit. Im Rahmen des Panels wird der von female:pressure kuratierte Sampler präsentiert, mit Beiträgen von Musiker*innen und Künstler*innen als Auftakt einer Solidaritätskampagne mit den Frauen, Männern und Kindern für ihre Vision von einem demokratischen Rojava. Dabei sind folgende Akteur*innen: Hevî, die über den Hintergrund der gesellschaftlichen Umwälzung in den Kantonen informiert und die Rolle von Kunst in diesem Kontext einschätzt. Ipek Ipekcioglu stellt ihre Arbeit und ihren Beitrag für den Sampler vor, ein Kollaborationsprojekt mit der kurdischen Sängerin Sakina. Sky Deep spricht über ihren Beitrag und den dahinterstehenden Gedankenprozess. Außerdem zeigt das Panel eine Videoarbeit von Olivia Louvel, die sich mit kämpfenden Frauen auseinandersetzt.

Playlist 25 tracks auf Soundcloud:
soundcloud.com/femalepressure/sets/rojava-female-pressure
Kampagne auf female:pressure
www.femalepressure.net/rojava.html

Tanja Ehmann