Frank Apunkt Schneider
Deutschpop halt’s Maul! – Für eine Ästhetik der Verkrampfung
Ventil Verlag 2015
112 Seiten
10 €
Dass es deutschsprachigen Pop gibt, ist heute nichts mehr, was irgendjemanden wirklich überraschen würde – im Gegenteil, Bands wie Wir sind Helden, Juli, Kettcar, Revolverheld, Mia., Sportfreunde Stiller, Silbermond und so weiter sind fester Bestandteil der deutschen Musiklandschaft. Irgendwie ja auch logisch, dass in Deutschland deutschsprachige Popmusik gemacht und gehört wird – aber dann doch nicht ganz so selbstverständlich, wie es heutzutage erscheint. Denn „deutschsprachige Popmusik war lange Zeit undenkbar“, wie es im Klappentext von Frank Apunkt Schneiders Deutschpop halt’s Maul! heißt. Pop war, als er in den 1950er Jahren seinen Weg nach Deutschland (oder besser gesagt: Westdeutschland) fand, eine Befreiung von der bedrückenden deutschen Geschichte und Fluchtmöglichkeit vor der miefigen deutschen Kultur der damaligen Zeit. Er war aufregend und neu, eine Provokation gegenüber der Elterngeneration und dank seiner konnten neue, nicht-nationale Identitätskonzepte entworfen werden. Denn Pop war explizit nicht deutsch, sondern englisch. Auch deutsche Bands sangen auf Englisch, selbst wenn sie nicht so genau wussten, was sie da sangen – aber das war egal, denn es ging ja nicht um einen festen Sinn, sondern um Freiheit. Und wenn deutsche Künstler_innen dann doch auf deutsch sangen, war das oftmals kein Pop, sondern Schlager – eine Unterscheidung, die dem Autoren des Buches wichtig ist, denn die deutsche Sprache führte dazu, dass das befreiende Fremde (und eine positiv gedeutete Entfremdung) des englischen Pops in diesen Liedern wieder verschwand.
Das Buch ist – und das sagt der Autor auch gleich zu Beginn – vor allem eine polemische, antideutsche Gegengeschichte des Deutschpop, die „ebenso konstruiert ist wie die offizielle.“ Mit der offiziellen Geschichtsschreibung ist das gemeint, was heute oftmals in Bezug auf z. B. Krautrock, deutschem Postpunk oder Techno geschrieben wird oder auch in Ausstellungen zu diesem Thema behandelt wird. Da werden dann Kraftwerk zu den „Urvätern von Techno, House und Hip Hop“ (und Deutschland wird ein unverzichtbarer Teil der internationalen Popgeschichte), die Neue Deutsche Welle zur eigenständigen deutschen Jugendkultur oder Techno zum Sound der Wiedervereinigung – es findet eine Art Renationalisierung von Musiken statt, die gar nicht unbedingt deutsch sein wollten oder sogar eine Flucht vor diesem Deutschsein darstellten.
Der heutige Deutschpop, der kein Problem mehr mit dem Deutschen hat und „mit sich selbst einverstanden ist“, ist erst nach 1989 entstanden und Teil einer Bewegung hin zu einem entspannten, unverkrampften Deutschsein. Das ist dann aber laut Schneider kein Pop mehr, zumindest nicht im eigentlichen Sinne, da Pop keine nationale Identität hat. Gemeint ist mit Deutschpop allerdings nicht der deutschsprachige Diskurspop von Bands wie Tocotronic oder Blumfeld (zumindest nicht den frühen Blumfeld), sondern das, was danach kam – und an dem eine Band wie Tocotronic verhängnisvollerweise mit Schuld sein sollen, da sie ein Vorbild vieler der o. g. Deutschpopbands sind. Diese sind harmlos und stellen nichts in Frage – und ein positiver Bezug zur deutschen Heimat ist für sie oftmals kein Problem mehr. Auch gehört die Sprechweise von einem „Wir“ zum festen Repertoire vieler Deutschpopbands, was von Schneider im Sinne von „wir Deutschen“ verstanden wird und oft auch so gemeint ist. Schneider sieht deshalb eine Verbindung zu einer DeutschROCKband wie Frei.wild, die seiner Meinung ganz ähnliche Inhalte transportiert wie die DeutschPOPbands, im Gegensatz zu diesen aber als eindeutig eklig erkennbar ist (Schneider nennt Frei.Wilds Musik „strukturellen Rechtsrock“). Deshalb gibt diese Band ein wunderbares Feindbild ab, von dem sich die anderen Bands dann distanzieren und sich als die „Guten“ fühlen können.
Frank Apunkt Schneider zu folgen fällt manchmal schwer, da er ein umfangreiches Vorwissen über die behandelten Bands und Künstler_innen voraussetzt und man als Leser_in ganz viel Musik – also auch ganz viel schlechte und langweilige Musik – gehört haben muss, um zu wissen, worum es an manchen Stellen eigentlich geht – zum Beispiel scheint Tangerine Dream im Gegensatz zu anderen Krautrock-Bands irgendwie doof zu sein, warum bleibt aber unklar. Deutschpop halt’s Maul! ist insgesamt aber ein unterhaltsames und immer wieder wunderbar böses Buch, dass ein Gegengift gegen Wohlfühlpatriotismus und Vereinnahmung von Popmusik in irgendwie nationalem Sinne darstellt. Das ist nämlich, ganz platt ausgedrückt und abgesehen von irgendwelchen anderen relevanten Argumenten: uncool, einfach nicht schön, total langweilig. Und Popmusik, die damit kein Problem hat, ist – auch das ein Fazit des Buches – dann einfach keine gute Popmusik.
Daniel Schneider
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