Leben mit der Wahlfamilie-Queere Filme auf der Berlinale Pt.II

„So Pretty“ von Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli

USA/Frankreich (2019)

Der Film „So Pretty“ macht seinem Namen alle Ehre. Er ist so schön queer und vielfältig, ohne dabei aufgesetzt zu wirken.

Filmstill aus: So Pretty, Land: USA/FRA 2019 Regie: Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli 
Bildbeschreibung: Thomas Love, Edem Dela-Seshie, Sektion: Forum 
© 100 Year Films

Queere Nabelschau

Wie so oft bei Berlinale-Filmen besticht auch dieser Film dadurch, das bewusst auf ein Narrativ verzichtet wird. Wenn überhaupt hat der Film essayistische und dokumentarische Züge. Es ist eher ein kurzweiliges Porträt einer queeren Wohngemeinschaft in New York. Wobei das Ganze auch irgendwo in London oder Berlin spielen könnte. Ein Gefühl von Zuhause sein macht sich breit, jedenfalls für queere Menschen, die gerne in diese Wohlfühlblase der selbstgewählten queeren Wahlfamilie, die hier die Hauptrolle spielt, eintauchen möchten.

Frühstücken, lesen, Sex haben

Ein Ausgangspunkt bzw. der grobe Entstehungskontext von „So Pretty“ hängt mit einer Novelle von Roland M. Schernikau zusammen. Dabei ist der Film aber bewusst keine Adaption. Die Textfragmente aus „Als der Prinz mit dem Kutscher tanzte, waren sie so schön, daß der ganze Hof in Ohnmacht fiel“ bieten den Protagonist*innen in „So Pretty“ eher immer wieder Anhaltspunkte über Liebe und Beziehungen sowie über Kapitalismus und Kommunismus zu sprechen. Das wird eingewoben in ganz alltägliche Handlungen. Es wird philosophiert im Bett, am Küchentisch oder auf dem Weg zur nächsten Party. Generell sehen wir dieser New Yorker Queer-WG beim frühstücken, beim zähneputzen, beim duschen und beim Sex zu. Relativ oft beim Sex sogar, zu zweit oder zu dritt, kinky oder sanft.

Filmstill aus: So Pretty , Land: USA/FRA 2019 ,Regie: Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli 
Bildbeschreibung: Phoebe DeGroot, Thomas Love, Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli 
Sektion: Forum, © 100 Year Films

Zweisamkeit: ein positives oder negatives Konzept?

Besonders schön ist der liebevolle und bedachten Umgang, die Verbundenheit und Zärtlichkeit innerhalb der Gruppe, die eigentlich alles miteinander teilen. Das sich dabei die Beziehungskonstellationen immer wieder ändern, macht auch im übertragenen Sinne das Ringen mit dem Wort Zweisamkeit deutlich. Übersetzt man Zweisamkeit mit coupledom oder eher mit togetherness ins Englische fragen sie sich. Ist Zweisamkeit als Konzept bei Schernikau etwas Positives oder Negatives? Fragen ohne Antworten. Nichts ist konstant in diesem Film. Alle sind auf der Suche. Nach Identität, Nähe, Liebe und Verständnis. Dadurch verändern sich immer wieder Lebens-und Wohnzusammenhänge, Liebesbeziehungen und Geschlechteridentitäten. Die einzige beständige Komponente des Films ist die Freundschaft untereinander, egal wer mit wem gerade ins Bett geht. Einfach eine queere Wahlfamilie. Real dargestellt. Nichts wird als besser oder perfekter inszeniert, aber eben etwas schöner.

Fazit

Als queere Person tut es einfach gut einen Film zu sehen, der in Fragen der Repräsentation und Sichtbarkeit queerer Vielfalt viel richtig macht. Ein wenig zu selbstreferentiell ist der Film vielleicht geworden und wirkliche Fragen, die sich in queeren Communities gestellt werden, werden hier nicht mal ansatzweise thematisiert. Es gibt nur eine Szene, die Polizeigewalt gegen Schwarze und of Colour Queers behandelt, ohne dass darüber danach gesprochen wird. Es ist eher ein Film der das Private zum politischen macht und darin liegt auch die Schönheit dieses utopischen Werks, in dem ein Mikrokosmos abgebildet wird, in dem Geschlechtsdefinitionen, Beziehungsnormen und gesellschaftliche Konventionen keine Rolle spielen. „So Pretty“ bestätigt vor allem queere und marginalisierte Menschen. Der Film betont, dass sie in jeder Faser ihrer Individualität wichtig und schön sind, dass ihre Art zu Leben und zu Fühlen, eine politische Liebe ist, die in Zeiten konservativer Backlashs, eine starke Intervention gegen den Mainstream darstellt.

Saskia Vinueza und Giuseppina Lettieri

Projekt „Diversity Box“

Queere Filme auf der Berlinale 2019 Pt.I

The Garden von Derek Jarman, 1990

Die Sektion Forum Expanded auf der Berlinale zeigt oft Filmklassiker, die mit den gängigen Sehgewohnheiten brechen und durch Experimentierfreude und ungewohnte ästhetische Handschrift bestechen. Mit Derek Jarmans “The Garden” findet nun ein Film- in restaurierter Fassung- seinen Weg zurück auf die Berlinale, der dort 1991 zum ersten Mal aufgeführt wurde. Und damit sich der Kreis schließt, findet die Filmvorführung in diesem Jahr an dem gleichen Ort, wie vor 28 Jahren statt: Im schönen Delphi Filmpalast.

Homosexualität und Christentum

Diesen Film zu rezensieren erscheint als eine fast unlösbare Aufgabe, jedenfalls für mich. Wenn es überhaupt einen erkennbaren roten Faden in diesem Werk Jarmans gibt, dann entspinnt sich dieser um die Themen Homosexualität und Christentum. Darum ranken sich die meisten oppulent, oft schwer verdaulich in Szene gesetzten Bilder. Es gibt ein schwules Liebespaar, das in Zweisamkeit Zuneigung austauscht und Liebe erfährt. Erst als sie auf weitere Menschen treffen, wie z.B. in der Herrensauna, scheint das Glück erste Risse zu bekommen und eine diffuse Gefahr für diese Liebe wird angedeutet. Als sie schließlich- ohne genauere Kontextualisierung- von der Polizei verhaftet und gefoltert werden, nimmt das Unglück seinen Lauf. Hier kommt auch Jarmans (von mir unterstellte) eher anstrengende künstlerische Faszination mit dem Christentum, genauer mit der Passion Christi, zum Tragen (Vergleiche zu Pier Paolo Pasolinis filmischen Schaffen drängen sich zwangsläufig auf). Denn das schwule Liebespaar muss nach der Folter- einer für meinen Geschmack viel zu langen Sequenz aus Peitschenhieben- gemeinsam ein Kreuz tragen und sie sterben (anscheinend) durch Kreuzigung (immerhin etwas, was Jarman unserer Imagination überlässt und uns in Bildern erspart).

Fragmentiert, verstörend und wortkarg

Doch kann in diesem Film grundsätzlich kaum von einem Hauptplot gesprochen werden. Der Film ist sehr zerfasert, viele Bilder und Sequenzen erscheinen fast schon willkürlich aneinandergereiht oder wiederholen sich, sei es Tilda Swinton in der Rolle der Madonna mit Kind, die von Paparazzis erst fotografiert und dann gejagt wird oder das sehr oft bemühte Bild einer großen Tafel am Strand, die an das letzte Abendmahl erinnert. Auch Jarman selbst ist immer mal wieder Protagonist, dieses fast komplett ohne Worte auskommenden Films. Er macht zu Beginn und am Ende Voice-Overs, die den Film rahmen und in einigen der Filmsequenzen sieht man Jarman in seinem eigenen Garten sitzen: Der filmgebende Titel.

Fazit

Selten bin ich so verstört in die Berlinale gestartet, wie in diesem Jahr. Das Jarmans Film sicherlich kein Feuerwerk der guten Laune wird, war mir zwar klar, dennoch hinterlassen die vielen für mich triggerwarnungswürdigen Filmszenen in der Fülle sowie der ausgespielten Länge, ein mehr als ungutes Gefühl beim Verlassen des Kinosaals. An einigen Stellen wirkt der Film wie ein nie enden wollender, qualvoller Fiebertraum. Dass Jarman mit diesem Film seine HIV-Erkrankung künstlerisch verarbeiten wollte, die zu Beginn der 1990er tragischerweise noch viel zu oft einem Todesurteil gleichkam, verleiht diesem Werk zwar mehr Tiefe und lässt seine Verzweiflung über sein Schicksal verstehen (er verstarb 1994), dennoch macht es den Film kaum leichter zu ertragen- weder visuell noch emotional. Vielleicht wäre das Geld, das für die Restauration des Films ausgegeben wurde, doch besser in den Händen von queeren Nachwuchsregisseur*innen aufgehoben gewesen.

Giuseppina Lettieri

Projektleitung Diversity Box

Heavy Metal in der DDR

Wolf-Georg Zaddach
Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken.
transcript, 2018
S. 369
39,99€

Heavy Metal in der DDR, dass sich dahinter mehr verbirgt, als die Bands Formel 1, Macbeth und Merlin beweist Musikwissenschaftler Wolf-Georg Zaddach in seiner Promotionsarbeit, die der transcript Verlag Ende 2018 für ein breiteres Publikum veröffentlicht hat. Die*der geneigte Leser*in muss sich, wie für eine Promotion nun mal üblich, zunächst durch einige Seiten theoretischer Einordnung kämpfen, ehe Zaddach zu einer anspruchsvoll und dennoch unterhaltsam geschriebenen Abhandlung über die Heavy Metal Szene der DDR kommt.

In drei groben Kapiteln arbeitet er sich von allgemeineren Betrachtungen über Jugendkulturen in der DDR (I), zu einer Betrachtung der DDR-Metal-Szene vor (II), deren Praktiken er dann in Kapitel III näher untersucht. Dabei betrachtet er Geschlechter- und Bildungsverhältnisse ebenso, wie die deutsch-englische Sprachbarriere, DDR-Fanzines, Tauschnetzwerke, Konzerterlaubnisse oder die Beschaffung von Musikinstrumenten vor der Wende. Wie ein muffiger Dunst scheint über alle den behandelten Fan- und Band-Praktiken eine ständige Bewertung und Beobachtung durch das Ministerium für Staatssicherheit zu schweben.

Zaddach arbeitet auf, wie noch zu Beginn der 80er Jahren Bands, wie die Erfurter Band Macbeth, nicht nur ein Auftrittsverbot bekamen, die Band wurde von offizieller Stelle „liquidiert“ und mit einem fünfstelligen Bußgeld belegt. Ein Mitglied der Hallenser Band Panther wurde sogar inhaftiert. Doch, so schreibt Zaddach: „Mit 1987 änderte sich einiges. Die Konsequenzen des Zionskirchen-Skandals betrafen auch die Metal-Szene in Form der ‚kulturellen Umarmung‘ als neue Strategie der SED im Umgang mit ursprünglich westlichen Jugendkulturen. Es scheint kein Zufall zu sein, dass die Szene in den letzten beiden Jahren vor dem Mauerfall bis dahin nicht geahnte Möglichkeiten und Freiräume erlebte.“ Ende der 80er Jahre hatte auch der Staatsapparat verstanden, dass Heavy Metal unwiderruflich im Mainstream angekommen war.

Gespickt mit einer Vielzahl von Interviewauszügen, Zitaten aus akribisch aufgearbeiteten Stasi-Akten und Illustrationen, erzählt Zaddach die Geschichte der ostdeutschen „Heavies“ von den späten Siebzigern bis zur Wende. Er lässt Fans, Musiker*innen und Journalist*innen gleichermaßen zu Wort kommen, gibt dem Ganzen aber einen fundierten wissenschaftlich-theoretischen Rahmen. Heavy Metal in der DDR ist sicher keine leichte Feierabendlektüre, aber für alle, die Nachholbedarf in Sachen ostdeutscher Metalgeschichte haben, mehr als lesenswert.

Lisa Schug