Affentanz!

André Bergelt
Affentanz! Sternenstunden eines schlechten Verlierers
Mitteldeutscher Verlag 2015
300 Seiten
12,95 €

Bergelt__Andr____55718977bd8c1.jpg„Ein guter Verlierer zu sein, ist eine Kunst. Eine, die ich ungewöhnlich schlecht beherrsche.“ Mit diesem Zitat beginnt der Autor André Bergelt sein Erstlingswerk „Affentanz!“. Und dieses Zitat steht, wie kein anderes, für das Leben des namenlosen Romanprotagonisten. Auch dieser ist Künstler. DJ um genau zu sein. Allerdings bisher kein sonderlich erfolgreicher. Doch er hat eine klare Vision vor Augen und ein klares Ziel. Ein Auftritt im bekanntesten Club Berlins: Dem Zoo. Dass es sich bei diesem fiktiven Club um eine Anlehnung an das legendäre Berghain handelt, wird auch dem Szenelaien schnell klar. Doch so klar die Visionen des durchaus talentierten  Protagonisten sind, kommt er doch kaum voran bei der Erfüllung seiner Träume. Schnell wird dem*r Leser*in klar, dass er selbst sein größter Feind ist. Denn statt sich auf seine Installation für seinen Durchbruch zu konzentrieren, verbringt er große Teile seiner Zeit als Feiernder in dem Club, in dem er eigentlich selber auftreten will. Er flüchtet sich von einer Beziehung zur nächsten, unfähig lange bei einer*m Partner*in zu bleiben. Dazu kommt sein stetig steigender Drogenkonsum. Doch während er einerseits kaum in der Lage ist, sein eigenes Leben zusammenzuhalten, besitzt er andererseits überraschende Kompetenzen und Durchhaltevermögen, wenn es darum geht, die Probleme seiner ebenfalls leicht verplanten Freund*innen zusammenzuhalten. Ihnen hilft er bei Steuererklärungen oder wenn sie mal wieder Ärger mit dem Gesetz haben. Auch als spontaner Fremdenführer in der Potsdamer Schlösserlandschaft überzeugt er auf ganzer Linie. Als Ausgleich für seine Hilfe pumpt er seine Freund*innen immer wieder um Geld für neues DJ-Equipment an. Selbst hat er keine geregelte Arbeit, sondern hangelt sich stattdessen von einem absurden Nebenjob zum nächsten. Doch während er am Alexanderplatz einem dieser Nebenjobs, Namentlich dem des Grillwalkers, nachgeht, kommt es zu einer Begebenheit, die sein ganzes Leben verändern könnte: Als Dank für eine kleine Gefälligkeit schenkt ihm eine alte Dame einen kleinen, gelben Affenanhänger. Zuerst denkt er sich nicht viel dabei, als er sich den Anhänger um den Hals hängt. Doch als ihm auf einmal Visionen eben dieses Affen erscheinen, ist er doch überrascht. Und der Affe ist nicht still. Stattdessen gibt er dem Protagonisten auf den ersten Blick überaus vernünftige Vorschläge, wie dieser sein Leben wieder auf die Reihe bekommen könnte …

Neben der Musik und den Freund*innen des Protagonisten steht der übertriebene Drogenkonsum in der Clubszene, gerade zum Ende des Buches, immer mehr im Mittelpunkt. Und genau so liest sich auch das Buch: zeitweise berauschend, aber auch nicht immer ganz verständlich. So bleiben vor allem die Motivationen der vielen Nebencharaktere großteils im Dunkeln. Auch ist die Handlung häufig abgehackt, was das Verständnis erschwert. So reihen sich meist unzusammenhängende, kurze Episoden aneinander, durch die sich nur bedingt ein roter Faden zieht. So bleibt auch der Protagonist schwer zu fassen. Was ihn genau in seiner Gesamtheit ausmacht, wird nicht ganz klar, was aber durchaus vom Autor gewollt sein könnte. So gelingt es ihm jedenfalls sehr gut die Stimmung eines kreativen Menschen zu vermitteln, der immer mehr die Kontrolle über sein Leben verliert. Was dem Autor meiner Meinung nach allerdings überhaupt nicht gelungen ist, ist die Rolle des Affen als imaginären Ratgeber. Dessen Ratschläge sind leider weder sonderlich witzig, noch haben sie einen erkennbaren Einfluss auf das Handeln des Protagonisten. Es wirkt fast so, als hätte sich der Autor gezwungen gefühlt, irgendwie noch eine Metapher für die tierische Seite des Protagonisten in die Handlung einzubauen. Genauso unmotiviert wirkt das Ende des Romans auf mich. Nachdem der Protagonist durch sein rücksichtsloses Verhalten nahezu alles verloren hat, an dem ihm irgendwas liegt, wendet sich auf den letzten zehn Seiten auf einmal alles ohne fundierte Erklärung wieder zum Guten.

Der Roman „Affentanz!“ wurde in gewissen Kreisen lange erwartet. Sollte es doch der erste authentische Roman über das Berghain sein. Und der Autor hat definitiv das dafür nötige Fachwissen. Schließlich hat er selbst jahrelang als Türsteher und Kassierer in der Berghain-Kantine, im Suicide Circus oder im Sisyphus gearbeitet. Er kennt sich aus in der Szene. Und es gelingt ihm durchaus das Lebensgefühl der vielen Clubbesucher*innen mit seinen Sonnen- und Schattenseiten zu vermitteln. Aber mehr eben auch nicht. Alles neben den von ihm beschriebenen Clubeindrücken wirkt irgendwie banal und wenig innovativ. Deswegen lautet mein Fazit, dass man nicht automatisch befähigt ist, eine interessante Geschichte zu erzählen, bloß weil man sich mit einem Thema gut auskennt.

Leon Seikat

Leon Seikat kommt aus Berlin und macht gerade sein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Archiv der Jugendkulturen.

Is Queer the new Punk!?

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Im Rahmen unserer Abendveranstaltungsreihe „Queer und Jugendkulturen“ freuen wir uns auf Runde 4 in diesem Jahr: am 23.11.2016 zum Thema „Queer Zines“.

Das Archiv der Jugendkulturen sammelt schon seit vielen Jahren Zines. Vor allem im Bereich Punk haben wir eine sehr große Sammlung. Seit einigen Jahren beobachten wir aber die Entwicklung, dass vor allem im Bereich der queeren Zines viel mehr veröffentlicht wird und diese auch bei den Zinefesten immer präsenter werden. Ganz zu schweigen von dem eigenen Mini Queer Zine Fest in Berlin, dass sich bereits seit einigen Jahren mit großer Beliebtheit denqueeren Zines, dem Austausch und Vernetzung widmet.

An diesem Abend möchten wir verschiedene Zine-Macher*innen einladen, ihre Zines und ihre Positionen vorzustellen. Darüber hinaus möchten wir gemeinsam ins Gespräch kommen: über das Machen von Zines, die Vernetzung in der queeren Zine-Macher*innen- Community und über aktuelle Themen und Entwicklungen der Repräsentationen in der Queer Community.

Mit dabei sind:

Dana von Ethical Sloth
„Dana ist eine Hälfte von Ethical Sloth, einem queeren DIY-Comic-Zine,das seit drei Jahren in etwa halbjährlich erscheint. Sie gibt das La Moustache Zine heraus, welches sich thematisch mit der(queer-feministischen) DIY-Musikszene beschäftigt, ein experimentelles Interviewmagazin namens 13 Questions und hat gerade ein Comic-Zine über die besten und schrecklichsten Erlebnisse aus zehn Jahren (queer-feministische) DIY-Konzerte veranstalten angefangen. Sie ist Mitbegründer_in des Queer Zine Fests Berlin und gibt manchmal Zine-Workshops.“

SchwarzRund
„SchwarzRund kam als Schwarze Deutsche Dominikaner*in mit drei Jahren nach Bremen, lebt seit fast zehn Jahren in Berlin. Seit 2013 publiziert sie auf ihrem Blog schwarzrund.de und in diversen Magazinen. Mehrdimensionale Lebensrealitäten inner- und außerhalb von Communitys verhandelt sie in Performance-Texten, Vorträgen und Veranstaltungsreihen.“

aktuelles Projekt:
„Biskaya“ ist ein afropolitaner Roman über das Leben von Schwarzen Menschen in Berlin. Die dreißigjährige Tue ist mit drei Elternteilen aufgewachsen und verdient heutzutage ihr Geld vor allem als Sängerin einer deutschsprachigen Indie-Band. Doch mit den anderen Bandmitgliedern hakt es und auch ihre WG wird Tue immer fremder, Ruhe findet sie allein bei ihrem besten Freund Matthew. Er ist die Familie, die es in ihrem Leben seit Jahren nicht mehr gegeben hat.

Anni und Simo von queer trash distro
„queer trash distro bietet zines von queers und trans leuten an zu den themen neurodivergenz, ableismus, körper, trans-sein, sucht …
wir die das distro betreiben sind anni und simo, zwei weisse trans menschen mit verschiedenen ableismus_saneismus-erfahrungen.
anni beschreibt sich selbst als ‚crazy plant lover, pug hugger and whiny femme‘, simo ist ein ‚a_gender suchti cripple punk‘.“

Wann & wo:
23.11 ab 18 h
Aquarium (am Südblock)
Skalitzer Straße 6
10999 Berlin
Eintritt ist frei

https://www.facebook.com/events/325558904496156/

#queer #zines #berlin #diversitybox

Play Gender

Fiona Sara Schmidt/Torsten Nagel/Jonas Engelmann (Hrsg.)
Play Gender. Linke Praxis – Feminismus – Kulturarbeit
Ventil Verlag 2016
246 Seiten
18 EUR

play_gender.jpgWer bist Du und wie und mit wem wirst Du sein (wollen)? Im Sammelband „Play Gender“ beschreiben linke Menschen ihre Pläne, Projekte, ihr Durchkommen und Scheitern im „Spiel“ mit dem Geschlecht und mit ihren Erfahrungen mit dem Geschlechterregime – und das ist und war nicht immer ein Vergnügen.

Sexismus ist eine alle Lebenssphären betreffende Ideologie und Praxis. Auch der kritische Kulturbereich ist davon betroffen. Die Herausgeber*innen wollen mit ihrem Buch zu „linker Praxis – Feminismus – Kulturarbeit“ (so der Band „Play Gender“ im Untertitel) historische und aktuelle Perspektiven von und Beispiele für Strategien gegen Sexismus und Diskriminierung aufzeigen.

Meist stehen die Situation und die Strategien von Frauen und Lesben im Mittelpunkt, aber auch queer-feministische Initiativen von Männern* kommen vor, was angesichts einer anhaltend aktuellen, auch gewaltförmigen Schwulenfeindlichkeit und der Tatsache, dass „sensibler Mann“ immer eher ein Schimpfwort ist, mehr als gerechtfertigt ist.

In Artikeln, Interviews, Dokumenten und mehreren Roundtable-Gesprächen geht es unter anderem um Netzfeminismus, (Musik-)Journalismus, Comic- und Dokumentarfilmproduktionen oder Theater und Tanz unter prekären Bedingungen. Weitere, mehr an einem Ereignis festzumachende Praktiken sind Ladyfeste, feministisches DJ-ing, Slutwalks oder das „Macker Massaker“ im Autonomen Zentrum Mülheim an der Ruhr. Ein wichtiger Beitrag schreibt die Geschichte der linksradikalen und profeministischen Männerbewegung der letzten 25 Jahre. Den historischen Blick greift auch ein Beitrag auf, in dem Teile des anonymen Herausgeber*innenkollektivs des 2013 erschienen Fantifa-Buches über die feministische Organisierung in der Antifa der 1990er Jahre berichten. Eine Autorin aus dem „Conne Island“ schreibt über die internen Strukturen und Debatten dieses über Leipzig hinaus relevanten linksradikalen Polit- und Kulturzentrums.

Sehr ernüchternde Erkenntnisse enthält ein Beitrag der AG Queerfeminismus der Interventionistischen Linken (IL) Berlin. Diese stellt in einer Selbstbefragung fest, dass auch in der (radikalen) Linken Erschöpfung, Krankheit (und Kinder) weiterhin individualisiert würden, viele sich mehr Kollektivität wünschen, diese aber nicht realisieren (können). Der Text stammt allerdings aus 2012/2013 und seitdem hat sich die Situation womöglich etwas gebessert, nicht zuletzt durch die stärkere Thematisierung von Care-Arbeit.

Engagiert und organisiert wird sich an vielen Orten und zu vielen Themen. Das zeigt diese Textsammlung. Und genau das motiviert, weiterzugehen, Allianzen zu schmieden und Neues zu entdecken. Ein Wort sei aber zum Titel des Buches ergänzt: „Play Gender“ – was bedeutet das? Für wen? Nun mag es zwar richtig sein, mit Geschlechterrollen zu spielen (und das ein solches Herangehen auch gut tut und voranbringend sein kann, zeigen einige Beiträge), aber ein „Spiel“ ist das Geschlechterregime definitiv nicht. Es weist jeden Tag Chancen zu, und nimmt sie anderen, nicht zuletzt auf dem Arbeitsmarkt, der im Hintergrund Thema des Buches ist.

Bernd Hüttner

(diese Rezension wurde zuerst unter der Überschrift „Feminismus, Kulturarbeit und Patriachat“auf terz.org veröffentlicht)