Wolfgang Farkas, Stefanie Seidl, Heiko Zwirner (Hrsg.)
Nachtleben Berlin – 1974 bis heute
metrolit 2013
304 Seiten
36,00 €
Anke Fesel, Chris Keller (Hrsg.)
Berlin Wonderland – Wild Years Revisited, 1990–1996
bobsairport / gestalten 2014
240 Seiten
29,90 €
Berlin ist weltweit bekannt für die verrückten Leute, die Flut an kreativen Versuchen, relativ niedrige Lebenshaltungskosten, eine entspannte Atmosphäre und seine tollen Clubs mit wilden Parties. Wenigstens für die Zeit seit 1974 haben wir das jetzt schriftlich: Nachtleben Berlin in Coffee-Table-Book-Format, dick mit vielen Fotos ausgestattet, können wir jetzt nachlesen, wie es war im Chez Romy Haag, im Dschungel, Café M oder der Paris-Bar. Wir erfahren wer so alles im Exil ein- und ausgegangen ist, wie ein schwuler Ausgeh-Abend aussehen könnte, warum das Berhain der beste Club der Welt ist oder wie man ein unangemeldetes Open Air aufzieht. Auch in Ost-Berlin soll man nachts unterwegs gewesen sein. Wir erfahren, dass der Broken Hearts Club nach Basel und Miami exportiert wurde und wie eine linke Haltung und Party zusammen funktionieren können.
Unheimlich viele Fotos versuchen die Stimmung wiederzugeben, Interviews und protokollierte Gespräche mit Macher_innen, DJs und Dabeigewesenen sollen Fakten und Geschichten liefern. Leider sind längst nicht alle Befragten so uneitel wie Gindullis vom Cookies, sondern feiern sich mit selbstgeschriebenen Heldenerzählungen und aufdringlichem Namedropping. So als würde eine berühmte Person, die von ihrer Entourage in einen Laden geschleust wird, diesen erst richtig perfektionieren. Auch ein großer Teil der Fotos ist nach diesem Prinzip ausgewählt. Wohltuend heben sich da die stimmungsvolleren Beiträge zur Bar 25 oder zu Electroclash-Parties – glücklicherweise ohne Promi-Aufzählungen – sowie der Text zum schwulen Ausgehen von Walter Kaul vom Rest ab.
Weniger selbstbegeisterte Berichterstattung und dafür mehr Melancholie ist in dem Fotoband Berlin Wonderland zu finden. Hier wird gar nicht erst versucht, einen allumfassenden Überblick zu geben. Statt dessen beschränken sich die Herausgeber_innen auf den Teil Berlins, der auch ein Teil ihrer eigenen Geschichte ist. Anke Fesel und Chris Keller waren mittendrin als nach dem Mauerfall Träumer, Zauberinnen, Phantasten und sonstige Menschen, hier kurz als Künstlerinnen und Künstler bezeichnet, in die vom Sozialismus leergelassenen Häuser und Stadträume einfielen. Binnen kurzem wurde die Stadt zum Club, zur Theaterbühne, zur Weltgalerie. Wir sehen ein Land des Sich-Ausprobierens, der Visionen, des Zusammenseins, der Offenheit und – heute wohl am unfassbarsten – des kreativen Müßigganges.
Die Schwarz-Weiß-Photos wirken dabei wie Grafiken von Träumen, Botschaften aus einer leider längst vergangenen Zeit. Einige wenige Zitate von Akteuren sind dazwischengestreut, manchmal mit kleinen Geschichten die Motive erhellend, manchmal fast poetische Reflexionen über das Verschwinden und Bewahren. Dieses Buch bewegt sich meist um die Szene in Berlin-Mitte, rund ums Tacheles und die Gegend um den Rosenthaler Platz, den Eimer und das RA.M.M.-Theater.
Für weitere Werke über den Underground der 90er Jahre hat dieses Buch auf jeden Fall hohe Maßstäbe gesetzt.
Peter Auge Lorenz
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