Der Blick in eine Kiste…

 …kann ein Blick in ein Leben sein!

Ende letzten Jahres haben wir einen Teilnachlass des im Juni 2020 verstorbenen Lord Knud übernommen. 


Knud war Gründungsmitglied der Berliner Beat-Band „The Lords“, die auch als die ‚deutschen Beatles‘ bezeichnet wurden. 1965 verlor er bei einem schweren Autounfall mit dem Tourbus ein Bein und musste die Band verlassen. Darauf begann er als DJ in Berliner Diskotheken zu arbeiten und wurde 1968 Radiomoderator beim Berliner Sender RIAS. Dort moderierte er bis 1985 die Sendung „Schlager der Woche“, die eine der beliebtesten Radiosendungen sowohl in West- wie auch Ost-Berlin wurde. Allerdings stand Knud immer wieder für seine heftigen Sprüche und sexistischen Witze in der Kritik – was wohl auch zu seiner Entlassung beigetragen hat. Er arbeitete außerdem u.a. als Schauspieler oder als Stadionsprecher bei Hertha BSC. Nach dem Fall der Mauer entdeckte er dann die Berliner Technoszene für sich und tauchte in die neue Partykultur der Stadt ein.


(Foto: Kathrin Windhorst / http://www.kwikwi.org


Unser Kollege Auge hat in den letzten Monaten mit viel Herzblut den Nachlass gesichtet und archivgerecht verpackt. Enthalten sind viele Zeugnisse aus Knuds ereignisreichem Leben von seiner Zeit bei „The Lords“ bis zu seinen Aktivitäten in der Technoszene: darunter Witzesammlungen und anderes Material, das er zur Vorbereitung seiner Radiosendungen nutzte, viele Jahrgänge seiner Plattenkolumne „Lord Knuds Popshop“ aus der B.Z., Zeitungsausschnitte mit Artikeln über „The Lords“ und Knud, Fanpost, Fotos, eine goldene Schallplatte, Mitschnitte von privaten Jams mit Techno-DJs und diverse Merchandising-Artikel aus „Lord Knuds Rainbow Shop“ (den Regenbogen verstand er als Symbol für Frieden und Zusammengehörigkeit). Ein außergewöhnlicher Nachlass, der rund 50 Jahre Berliner Popgeschichte abdeckt. 

Wir Kinder der 90er

Johannes Engelke, Karin Weber, Maren Ziegler, Jacob Thomas
Wir Kinder der 90er.  Alles, was wir damals liebten (und was uns heute peinlich ist)
Goldmann Verlag 2017
206 Seiten
12,00 EUR

The Dream of the 90s is alive

Ob in der Arte-Dokureihe „Welcome to the 90s“, in der US-amerikanischen Comedyserie „Portlandia“ oder als Modetrend in den Berliner Clubs: „The 90s are back “ und sie haben ihren Platz in der popkulturellen Geschichtsschreibung eingenommen. Mit dem Buch „Wir Kinder der 90er“ wollen die Herausgeber*innen nun auch, dass wir einen Platz in unseren Bücherregalen für die 90er freimachen. Dabei geht es in diesem Lexikon über Musik, Mode(sünden), technische Errungenschaften sowie Alltagsgegenständen weniger um eine (pop-) kulturelle oder kulturkritische Kontextualisierung der 90er à la Spex oder testcard, als vielmehr um eine subjektive, scheinbar wahllose Aneinanderreihung von all jenen Dingen, die die Herausgeber*innen damals liebten und die ihnen heute peinlich sind.

Als erster Gegenstand wird der Game Boy beschrieben, gefolgt von dem Bum Bum Eis. Ein stringentes Lexikon von A-Z findet sich hier also nicht, was mich persönlich aber weniger stört und nach meiner Auffassung auch nicht unbedingt zu dem bunten und auch manchmal musikalisch und modisch etwas uneindeutigen Jahrzent der 90er passen würde. Stattdessen sind die ausgewählten Gegenstände der 90er eher nach Beliebheits- oder Bekanntheitsgrad sortiert, das legt jedenfalls der Auftakt mit dem Kultobjekt Game Boy nahe. Gerahmt werden die vorgestellten Gegenstände durch kurze, oft persönliche Texte der Herausgeber*innen, die dabei Einblicke in Familienleben, identitätstiftende Schul-Battles (Lamy vs. Pelikan und Scout vs. McNeill) und Freizeitaktivitäten (Freundschaftsbänder knüpfen, Stickeralben vervollständigen) dieser Kinder der 90er geben.

It was acceptable in the 90s?!

Für mich, ebenfalls ein Kind der 90er, bietet das Buch einen kurzweiligen nostalgischen Ausflug in ein Kaleidoskop verschiedener Kindheits-und Schulzeit-Erinnerungen. Vor allem bestimmte Modesünden von Mitschüler*innen erwachen zum Leben, wie die Kombination des Grauens schlechthin, bestehend aus Helly-Hansen-Jacke, Buffalo-Schuhen und abgerundet durch die berühmt-berüchtigte Schnellfickerhose. Aber auch damals innig geliebte Süßigkeiten, wie die Erdbeerschnüre und das Ed-von-Schleck-Eis sowie heutige technische Kultobjekte, wie die NES- Spielkonsole und das Nokia 3210 Handy mit dem legendären Snakespiel, finden ihren Platz in diesem Buch. Auch wieder in der Versenkung verschwundene Modetrends, wie Henna-Tattoos, Schnapparmbänder, Kangol-Caps und Miss-Sixty-Jeans oder technische (Weiter-)Entwicklungen, wie Mini-Discs, die Telefonkarte und die Showview-Funktion an Videorecordern werden einem beim Durchblättern wieder ins Gedächtnis gerufen. Vermeintliche technische Revolutionen, über die man in Zeiten von Smartphones, Spotify und Netflix nur noch müde lächeln kann.

Es kommt alles wieder

Am Ende gibt es vieles in diesem Buch, das zurecht in Vergessenheit geraten ist. Doch vor allem die Errungenschaften, die dem Zahn der Zeit getrotzt haben und auch heute noch Kultobjekte sind, sowie das Mantra, dass alle Modetrends irgendwann wieder ‚in‘ sind, machen dieses Buch zu einem amüsanten und kurzweiligen Lesevergnügen.  Und vor allem die Menschen, die ihre Kindheit bzw. Jugend in den 90ern verbracht haben, erwartet hier eine nostalgische Achterbahnfahrt durch die Pop- und Trashkultur dieses Jahrzehnts.  Nostalgiker*innen, die ein Wechselbad der Gefühle von Freude bis Scham gut aushalten können, dürfen beherzt zugreifen, aber auch Trendsetter*innen können dieses Buch als Beweis heranziehen, dass wirklich jedes Jahrzehnt sein Mode-Revival bekommt. Vielleicht auch genau die Trends, die uns Kindern der 90er heute immer noch peinlich sind: Ich ganz persönlich hab schon wieder das ein oder andere Tattoo-Halsband an Jugendlichen entdecken können. 

Giuseppina Lettieri

Projektleitung „Diversity Box“, http://www.diversitybox.jugendkulturen.de

Pop-Kultur

Seit zwei Tagen findet zurzeit im Berliner Berghain das neue Festival „Pop-Kultur“ statt. Die Nachfolgeveranstaltung der Berlin Music Week wird nun vom Berlin Music Board organisiert (und nicht mehr von den Kulturprojekten Berlin), es soll etwas ganz anderes und neues sein – und auch als Festival anders als andere Festivals. Von der Berlin Music Week unterscheidet es sich entsprechend sehr deutlich – während die BMW eigentlich eine Konferenz für Akteure der Musikwirtschaft war, scheint dieser Aspekt nun gar keine Rolle mehr zu spielen. Katja Lucker, die Chefin des Music Boards, betonte zu Beginn des Festivals auch, dass es um die Künstler geht und Björn Böhning, Chef der Senatskanzlei, wünscht sich, dass das Festival im Laufe der Jahre vielleicht zu so etwas wie die „Berlinale der Musik“ werden könnte.

Mit dem Berghain als Veranstaltungsort findet das Festival zumindest schon einmal vor beeindruckender Kulisse statt, es wird beispielsweise auch die Halle hinter dem Berghain genutzt, die bisher nur für die Zusammenarbeit von Berghain und Staatsoper („Masse“) und die Kunstausstellung von Berghain-affinen Künstlern („10“) genutzt wurde. Diese beiden Veranstaltungen deuten interessanterweise schon stark in die Richtung, in die sich auch „Pop-Kultur“ bewegt: die Verbindung von Pop und sogenannter Hochkultur, oder vielleicht auch eine bestimmte Form von Pop als neue Hochkultur. Denn Charts-Pop findet sich auf dem Festival nicht, sondern das, was auch in einer Zeitschrift wie der SPEX stattfindet. Und das Berghain arbeitet weiter an seiner Etablierung als Kultur-Institution im Sinne von Orten wie dem HAU oder der Volksbühne.

Das Programm des Festivals ist entsprechend anspruchsvoll und experimentierfreudig – es gibt neben einer großen Anzahl an Konzerten von ganz unterschiedlichen Bands und Künstler_innen sowie DJ-Sets auch Formate, die zwar „Talk“ oder „Lesung“ heißen, bei denen aber immer wieder der Hang zum Performativen spürbar ist. Die Lesung von Andreas Dorau und Sven Regener, die als Eröffnungsveranstaltung fungierte, bei der Doraus Biografie „Ärger mit der Unsterblichkeit“ vorgestellt wurde, war mehr als eine einfache Lesung: Während Regner aus der Biographie las (und dadurch zum Andreas-Dorau-Darsteller wurde) zeigte Dorau im Anschluss an die gelesenen Passagen Fotos und Filme, beispielsweise einen absurden Kurzfilm namens „Die kleine Frau“, den er an der Filmhochschule gedreht hatte, oder das Musikvideo zu „So ist das nunmal“. Eine ganz außergewöhnliche Veranstaltung war der „Talk“ von Sebastian Schipper, der die letzten 60 Minuten seines preisgekrönten Films „Viktoria“ zeigte, dabei meist ohne Ton, und dazu Platten auflegte, über die Dreharbeiten sprach und auf Fehler im Film aufmerksam machte. Außerdem rief er zwischendurch bei dem sich gerade in Island aufhaltenden Kameramann sowie einem der Schauspieler an, um ihm zu sagen, wie wichtig er für den Film gewesen sei. Das Ganze fand in der Halle am Berghain statt, einem riesigen Raum, wodurch die Situation noch außergewöhnlicher wurde. Ein Experiment war auch die Veranstaltung mit dem twitternden Philosophen Eric Jarosinski und der Musikerin Michaela Meise am Donnerstag, bei der zwei komplett unterschiedliche Dinge miteinander kombiniert wurden – ein Vortrag über Twitter und Philosophie mit trauriger Akkordeonmusik. So spannend diese Programmpunkte auch waren und auch die Auswahl der Gäste überraschend ist (z. B. waren auch der Neurologe Tom Fritz und der Maler Norbert Bisky zu Gast), ein wenig mehr Diskussion und Austausch über einzelne Aspekte von Pop wäre manchmal wünschenswert gewesen.

Ebenfalls auffällig „anders“ war der zeitliche Ablauf des Festivals, zumindest teilweise: Am Mittwoch war ich nach der Lesung von Dorau und Regner bei dem Technoliveact von Pantha du Prince (feat. Triad), das aus relativ hartem, okkultistisch angehauchtem Techno bestand (um 19:20), danach das eher experimentelle Konzert von Bianca Cassadys (CocoRosie) Soloprojekt mit Tanzperformance, danach eine Talkrunde zu Bühnenshows und zuletzt, um 12h nachts, die Veranstaltung mit Sebastian Schipper. Da man sich das Programm aus einzelnen Modulen zusammenstellen konnte, wäre allerdings auch ein weniger außergewöhnlicher Ablauf möglich gewesen.

Die Module – z. B. waren die Auftritte von Pantha du Prince und Bianca Cassady ein Modul, wodurch auch wieder eine außergewöhnliche Kombination von zwei sehr unterschiedlichen musikalischen Projekten entstand – müssen einzeln gekauft werden, was für Besucher_innen, die z. B. nur eine einzelne Lesung sehen wollen, wunderbar ist. Wer allerdings das Festival wie ein Festival besuchen möchte und entsprechend drei Tage lang viele verschiedene Sachen sehen will, muss dann unter Umständen ziemlich tief in die Tasche greifen.

Insgesamt kann man sagen, dass Pop-Kultur (vor allem wegen des nerdigen Programms) nicht Pop im Sinne von „populär“ ist. Das hat auch der wunderbare Auftritt von Neneh Cherry am Donnerstag unterstrichen – im Sinne von „fuck nostalgia“, wie Cherry dies ausdrückte, spielte sie ihre größten Hits – u. a. Buffalo Stance – in kaum wiedererkennbaren Versionen. So war auch der Auftritt des wahrscheinlich bekanntesten Popstars des Festivals ein Statement gegen Pop als Musik aus und für die Popmusikcharts. Deshalb stellt sich die Frage, was hier eigentlich mit Pop gemeint ist, das Programm ist zwar wunderbar, aber das Festival wirkt auch ein wenig elitär – was Pop doch eigentlich nicht sein sollte.

Daniel Schneider

Zine of the Day: scripti / buzz

scripti #7

scripti #7

buzz

buzz

Während die seit 1980 erscheinende Spex als vorbildlichin Sachen Poptheorie gilt, erschien ca. zeitgleich in Hagen das Magazin scripti (später buzz).

Die Mischung aus Bandinterviews, Musikanalysen, kunsttheoretischen Abhandlungen und politischen Artikeln bewegt sich auf gleichbleibend hohem Niveau.

Eine Lektüre dieser Hefte zeigt deutlich, dass intellektuelles Vergnügen (Artikel über Surrealismus), Lebensart (Aborte – Begegnungsstätte, Kulturträger oder Kultstätte?) und Genuss (der große Imbissbudentest) sich nicht ausschließen.

In New-Wave-Grafik gesetzt und trotzdem sachlich anmutend und vor allem: lesbar.

http://www.stolensharpierevolution.org/international-zine-month

#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Jugendkulturen #Popkultur #Poptheorie

– Peter Auge Lorenz

West:Berlin

Mal wieder West-Berlin: wir waren endlich in der Ausstellung des Berliner Stadtmuseums „West:Berlin – Eine Insel auf der Suche nach Festland“ im Ephraim-Palais, die dort schon seit November letzten Jahres zu sehen ist und noch bis zum 28. Juni gezeigt wird. Die Ausstellung gibt einen facettenreichen Einblick in die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und vor allem auch kulturellen Aspekte und Phänomene des von der Mauer umgebenen West-Berlins bis 1989. Gezeigt werden Dokumente, Fotos, Filme, Kunstwerke, Alltagsgegenstände und z. B. auch ausgestopfte Tiere aus dem Berliner Zoo (der Panda Bao Bao und das Nilpferd Knautschke, die ein wenig kontextlos in der Gegend herumstehen), es entsteht ein umfassendes Bild von der Stimmung und dem Leben in der Stadt. Gerade die Bilder sind beeindruckend, beispielsweise das komplett durch den Krieg zerstörte Kreuzberg oder der Alltag im Schatten der Mauer in den 1980er Jahren. Wunderbar sind auch die vielen Plakate von kulturellen Veranstaltungen – selbst die Theaterszene hat einen eigenen Raum und die vielfältige Kulturszene wird immer wieder thematisiert. Kultur diente in dieser „Frontstadt“ auch dazu, die Stadt attraktiver zu machen (neben vielen anderen Vergünstigungen, die Menschen aus Westdeutschland dazu bewegen sollten, in die Stadt zu ziehen) und sie als lebendigen und freien Ort, als Repräsentantin des westlichen Lebensstils zu präsentieren. Sowieso Freiheit – der Begriff findet sich überall: Freie Universität, Freie Volksbühne, Sender Freies Berlin und so weiter. Und auch das Fehlen der polizeilichen Sperrstunde und die ausgesetzten Wehrpflicht gehört hier dazu – West:Berlin erscheint als ein Labor, in dem sich die Menschen ausprobieren konnten, vielleicht sogar in gewisser Hinsicht sollten – sie wurden ja tatsächlich staatlich unterstützt (eben durch die Vergünstigungen und die Freiheiten). So konnte sich ein hedonistisches Nachtleben entwickeln und ein breiter kultureller und politischer Untergrund fand hier sein Zuhause – trotz der unübersehbaren Präsenz des Militärs der Westalliierten und einer immer wieder repressiven Polizeipolitik.

Die Ausstellung ist nicht chronolgisch aufgebaut, sondern thematisch; es gibt einzelne Räume zur Wirtschaft, zur Student_innenbewegung, den Hausbesetzer_innen, dem Stadtumbau etc. Dadurch wirkt die Ausstellung leider etwas unübersichtlich, vor allem auch dadurch, dass bestimmte Aspekte in vielen verschiedenen Räumen vorkommen. Gerade in Bezug auf den vielfältigen politischen und kulturellen Untergrund bzw. die grob als „links“ zu verortenden Bewegungen fand ich das besonders auffällig. All die Szenen und Akteure, die in diesem Kontext eine Rolle spielten – von der Student_innenbewegung bis zur Punk- und New-Wave-Szene (die aufkeimende Technoszene und die erste Loveparade von 1989 fehlen allerdings) – sind über die ganze Ausstellung verteilt, die Zusammenhänge muss man sich als Besucher_in dazudenken, wobei ein gewisses Vorwissen nützlich ist. Dann wird es aber auffällig, wie sehr diese gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche die Stadt durchdrungen haben und die einzelnen Themen miteinander vernetzt sind. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn es zur Ausstellung einen umfassenden, reich bebilderten Katalog gäbe, aber leider gibt es nur ein kleines Büchlein als Begleitband – das es aber immerhin kostenlos zum Ticket dazu gibt. Und, parallel zur Ausstellung im Ephraim Palais gibt es noch die Fotoausstellung „Bühne West-Berlin“ im Märkischen Museum, zu der ein schöner Katalog erschienen ist.

Was ich außerdem noch erwähnen muss: Auch ein Exponat aus dem Archiv der Jugendkulturen findet sich in der Ausstellung: Das Punkfanzine „Die Berliner Ghettoratte“ aus den 1980er Jahren.

West:Berlin – Eine Insel auf der Suche nach Festland
Ephraim Palais Poststr. 16 (im Nikolaiviertel in der Nähe vom Roten Rathaus)
10178 Berlin
Öffnungszeiten: Di, Do – So 10 – 18h, Mi 12 – 20h
Eintritt: 7 €, ermäßigt 5 €, bis 18 Jahre freier Eintritt
1. Mittwoch im Monat Eintritt frei

Daniel Schneider

Rolling Stone

Arne Willander, Sebastian Zabel, Heiko Zwirner (Hrsg.)
Rolling Stone – Das Beste aus den ersten 20 Jahren
Metrolit 2014
336 Seiten
30 €

metrolling-stoneDas 1967 in den USA gegründete Magazin „Rolling Stone“ ist bis heute ein interessantes Blatt geblieben. Autoren wie Lester Bangs und Hunter S. Thompson probierten den später so genannten „New Journalism“ aus und etablierten diese Arbeitsmethode als Stil. Die Inhalte waren nicht nur Popmusik, sondern auch Underground, große Politik und Alltag. Über die gesamte Erscheinungszeit wurden ihm Preise sowohl für Inhalt als auch Form verliehen.

1994 erschien der erste deutsche „Rolling Stone“, ab 2002 in der Axel Springer Mediahouse Berlin GmbH. Zum 20. Jubiläum ist ein Band mit ausgewählten Texten im Metrolit Verlag erschienen. Das Themenspektrum bewegt sich zwischen etablierten Popveteranen wie Bob Dylan, den Rolling Stones und den Scorpions, aktuellen Musiker_innen wie Oasis und Joanna Newsom und Newcomern wie z. B. Kraftklub. Es gibt Texte über Maler, Mode, Fernsehserien, Schauspieler.

Leider sind die Vorbilder des New Journalism hier nur eine Schablone dafür, die Interviews sprunghaft zu führen, überheblich und oberflächlich Bands und ihre Fans abzukanzeln sowie die Empfindlichkeiten und Tätigkeiten der Journalist_innen zu beschreiben. Wurden hier wirklich die besten und charakteristischsten Beiträge für diese Festschrift ausgewählt? Wir wollen es nicht hoffen. Jeder Artikel ist mit Zusatzinformationen wie 10er-Listen oder Diskographien versehen, ergänzt durch briefmarkengroße Abbildungen.

Der eigentliche Mehrwert liegt dann auch im Anhang: sämtliche Cover besagter zwanzig Jahre: 16-mal sind die Rolling Stones zu sehen, 13-mal die Beatles, 13-mal Bruce Springsteen, 10-mal Bob Dylan. So gibt der schön schwer in der Hand liegende Jubiläumsband ein anschauliches Beispiel für ziemlich rückwärtsgewandten Popjournalismus. Die aktuellen Debatten finden woanders statt.

Peter Auge Lorenz

Everybody’s Gypsy 

Dotschy Reinhardt
Everybody’s Gypsy: Popkultur zwischen Ausgrenzung und Respekt
Metrolit 2014
224 Seiten
17,99 €

metgypsypop-1Dotschy Reinhardt, eine in Berlin lebende Sinteza, thematisiert in diesem Buch die in der weißen Mehrheitsbevölkerung weit verbreiteten Klischees von Sinti und Roma. Dabei spürt die in Berlin lebende Jazzmusikerin, Schriftstellerin und Aktivistin antiziganistische Ressentiments fernab von NPD-Wahlkampfplakaten dort auf, wo wir sie zunächst nicht unbedingt erwarten würden: in der Popkultur.

Einerseits will man uns nicht als Nachbarn haben, aber die Gypsy-Nude holt man raus, wenn man mal wieder böses Mädchen spielen will. Nicht zu vergessen den “Gypsy-Rock”, die “Gypsy Boxer-Shorts“ und die „Gypsy Panties.”

Ob als Projektionsfläche für den feuchten Hippietraum oder als Zielscheibe von Stammtischsprüchen, die auch in der bürgerlichen Mitte regen Zuspruch erhalten – der weiße Blick auf Sinti und Roma scheint stets zwischen Aneignung und Ausgrenzung zu oszillieren. Der “Gypsy-Style” ist aus der deutschen Musik-, Medienlandschaft, Kunst- oder Modelandschaft kaum wegzudenken und ist dabei extrem warenförmig. Ob die Figur der Wahrsagerin bei den Sims, Schnittmuster “Esmeralda” und sogar ein eurasischer Schmetterling – der Begriff “Gypsy” verspricht erfrischende Abwechslung vom tristen Alltag der Leistungsgesellschaft in Kartoffeldeutschland und steht für Temperament, Lebensfreude, Impulsivität und Kitsch.

Mit der Lebensrealität von Sinti und Roma haben diese Klischees freilich wenig zu tun. Neben rassistischer Anfeindung auf der einen Seite führen sie auf der anderen Seite zu einer Vorstellung, in der Sinti und Roma als “bunte Flecken” in der Gesellschaft und als Platzhalter der “Vielfalt” herhalten dürfen. Hinter dem Schlagwort „Vielfalt“ lauert dabei immer die Festschreibung von Menschen auf Identitäten, die ihnen aufgrund rassistischer Stereotype zugewiesen werden.

Die problematischen Auswirkungen, die Reinhardt beschreibt, sind dabei ebenso vielfältig: Zum Einen werden Traditionen der Sinti und Roma missachtet, zum Anderen werden Eigenschaften, die realpolitische Ursachen haben, naturalisiert und romantisch verklärt. So ignoriert beispielsweise das romantisierte Bild eines Nomadenvolkes, das gerne in provisorischen Unterkünften lebt, die Tatsache, dass Sinti und Roma seit jeher vertrieben und verfolgt (in der krassesten Ausprägung in Form eines Völkermordes während der NS-Zeit) wurden und noch immer werden.

Im dominanten Diskurs werden Künstler_innen und Kulturschaffende zudem gezwungen einem vorverhandelten Bild von sich zu entsprechen. Dotschy Reinhardt fragt: “Dürfen wir wirklich nur dazugehören, wenn wir die Vorstellungen dieser Mehrheitsgesellschaft erfüllen?” und nimmt uns mit auf eine Tour de Farce durch die (deutsche) Klischeelandschaft, die sich trotz sprachlicher “Bemühungen” noch nicht wirklich verändert zu haben scheint.

Ein Sprachwandel, wie beispielsweise die Kinderbuchdebatte zeigte, geht in Deutschland zäh von statten – zu ungerne überdenkt man die eigenen Rolle als Angehörige der weißen Mehrheitsgesellschaft. Doch auch wenn das Z-Wort heute weniger selbstverständlich in den Mund genommen wird, so wird es im medialen Diskurs von anderen, pejorativ verwendeten Begriffen abgelöst. So tummeln sich dort beispielsweise “Roma-Bettelbanden”, aber auch ohne explizite Benennung finden sich immer wieder implizite rassistisches Ressentiments, wie Reinhardt anhand einer Anekdote über die Einladung als Talk-Show-Gast bei Anne Will zum Thema: “Betteln, schnorren, Spenden sammeln – wird unser Mitleid ausgenutzt?” zeigt.

An solchen Stellen hakt die Autorin nach, konfrontiert die Verantwortlichen mit ihren Rassismen und Klischeevorstellungen und artikuliert ihr Unbehagen. Ihre eigenen Erfahrungen, die sowohl von Erfolgen als auch von Rückschlägen geprägt sind, erzählt sie dabei in unterhaltsamen Episoden und liefert eine differenzierte Analyse der Situation von Sinti und Roma in der Kultur- und Medienlandschaft: Wie oft kommen Sinti und Roma selbst in der medialen Berichterstattung über sich zu Wort? Was ist problematisch daran, wenn sich Miley Cyrus während ihrer “Gypsy Heart Tour (carazón de Gitana)” als feurige Flamenco-Braut stilisiert, und worin besteht der Unterschied, wenn die Band Gogol Bordello das Label Gypsy-Punk für sich beansprucht?

Neben dem Aufdecken kultureller Appropriationen steckt aber noch eine andere Stärke in dem Buch: es lässt Kulturschaffende zu Wort kommen, die bisher wenig Beachtung fanden. Auf einem Roadtrip fern von Bauwagenromantik und weit über die Grenzen Deutschlands hinaus stellt Reinhardt dabei ein Kaleidoskop an Musiker_innen, Künstler_innen, Modedesigner_innen und Netzwerken vor, die für eine lebendige kulturelle Szene von Sinti und Roma und deren Supporter_innen stehen. So hilft Everybody’s Gypsy nicht nur bei der Weiterbildung, sondern liefert Gegenbilder in einer einseitig geführten Diskussion.

Hannah Zipfel

Gravitationsfeld Pop

Uwe Breitenborn, Thomas Düllo, Sören Birke (Hg.)
Gravitationsfeld Pop – Was kann Pop? Was will Popkulturwirtschaft? Konstellationen in Berlin und anderswo
Transcript Verlag 2014
463 Seiten
34,99 €

Bild Gravitationsfeld Pop

„No escaping gravity“ singt Brian Molko von Placebo im Song „Special K“. Kein Entkommen. Gravitation ist Kraft, wirkt anziehend, ist unausweichlich. Neben Placebo wählen die Herausgeber zum Einstieg noch weitere Musiker (James Brown, Eminem …) und Bands (Type O Negative, Yo La Tengo …), die sich musikalisch an der Gravitationsmethapher abgearbeitet haben. Als Fan der ersten Stunde bleibe ich jedoch unweigerlich bei Placebo hängen. Als wäre es gestern gewesen kommt mir Brian Molkos Stimme in den Kopf und das sich im Refrain immer wiederholende und in die Länge gezogene „Gravi(iiii)ty“. Das dazugehörige Video, in dem die Band auf Miniaturgröße geschrumpft in einem Raumschiff durch den menschlichen Körper fliegt, und auch so einige Konzerterinnerungen wechseln sich in meinem Kopf ab. No escaping pop memories.

Änhlich der Gravitationskraft kann man sich, jedenfalls geht es mir so, auch popkulturellen Einflüssen nur schwer entziehen. Ob im Alltag oder der Freizeit: Popkultur, und vor allem Popmusik, prägt und ist aus dem Leben vieler Menschen nicht wegzudenken. Pop schafft Erinnerungen und Emotionen. Und das auch viel stärker als jeder (minutiös) geplante Ausflug in die Hochkultur. Sprich: Man trifft mich definitiv öfter in Clubs, auf Konzerten oder Parties als in der Oper oder im Museum. Diese Aussage findet sich auch in einem Interview mit Olaf „Gemse“ Kretschmar (Vorstandsvorsitzender Berliner Club Commission) wieder, der den Club, neben Familie und Freunden, immer mehr zur Zivilisationsinstanz für Jugendliche erhebt. Doch obwohl Pop und Popkultur im Leben vieler Menschen einen größeren Einfluss und emotionalen Wert haben als Hochkultur, schwankt das Image und die Anerkennung von Popkultur immer noch sehr stark. Pop bewegt sich in der Wahrnehmung in einem Spannungsfeld. Für einige ist es „Avantgarde“ in der Tradition der Pop Art, für andere einfach nur „Mainstream“, also ein auf Massengeschmack ausgerichtetes und oftmals inhaltsleeres Produkt. Auch im Bereich der Kulturförderung fristet alles, was sich im Gravitationsfeld Pop bewegt, immer noch ein Schattendasein, da Popkultur nicht oder nur selten in die vorhandene Förderungslogik der Kulturpolitik passt.

Doch seit einigen Jahren bewegt sich etwas. Die Richtung und Auswirkung ist noch nicht genau erkennbar, aber die stetig wachsende Anerkennung von Pop und Popkultur im Bereich der Kulturförderung, aber auch die Wirkung und Impulse auf Stadtentwicklung, Club- und Musiklandschaft sowie die Ausformung neuer kreativer Ausdrucksformen schlagen sich in diesem Band nieder. Denn Gravitationsfeld Pop bietet auf über 400 Seiten Interviews und Beiträge, die sich in unterschiedlichen Facetten den Anziehungskräften und Sogwirkungen von Pop(-musik) und Popkultur widmen.

Fragen, die sich dabei stellen, sind: Welche Kräfte wirken im Bereich Pop? Welche Wechselbeziehungen gibt es zwischen Akteur_innen aus der Club- und Musiklandschaft und denjenigen aus der Kulturförderungspolitik und in welcher Konstellation stehen diese zueinander? Wie funktioniert und verändert sich Popkultur oder auch die mittlerweile in Berlin etablierte Szenewirtschaft unter sich immer mehr verschärfenden ökonomischen Aspekten wie der Gentrifizierung, die sich auf die Clublandschaft, Kreativwirtschaft und generell urbane Lebensstile auswirken? Diesen und vielen weiteren Fragen widmet sich der Band Gravitationsfeld Pop. Neben Interviewbeiträgen, in denen vordergründig Akteur_innen aus der Musik- und Clublandschaft zu Wort kommen und alltagspraktische Fragen beantwortet werden, gibt es auch Beiträge, die sich unter kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten mit den verschiedenen Aneignungspraxen von Pop und Popkultur beschäftigen.

Pop, so wird auch hier klar, scheint allgegenwärtig ohne dabei aber in festen Laufbahnen zu zirkulieren. Die einzelnen Beiträge umkreisen die mal mehr mal weniger scharfen Begriffe Pop, Popmusik, Popkultur und Populärkultur. Das macht zum einen die Fülle an Bezügen und Assoziationen deutlich, die man im Kopf hat, wenn das Wort Pop fällt, lässt mich als Leserin aber auch ab und an den Überblick verlieren, wovon denn gerade die Rede ist. Generell fällt der Band weniger durch Definitionsschärfe der verwendeten Begriffe auf, als mehr durch deren Kontextualisierung.

Und der Kontext lautet Berlin. Wer sich mit dem endlosen Treiben Berlins als „24- Stunden-Stadt“ und coole Musik- bzw. Technometropole auf einer analytischeren Ebene annähern will, kann bei Gravitationsfeld Pop beruhigt zugreifen. Der Vielfalt an Clubs (Berghain, Kesselhaus, Astra etc.), Kulturevents (Karneval der Kulturen, Fete de la musique etc. ) und Musikveranstaltungen (Balkan Beats Partyreihen etc.) bis hin zur Heterogenität der Musikinitiativen, wie der Berliner Club Commission, dem Berlin Music Board oder auch dem Verband unabhängiger Musikunternehmen (VUT), wird in den Beiträgen viel Platz eingeräumt oder aber die jeweiligen Akteur_innen kommen selbst in Interviews zu Wort. Berlin zu wählen erscheint aber auch nachvollziehbar, da Pop in der wirtschaftlich schwachen Hauptstadt zunehmend zum Motor der Stadtentwicklung wird, also als attraktives kulturelles und wirtschaftliches Gut immer stärker wahrgenommen wird.

Über die Anziehungskraft des Buches bin ich am Ende geteilter Meinung. Es gibt fundierten, kulturwissenschaftlich unterfütterten Einblick in die Club-, Musik-, Akteurs- und Förderungslandschaft Berlins. Da ist auch schon der Haken. Es ist (fast) alles auf dem scheinbaren Pop-Gravitationskern Berlin bezogen. Nach den „Konstellationen anderswo“, wie im Untertitel angekündigt, sucht man in diesem über 400 Seiten starken Band eher vergebens. Wer also gerne auch einen Blick auf die Entwicklung der Pop-Peripheriegebiete werfen möchte, wird leider eher enttäuscht sein. Für alle anderen, vor allem den an Berlin interessierten, werden Innenansichten in die vielfältige Party- und Clubkultur Berlins geliefert.

Giuseppina Lettieri

UdK- Ringvorlesung TECHNO STUDIES

Morgen treffen sich Felix Denk von der zitty, Ulrich Gutmair von der taz und Sven von Thülen zum Gespräch. Gegenstand des Gesprächs: Berlin Techno – „Der Sound der Wende“, „Der Klang der Familie“, „Party auf dem Todesstreifen“.

Alles Bücher bzw. Dokumentationen, die sich mit Techno, dem Berlin der Wendezeit und der daraus entstandenen Club-und Partykultur befassen, die mittlerweile fester Bestandteil des Berlin-Hype und Mythos ist und diese Stadt zur derzeit angesagtesten Musik-und Partymetropole macht.

Das Gespräch mit den Protagonisten dieser Veröffentlichungen findet im Rahmen der UdK- Ringvorlesung „TECHNO STUDIES.ÄSTHETIK UND GESCHICHTSSCHREIBUNG ELEKTRONISCHER TANZMUSIK“ statt, die bereits seit dem 11.11.2014 immer dienstags Vorträge rund ums Thema Techno von 19.00-21.00 c.t. in der Fasanenstr. 1b, Raum 322, 10623 Berlin anbietet.

Darüber hinaus findet zudem am 12. und 13. Dezember eine internationale Tagung statt, bei der u.a. Jochen Bonz, Diedrich Diederichsen, Gabriele Klein, Sascha Kösch und Rosa Reitsamer über Techno referieren. Aber auch das Archiv der Jugendkulturen ist mit dabei. Genauer gesagt wird Daniel Schneider (wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Pop-und Subkulturarchiv) am Samstag (13. Dezember) einen Vortrag zum Thema „Party im Schuber. Über die Archivierbarkeit der Technoszene“ halten.

Wann: 12.+13.Dezember 2014 von 10.00- 21.00

Wo:  Hardenbergstr. 33, Raum 102, 10623 Berlin

Teilnahme kostenlos, Anmeldung erwünscht (keine Platz-Garantie möglich).

Kontakt: techno@udk-berlin.de

The AV Club

Da wir es diese Woche nicht geschafft haben, eine neue Rezension oder einen Artikel zu verfassen, diesmal ein Hinweis auf eine Webseite, auf der es viel interessantes Zeug zu entdecken gibt: The AV Club, eine us-amerikanische Popkulturseite. Täglich werden hier Rezensionen und Artikel veröffentlicht, u. a. zu Popmusik, Filmen, Büchern, Comics und Videospielen. Eine besondere Stärke ist die Masse an Rezensionen zu den jeweils aktuellsten Folgen amerikanischer TV-Serien – wer auf der Suche nach neuen Serien ist, die es lohnt anzuschauen, wird hier auf jeden Fall fündig.

Auch an anderen Stellen ist die Seite eine wahre Fundgrube, so werden regelmäßig Einführungen in popkulturelle Themen veröffentlicht. Ganz aktuell ein Primer zu Aphex Twin, andere Primer gibt es beispielsweise zu J-Pop, Motown oder dem Hip-Hop-Kollektiv Native Tongues. Eine andere, ähnlich funktionierende Kategorie ist Gateways to Geekery, dort finden sich Einführungen z. B. in Industrial Music, Oi! oder der Musik der Riot-Grrrl-Bewegung. Neben Musik gibt’s aber auch alle möglichen anderen Sachen in diesen Kategorien zu entdecken, das Spektrum reicht von Batman-Comics über Marlene Dietrich bis Wrestling. Also, viel Spaß beim Stöbern!

Don’t Spotify your Life – Die Nischen auf der Berlin Music Week

„Betrug“ und „Skandal“, so hallt es am 1. Konferenztag der Berlin Music Week (BMW) durch den Postbahnhof. Dieter Meier (Yello) sitzt auf dem Eröffnungspodium der WORD! -Konferenz und macht erst mal alle Anwesenden richtig wach. Streaming, der neuer Streif am Horizont des sich jahrelang immer mehr verdüsternden Musikindustriehimmels? Sind Musikstreamingportale wie Spotify eine neue Möglichkeit für Künstler_innen endlich wieder Geld mit ihrer Musik zu verdienen? Nicht für Dieter Meier. Denn auch mit Streamingzahlen im Millionenbereich wird man bei Spotify mit so wenig Geld abgespeist, dass „es kaum reicht die Wasserrechnung zu zahlen“, so Meier. Die Intransparenz, was Zahlen, Abrechnungsmodi und faire prozentuale Beteiligung der Musiker_innen angeht, prangert er dabei weniger in Bezug auf seine Person an, schließlich habe er das Glück gehabt mit Yello mehrere Millionen (physische) Tonträger verkauft zu haben, sondern vor allem stellvertretend für junge Künstler_innen, die in der „Ära nach der CD“ auf neue Absatzmöglichkeiten angewiesen sind.

Da sind wir dann schon mitten im Themenschwerpunkt der fünften BMW angekommen: Digitalisierung und Streaming. Ein wenig abseits finden sich aber interessante Nischen, die pop- und jugendkulturelle Entwicklungen in den Fokus nehmen. Da gibt es dann Fragen zur Indie- Ästhetik heute, ein bisschen Popfeminismus- und Diversitydiskurs und als Glasur noch Bestandsaufnahmen zu DIY-Strukturen im urbanen Raum und politischen Haltungsfragen im Pop obendrauf.

Von DIY zu DIT

Wie in DIY-Strukturen professionell arbeiten? Dieser Frage stellen sich verschiedene Akteur_innen, die seit vielen Jahren in der Berliner und Hamburger Club- und Labelandschaft (u.a. Schokoladen, about blank, Audiolith) als DIY-Booker_innen, Veranstalter_innen und Labelbetreiber_innen aktiv sind. Zugegeben, ein etwas widersprüchliches Unterfangen bei DIY überhaupt in Chiffren von Professionalität zu denken. Der Ausgangsfrage wird im Gespräch dann auch nur wenig Raum gegeben. Es geht vielmehr um Aspekte wie Authentizität, den Kollektivgedanken, Fairness im Umgang mit Bands, Spaß bei der Sache und natürlich um die Liebe zur Musik an sich. Hauptsache keinen Job machen, den man hasst und schon gar nicht in Abhängigkeit arbeiten, so das Credo. Da verwundert es dann auch nicht, dass alle in die Empowerment-Hymne einstimmen und „denen da draußen“ als Ratschlag auf den Weg geben, sich und ihre Ideen einfach auszuprobieren. Und das natürlich am besten nicht alleine, sondern in einem Netzwerk ähnlich interessierter Menschen, am besten Freund_innen, um im Sinne einer Bottom-up-Strategie gemeinsam Nischen für selbstverwaltete Freiräume und Veranstaltungen zu besetzen. Denn der Sinn hinter „Do it yourself“ (DIY) soll weniger als ein „Mach alles alleine“, sondern eher als ein gemeinsames Tun, ein „Do it together“ (DIT) verstanden und gelebt werden. Wie leicht es heute noch ist in einem immer stärker spekulationsverseuchten Berlin solche Freiräume zu etablieren und aufrechtzuerhalten, das sollen sich „die da draußen“ dann aber doch lieber selbst beantworten.

Did we make any progress? 20 Jahre nach dem Riot Grrrl Manifest

„Revolution Girl Style Now“. Mehr als 20 Jahre nach der so betitelten Bikini-Kill-Platte und dem Riot Grrrl Manifest, erstaunt mich, dass mir 2014 ein Panel mit diesem Titel ins Auge springt, um auf den zweiten Blick zu fragen, wie es um die Rolle und Sichtbarkeit von Frauen im Musikgeschäft heute bestellt ist.

Sonja Eismann (Missy Magazin) deprimiert dann gleich zu Anfang. Das hat weniger mit ihrer Moderationsleistung zu tun, als vielmehr mit den ernüchternden Zahlen, die sie zum Diskussionseinstieg liefert. Denn auch die Musikindustrie, welch Wunder, ist ein Abziehbild der Gesamtgesellschaft. Auch hier greifen und perpetuieren sich Mechanismen und Strukturen der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen. So verdienen Frauen auch in der Musikindustrie deutlich weniger als Männer, findet man in den Führungsetagen der Labels eher selten eine Frau und auch bei der Produktion von Musik überflügeln Männer Frauen um Längen.

Dem Impuls aufzustehen und mich lieber in die Sonne zu setzen, widerstehe ich nur knapp, denn Eismann beteuert „We are not here to complain“. Doch die Frage, ob sich in den vergangenen Jahren eine sichtbare Entwicklung zum Besseren ausmachen lässt, wird wenn nur zaghaft positiv beantwortet. Die Rede ist da von mehr „Awareness“ dem Thema gegenüber (Electric Indigo/ Female Pressure). Es wird also mehr darüber diskutiert, was sich jedoch immer noch viel zu wenig in der Praxis bemerkbar macht. Jetzt bin ich nicht mehr nur deprimiert, sondern fast schon desillusioniert. Doch: ein Lichtblick. So recht weiß zwar keiner warum, aber das Berghain hat im vergangenen Jahr mehr weibliche DJs gebucht als jemals zuvor. Momentaufnahme oder doch ein erstes Aufbrechen verkrusteter Entscheidungsstrukturen im Zuge der Female Pressure Studie 2013?

Aber eine wirkliche Revolution à la Girl Style muss doch anders aussehen? Mehr Empowerment. Natürlich! Etablierte Musikerinnen sollen ihre Vorbild- und Mentoringfunktion für Nachwuchskünstlerinnen stärker wahrnehmen. Absolut! Bei Quotenregelungen und speziellen Musikawards für Künstlerinnen gehen die Meinungen dann doch stärker auseinander. Vor allem in Bezug auf die Wirkung und Symbolkraft dieser Instrumente, die in der öffentlichen Wahrnehmung auch mal nach hinten losgehen kann und Geschlecht eher als unterscheidendes Merkmal manifestiert, als diese Kategorie obsolet zu machen. Das zeigt nicht zuletzt die jahrelang geführte Debatte über die Einführungen von Frauenquoten in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen.

Am Ende bleibt: Alles keine schlechten Ideen, aber irgendwie schon tausendmal gehört. Wirklich revolutionäre Lösungsansätze sucht man vergebens. Ich muss an eine Textzeile aus dem Song „Rebel Girl“ (Bikini Kill) denken: „When she talks, I hear the revolution“ singt Kathleen Hanna. So ein Rebel Girl hätte diesem Panel sicher auch ganz gut getan.

Die neue Indieästehtik ist Hi-Tech

Adam Harper reißt mich dann mit seinen Vortrag „Indie goes Hi-Tech“ aus meiner 90er-Jahre-Nostalgie. Obwohl er mit einer Szene aus Portlandia, einer amerikanischen Comedyserie mit Fred Armisen (Saturday Night Live) und Carrie Brownstein (Sleater Kinney, Wild Flag) beginnt. „We put a bird on it“ heißt es da und „The Dream of the 90s is alive in Portland“. Doch wer sich jetzt in sicheren Gefilden wähnt, was Stile, Referenzen und Codes der heutigen Indie-Kultur angeht, den duscht Harper schon gleich im nächsten Augenblick wieder kalt ab. Seiner Meinung nach gehört die in Portlandia zelebrierte Indie-Ästhetik schon längst der Vergangenheit an und ist nur noch was für Nostalgiker_innen, die in den 80ern groß geworden sind. Autsch, getroffen.

Das naiv verspielte, oftmals charmant rohe und selbstgemachte ist vielmehr einer unterkühlten, dekadent anmutenden, modernen Bildsprache in Videos, Plattencovern und Visuals gewichen. Vor allem in der elektronischen Musik verweben sich minimalistische Musikstile mit reduzierten, futuristischen Bildwelten und Motiven. Spannende Vertreter_innen dieser neuen pasticheartigen Indieästhetik sind neben James Ferraro vor allem auch viele Künstlerinnen, wie Fatima al Quadiri, FKA Twigs, Laurel Halo und auch queere Acts wie Le1f und Mykki Blanco. Die neuen Musikgenres heißen Vaporwave oder Cuteness und sind in ihrer Ästhetik auch stark vom Manga-Stil beeinflusst, oft gefährlich nah an klischeehaften Darstellungen, die in Exotismus abzugleiten drohen. Das findet man sicher nicht mehr auf den Parties im Jugendzentrum um die Ecke. Also alle Nostalgie über Board. Jugendliche und Künstler_innen entwerfen ihre Idee von Indie-Ästhetik neu, und diese wird, wie so vieles, von den Möglichkeiten digitaler Technik bestimmt.

We are the Teenagers

Um Jugendliche und technischen Fortschritt geht es auch bei dem „When Teenage Music Fans are your Audience“-Panel. Genauer gesagt, um deren Hörgewohnheiten und Musikkonsumverhalten. In der vorgestellten Studie zeigt sich, dass mittlerweile 90% der Jugendlichen ein Smartphone besitzen und dieses zum Musik hören nutzen. Das tun sie hauptsächlich über Youtube und noch recht verhalten über Spotify (20%). Und nur noch knapp 14% besitzen überhaupt ein Gerät mit dem man CDs abspielen kann.

Wie Jugendliche Musik hören und konsumieren hat sich im Vergleich zu den Vorgängergenerationen somit gravierend verändert. Physische Tonträger (Kassetten, Vinylplatten und CDs) spielen bei Ihnen kaum eine Rolle. In Zeiten von MP3s und der Verbreitung von Musik über das Internet bedeutet das auch, dass ein Großteil der Jugendlichen in ihrer musikalischen Sozialisation nie für das Hören von Musik bezahlt haben und die Frage, die sich daran anschließt und nicht nur die Musikindustrie umtreibt, ist: Warum sollten sie es dann als Erwachsene tun?

Schlechte Haltungsnoten im Pop

Mit schwierigen Fragen startet auch mein letztes Panel „Pop + Politik = Haltung ?“ der BMW. Hat Popmusik heute noch gesellschaftspolitische Relevanz? Was ist Haltung für euch?

Was dann eine gute Stunde lang folgt ist ein diffuses Potpourri aus Gedankenfetzen und Beiträgen, die immer wieder um die sicher nicht einfache Begriffsdefinition Haltung kreisen. Sookee, Rapperin aus Berlin, nähert sich dem Begriff Haltung mit der Unterscheidung zwischen Dogmen („anstrengend“) und Prinzipien („wichtig“). Stoppok, deutscher Rockmusiker, findet, dass heutzutage „eh alle eine Meise haben, die noch Plattenverträge bei Majorlabels unterschreiben“ und Labelbetreiber Gregor (Sounds of Subterannia) übernimmt in der Runde die Rolle des Kulturpessimisten, der in die „früher war alles besser“-Attitüde verfällt und fragt, wo sich heute noch Bands finden lassen, wie es sie in den 70ern gab?

Wie Sookee dann richtig einwendet, wird es nicht nur für Künstler_innen, sondern für alle in Zeiten von Globalisierung und zunehmend fragmentierten Teilöffentlichkeiten immer schwerer sich klar zu positionieren. Die Komplexität mancher Themen tut dazu ihr übriges. Samsa wünscht sich eine strikte Trennung zwischen Meinung („haben ziemlich viele Menschen“) und Haltung („lässt sich bei Bands auch immer weniger finden“). Woran er das festmacht?  U. a. an der Crowdfundigkampagne von Marcus Wiebusch (But Alive, Kettcar), der für die Produktion seines Musikvideos „Der Tag wird kommen“ (zum Thema Homophobie im Fußball) 50.000 Euro gesammelt hat. Samsa fragt sich und in die Runde, warum Wiebusch das Geld nicht lieber dafür verwendet, um es direkt Initiativen gegen Homophobie zur Verfügung zu stellen? Die fragwürdige Instrumentalisierung von Themen wie Homophobie aus Imagegründen, soll Wiebusch an dieser Stelle zwar nicht unterstellt werden, etwas mulmig ist mir bei dieser Art von „Awareness-Rising“ aber schon.

Leider fehlt durch die generell sehr zerfahrene Diskussion, Raum für viele weitere spannende Fragen zu Jugendkulturen, die im Vorfeld angekündigt waren. Stattdessen macht Sookee ungeniert Eigenwerbung für ihr Label, dass „wie kein anderes fernab kapitalistischer Verwertungslogiken arbeitet“. Aber gut, auch Sympathieträgerinnen haben mal einen nicht so guten Tag. Und Stoppok rühmt sich dafür in seiner gut 40jährigen Karriere, auch ohne Majorlabel im Rücken, die Hallen gefüllt zu haben. Ärgert sich aber trotzdem, so mein Eindruck, darüber, dass er nie bei „Wetten dass..?“ eingeladen wurde. Da macht es dann am Ende auch fast gar nichts, dass Sookee nicht weiß, wer Marcus Wiebusch ist.

Um Distinktion bemüht

Dass sich angeblich 3.5000 Delegierte auf der Konferenz tummeln sollen merkt man bei der BMW zu keinem Zeitpunkt. Weder bei den Panels, an den Bars oder vor den Toiletten bilden sich nennenswerte Schlangen. Das mag zwar schlecht für die BMW sein, deren Relevanz ja schon seit Bestehen in Frage gestellt wird, für mich bedeutet das eine sehr entspannte Konferenzatmosphäre. Selbiges lässt sich auch über die Konzerte im Rahmen von First We Take Berlin sagen. Ob nun im YAAM bei Zugezogen Maskulin, in der Berghain Kantine bei Ballet School oder im Astra bei Zoot Woman. Reindrängeln muss man sich nirgends. Bei den Musikevents wird aber noch stärker deutlich, wie wenig es der BMW gelingt, sich vom dem üblichen Partyangebot Berlins distinktiv abzuheben.

Mit einer Überraschung wartet dann der Abschlußevent der BMW, der New Music Award, auf. Newcomer findet man unter den Bands im Wettbewerb zwar kaum, denn fast alle haben schon einen Plattenvertrag in der Tasche und auch der Blick ins Programmheft manifestiert eher, was beim Panel zu Frauen und Vielfalt im Musikbusiness schon schlechte Laune machte: In einem Meer von Indierock- und Hip-Hop Acts, viele mit einer Art Casper-Clon in ihren Reihen, finden sich gerade mal drei Künstlerinnen im Wettbewerb wieder. Doch worin besteht dann die Überraschung? Dass am Ende eine von ihnen, nämlich die Berliner Musikerin Lary den NMA gewinnt. Es bleibt also die vage Hoffnung, dass sich musikalisches Talent, ob im Mainstream oder Underground, immer wieder durchsetzen kann und wir vielleicht schon bei der kommenden BMW nicht mehr über spezielle Awards zur Förderung von Musikerinnen nachdenken müssen.

Giuseppina Lettieri

access denied

Jonas Engelmann u. a. (Hg.):
testcard – Beiträge zur Popgeschichte #20:
access denied – Ortsverschiebungen in der realen und virtuellen Gegenwart
Ventil 2011
296 Seiten
15,00 Euro

tc20_rgbDie 20. Ausgabe der testcard‑Reihe wird überschattet vom Tod Martin Büssers, der im September 2010 in Folge einer kurzen heftigen Krebserkrankung verstarb. Er wurde nur 42 Jahre alt und hinterlässt als Autor, Herausgeber, Zeichner und Musiker nicht nur in der testcard und im Ventil‑Verlag, sondern in der gesamten deutschen Poplinken eine Lücke, die nicht mehr zu füllen sein wird. Auch ein halbes Jahr später fällt es Johannes Ullmaier und Jonas Engelmann in ihrem Nachruf, der der Ausgabe vorangestellt ist, immer noch schwer, ihre Fassungslosigkeit in Worte zu fassen. Zudem wird deutlich, wie kurz das gesamte Projekt aufgrund dieser Tragödie vor dem Aus stand. Da Martin Büsser aber auf die Fortführung bestand, steht die Nummer 20 auch für einen Neuanfang im testcard‑Universum, das bis zuletzt sehr stark von ihm geprägt wurde und jetzt ohne ihn, aber in seinem Sinne weitergeführt werden soll, was mit dieser mehr als lesenswerten Ausgabe auch gelungen ist.

Der Titel access denied. Ortsverschiebungen in der realen und virtuellen Gegenwart lässt vermuten, dass es vornehmlich um die Auswirkungen neuer medialer Technologien auf das alltägliche Leben im Hier und Jetzt geht, doch der Band greift weiter. Vor allem auf den ersten hundert Seiten geht es insbesondere um linke Orte und (Frei‑)Räume und wie sich diese über die Jahre verändert haben und wo sie heute noch anzutreffen sind; umrandet von zwei Gesprächsrunden Kulturschaffender aus dem Norden und Süden, die sich über Städte wie Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt, Wien, Belgrad oder Sarajevo austauschen. Dazwischen rollt Roger Behrens in „Post Pop City Life“ die Entstehung der modernen Großstadt auf und wie sich in ihr die Popkultur entwickelte. Der Stadtsoziologe Klaus Ronneberger unterhält sich mit Pascal Jurt über Stuttgart 21, die Proteste im Hamburger Gängeviertel und Berlin als Zentrum kritischen Denkens in Deutschland. Außerdem schreibt Dagmar Brunow über künstlerische Strategien gegen Gentrifizierung in Hamburg, Annika Mecklenburg untersucht den Hipness‑Faktor von Köln‑Ehrenfeld, Bernd Volkert begibt sich auf Ortsbegehungen mit dem Unsichtbaren Komitee und Florian Neuner erliegt im Winter der Tristesse der „Kulturhauptstadt“ Hamm. Besonders hervorzuheben sind die Artikel „Linke Räume – Short Cuts“ von Torsten Nagel und „Queere Subkultur – Geboren aus der Randständigkeit, bedingt durch den radikalen Moment“ von Verena Spilker. Nagel liefert einen kurzen Abriss der Neuen Linken in Deutschland und stellt die Frage, was Linkssein heutzutage eigentlich bedeuten soll; während Spilker das Wechselverhältnis von queerer Subkultur und Mainstream und Orte, in denen sich Identitäten jenseits der tradierten bürgerlichen Rollenbilder ausformen können, analysiert.

In der zweiten Hälfte folgt dann ein Schwenk hin zur Musik, wobei dem eigenen Selbstverständnis folgend eher abseitiges behandelt und der internationale Fokus erweitert wird. So erfährt man von Ewgeniy Kasakow etwas über die Geschichte des sibirischen Underground-Rocks, Avi Pitchon, in den 1980er Jahren Sänger bei Noon Mem, einer der ersten Punkbands Israels, wird interviewt und Thomas Burkhalter schreibt über „Weltmusik 2.0. Musikalische Positionen zwischen Spaß und Protestkultur“. Außerdem gibt es einen Abriss der deutsprachigen Popmusik mit den Schwerpunkten NDW und Hamburger Schule oder die Aufarbeitung von nationalistischen Tendenzen im Neofolk und Black Metal.

Nach Johannes Ullmaiers großem Abschlussessay „Ortsverschiebungen“ folgen wie immer zahlreiche Rezensionen aus den Bereichen Musik, Film und Literatur, wobei die Besprechungen des Geschriebenen aus den Kategorien Orte, Popkultur/Musik, Politik/Gesellschaft, Sex/Gender, Kunst, Literatur, Comic und Film stammen.

Lohnt sich also wieder mal vollends. Es bleibt zu hoffen, dass uns die testcard noch viele weitere Jahre erhalten bleiben wird.

Jan Ahrens

(Diese Rezension erschien zuerst im Journal der Jugendkulturen #17, Winter 2011)