West:Berlin

Mal wieder West-Berlin: wir waren endlich in der Ausstellung des Berliner Stadtmuseums „West:Berlin – Eine Insel auf der Suche nach Festland“ im Ephraim-Palais, die dort schon seit November letzten Jahres zu sehen ist und noch bis zum 28. Juni gezeigt wird. Die Ausstellung gibt einen facettenreichen Einblick in die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und vor allem auch kulturellen Aspekte und Phänomene des von der Mauer umgebenen West-Berlins bis 1989. Gezeigt werden Dokumente, Fotos, Filme, Kunstwerke, Alltagsgegenstände und z. B. auch ausgestopfte Tiere aus dem Berliner Zoo (der Panda Bao Bao und das Nilpferd Knautschke, die ein wenig kontextlos in der Gegend herumstehen), es entsteht ein umfassendes Bild von der Stimmung und dem Leben in der Stadt. Gerade die Bilder sind beeindruckend, beispielsweise das komplett durch den Krieg zerstörte Kreuzberg oder der Alltag im Schatten der Mauer in den 1980er Jahren. Wunderbar sind auch die vielen Plakate von kulturellen Veranstaltungen – selbst die Theaterszene hat einen eigenen Raum und die vielfältige Kulturszene wird immer wieder thematisiert. Kultur diente in dieser „Frontstadt“ auch dazu, die Stadt attraktiver zu machen (neben vielen anderen Vergünstigungen, die Menschen aus Westdeutschland dazu bewegen sollten, in die Stadt zu ziehen) und sie als lebendigen und freien Ort, als Repräsentantin des westlichen Lebensstils zu präsentieren. Sowieso Freiheit – der Begriff findet sich überall: Freie Universität, Freie Volksbühne, Sender Freies Berlin und so weiter. Und auch das Fehlen der polizeilichen Sperrstunde und die ausgesetzten Wehrpflicht gehört hier dazu – West:Berlin erscheint als ein Labor, in dem sich die Menschen ausprobieren konnten, vielleicht sogar in gewisser Hinsicht sollten – sie wurden ja tatsächlich staatlich unterstützt (eben durch die Vergünstigungen und die Freiheiten). So konnte sich ein hedonistisches Nachtleben entwickeln und ein breiter kultureller und politischer Untergrund fand hier sein Zuhause – trotz der unübersehbaren Präsenz des Militärs der Westalliierten und einer immer wieder repressiven Polizeipolitik.

Die Ausstellung ist nicht chronolgisch aufgebaut, sondern thematisch; es gibt einzelne Räume zur Wirtschaft, zur Student_innenbewegung, den Hausbesetzer_innen, dem Stadtumbau etc. Dadurch wirkt die Ausstellung leider etwas unübersichtlich, vor allem auch dadurch, dass bestimmte Aspekte in vielen verschiedenen Räumen vorkommen. Gerade in Bezug auf den vielfältigen politischen und kulturellen Untergrund bzw. die grob als „links“ zu verortenden Bewegungen fand ich das besonders auffällig. All die Szenen und Akteure, die in diesem Kontext eine Rolle spielten – von der Student_innenbewegung bis zur Punk- und New-Wave-Szene (die aufkeimende Technoszene und die erste Loveparade von 1989 fehlen allerdings) – sind über die ganze Ausstellung verteilt, die Zusammenhänge muss man sich als Besucher_in dazudenken, wobei ein gewisses Vorwissen nützlich ist. Dann wird es aber auffällig, wie sehr diese gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche die Stadt durchdrungen haben und die einzelnen Themen miteinander vernetzt sind. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn es zur Ausstellung einen umfassenden, reich bebilderten Katalog gäbe, aber leider gibt es nur ein kleines Büchlein als Begleitband – das es aber immerhin kostenlos zum Ticket dazu gibt. Und, parallel zur Ausstellung im Ephraim Palais gibt es noch die Fotoausstellung „Bühne West-Berlin“ im Märkischen Museum, zu der ein schöner Katalog erschienen ist.

Was ich außerdem noch erwähnen muss: Auch ein Exponat aus dem Archiv der Jugendkulturen findet sich in der Ausstellung: Das Punkfanzine „Die Berliner Ghettoratte“ aus den 1980er Jahren.

West:Berlin – Eine Insel auf der Suche nach Festland
Ephraim Palais Poststr. 16 (im Nikolaiviertel in der Nähe vom Roten Rathaus)
10178 Berlin
Öffnungszeiten: Di, Do – So 10 – 18h, Mi 12 – 20h
Eintritt: 7 €, ermäßigt 5 €, bis 18 Jahre freier Eintritt
1. Mittwoch im Monat Eintritt frei

Daniel Schneider

Die Toten Hosen

Philipp Oehmke
Die Toten Hosen – Am Anfang war der Lärm
Rowohlt 2014
384 Seiten
19,95 €

U1_978-3-498-07379-4.inddSeit nun mehr über dreißig Jahren toben Die Toten Hosen über die Bühnen dieser Welt. Dass die Band heute nicht mehr das ist, was sie in den 1980ern war, liegt wahrscheinlich in der Natur der Sache, sie sind ohne Zweifel schon seit längerer Zeit massentauglich. Als dann Volker Kauder den Song „An Tagen wie diesen“ bei der CDU-Siegesfeier nach den Bundestagswahlen 2013 trunken ins Mikro seines Stehpultes röhrte, waren die Hosen verärgert. Die Kanzlerin höchstpersönlich rief bei „Herrn Campino“ an, um sich dafür zu entschuldigen. Der Düsseldorfer Ex-Punk reagierte seriös und gratulierte ihr sogar zum Wahlsieg.

Dies ist der Ausgangspunkt des knapp 380 Seiten umfassenden Buches über Die Toten Hosen, das auf mehr als hundert Stunden Material aus Gesprächen mit der Band, Verwandten, Freunden, Bekannten und Kritikern aufbaut und die Genese der Düsseldorfer Formation darstellt. So beleuchtet das Buch zunächst die Familienverhältnisse und zeigt wie in den 1980ern die Aufbaugeneration der Hosen-Väter auf die destruktive Punkattitüde trifft. „Man muss nur zehn Jahre nach Strobl am Wolfgangssee fahren. Dann wird man automatisch Punk“, soll Campino mal gesagt haben. Der Punk brachte Unruhe in die eigens zementierte Idylle ehemaliger Kriegsheimkehrer, zu denen die Väter der Hosen gehörten. Die Musik der Hosen, so eine These des Autors, war Ausdruck einer Abwehrbewegung gegen die damaligen Zustände, die sich vor allem durch die Unfähigkeit der Elterngeneration, die eigenen Gefühle auszudrücken, auszeichneten. Doch folgte aus dieser Abwehr keine Überwindung, sondern vielmehr die Fortsetzung der emotionalen Sprachlosigkeit des Elternhauses durch die Hosen selbst.

Die Umstände der Entstehung der Band werden ausgiebig beleuchtet. Es findet sich einiges über die lokale Punkszene um den Ratinger Hof in Düsseldorf und die wichtigen Punkbands der 1980er, aber auch die unterschiedlichen Szenen in Hamburg und Berlin und deren Beziehungen zueinander. Auch über die Punks dieser Zeit in Ostdeutschland wird berichtet: Geheime Konzerte der Band in der DDR, misstrauisch von der Stasi beäugt.

Der Autor beschreibt den Erfolg ebenso wie die Schaffenskrisen und den Umgang mit dem Ausbleiben von Kreativität und dem gelegentlichen Festsitzen in musikalischer Mittelmäßigkeit. Es geht um Brüche, Tragödien und Transformationen der Band. Und wie zu erwarten, wird der hedonistischen Seite auch viel Platz eingeräumt: Saufen, Koksen, Hotelzimmer zerkloppen und so dicht sein, dass man auf der Bühne nichts mehr hinbekommt und ein irritiertes Publikum hinterlässt. Doch in den Exzessen und der Maßlosigkeit lauerten auch die Tragödien, die die Band erschütterten. Roadie Bollock starb an einer Überdosis Heroin. Ein Fan wird auf einem Konzert zu Tode getrampelt – alles ist mehr als einmal zweifelhaft.

Campino war schon immer die zentrale Figur der Band. („Campino gibt die Stimmung in der Band vor.“) Laut und cholerisch kann er sein, bis zu homophoben Austickern in einer Live-Radiosendung Anfang der 1990er, als ihm das Publikum nicht schmeckte. Auch die anderen Bandmitglieder und deren Rollen in der Band werden beschrieben, ebenso wie die Perspektiven des krebskranken Ex-Drummers Wöllie und die der Produzenten als wichtig erachtet werden, um ein differenziertes Bild zu zeichnen.

Das Buch ist über weite Strecken, trotz einiger Redundanzen, sehr spannend. Recht ermüdend sind machmal die vielen Details über Klamotten, Tattoos und Frisuren. Das liegt vielleicht daran, dass der Autor Phillip Oehmke selbst langjähriger Fan und Freund der Hosen ist. Und das Buchcover, dass sich im typischen Toten Hosen-Artwork der „Hosen Cover AG“ präsentiert, weist einmal mehr darauf hin, dass das Buch ein, wenn auch ein gewollt kritisches, Produkt der Band selbst ist. Es trägt aber durchaus dazu bei, das Phänomen „Die Toten Hosen“ zu erklären und den von ihnen zurückgelegten Weg nachzuvollziehen: Von der einstigen, generellen Abwehrhaltung am Rande der alten Bundesrepublik zu massentauglichen Balladen für die Bierzelte, Fanmeilen und Siegesfeiern der CDU im vereinigten Deutschland. Mehr Mitte geht nicht. Und so fragt sich der Rezensent abschließend: Ist der Spießer dem Punk schon immanent und tritt seine Angepasstheit mit zunehmender Reife stetig weiter hervor oder lässt sich das alles mit den Sachzwängen der Kulturindustrie erklären?

Jakob Warnecke

Bar 25

Britta Nischner, Nana Yuriko
Bar 25 – Tage außerhalb der Zeit
Movinet Film
Deutschland 2012

Carolin Saage
25/7
Seltmann+Söhne 2013
208 Seiten
39,90 €

2Q==Der per Crowdfunding finanzierte Dokumentarfilm Bar 25 – Tage ausserhalb der Zeit über die Geschichte der Bar 25 und der ebenfalls diesen Berliner Club dokumentierende Fotoband 25/7 von Carolin Saage thematisieren den Aufstieg und Fall eines Wohn- und Freizeit-Projektes von im Kern vier Leuten. Der Film zeigt mit einigen Längen, wie sie es schafften, mitten in Berlin an der East Side Gallery – gegenüber vom Kiki Blofeld, unweit vom Tresor und auf der Straße Richtung Berghain – ein freiräumliches Partyufo zu erfinden und sieben Jahre lang zu erhalten. Anfangs zeigen Bilder und Interviews im Film eher elitär wirkende Inszenierungen von Kreativität und ein Leben außerhalb des vermeintlich „normalen“ Lebens und dessen ritualisierten Alltags. Allerdings wirkt die Welt im Freiraum der Bar 25 auf mich ebenfalls häufig ritualisiert, so als würde den meisten der gezeigten Party-Szenen eine Wiederholung innewohnen, die immer nur um ein oder zwei neue Aspekte wie z. B. eine neue Verkleidung, Geste oder ein neues Party-Gadget ergänzt wird. Die Filmausschnitte werden unterbrochen bzw. strukturiert durch collagierte Bildereinschübe (die man auch vom Design der Homepage kennt) mit Zitaten von z. B. Albert Hofmann, dem Entdecker von LSD, oder dem Autor Aldous Huxley (Schöne Neue Welt). Im zweiten und dritten Teil des Films zeigen Bilder und Interviews mit den Bar-Lebenskünstler_innen wie die Kommune durch die Auswirkungen der Ökonomisierung der Stadt politisiert wird, sie sich an der Petition Spreeufer für alle beteiligen und sich ein bisschen über das Bündnis Mediaspree versenken radikalisieren. Für mich wird die Bar erst jetzt Avantgarde: trotz oder möglicherweise gerade wegen der zunehmenden breiteren öffentlichen Wahrnehmung, mit der auch eine vermeintliche Öffnung zur Normalität einhergeht, wird die Bar in den letzten drei Monate ihres Bestehens zum Symbol einer Bewegung, die für Freiräume kämpft und sich mit anderen Betroffenen solidarisiert. Dabei wird dann die eigene Mystifizierung ein Stück zurückschraubt, wenn auch vor allem aus dem Bedürfnis, die eigenen Freiräume zu erhalten.

Im Fotoband werden diese Bilder aus der Zeit der Politisierung nicht gezeigt, was ich schade finde. Im Bildband stehen ausschließlich das burleseke Feierleben, der künstlerische Exzess und die Überhöhung des eigenen kreativen Outputs im Vordergrund. Bilder vom Alltag, von den problematischen Aspekten des Feierns oder dem Niedergang des Clubs fehlen. So oder so, der Mythos der Bar 25 ist entstanden und wird durch diese beiden Veröffentlichungen für die Nachwelt erhalten.

Tanja Ehmann

Ein Mixtape von Kurt Cobain

Kurt Cobain. Montage of Heck

USA 2015

Der amerikanische Privatsender HBO ist vielen Serienfans vor allem durch so großartige und komplexe Fernsehproduktionen wie The Sopranos, The Wire oder True Detective bekannt. Doch auch im Feld der Dokumentationen hat sich HBO bereits einen Namen gemacht und zeichnet in einer ihrer aktuellen Produktionen das Leben des Nirvana-Sängers Kurt Cobain nach. Kurt Cobain. Montage of Heck wurde auf der schon etwas hinter uns liegenden Berlinale gezeigt und ist die erste voll autorisierte Dokumentation über das Nirvana-Mastermind. Sie verwebt original Super-8-Aufnahmen aus Cobains Kindheit und intime Filmaufnahmen aus seinem Familienleben mit Ehefrau Courtney Love und Tochter Frances Bean mit persönlichen Aufzeichnungen und Zeichnungen Cobains, die hauptsächlich seinen Tagebüchern entnommen sind. Durch Interviews mit Familienangehörigen und Freunden sowie animierten Filmsequenzen à la Waltz with Bashir wird dem Publikum zudem ein intimer Einblick in das Gefühlsleben, die Gedankenwelt und die Zerrissenheit dieses Sprachrohrs einer Generation geliefert – ein Sprachrohr, das er bekanntlich nie sein wollte, zu dem er aber vor allem auch durch die Medien in Zeiten des Grunge Hypes immer wieder gemacht wurde.

Der Titel dieser Dokumentation – Montage of Heck – geht zurück auf ein Mixtape Cobains aus dem Jahr 1986. Leider versäumt es die Dokumentation im späteren Verlauf näher auf dieses Mixtape einzugehen und daraus Rückschlüsse auf Cobains musikalische Sozialisation zu ziehen, so dass die Titelgebung doch etwas kontextlos wirkt. Stattdessen stellt der Regisseur Brett Morgan die Privatperson, das musikalische Genie Cobains und seine Punkrocksozialisation in den Vordergrund. Doch worin genau liegt der Mehrwert dieser Dokumentation, mehr als 20 Jahre nach seinem Tod? Denn über Kurt Cobain und Nirvana wurde schon viel geschrieben, gesagt und auch in Filmen wiedergegeben: sei es in Gus Van Sants fiktivem Spielfilm Last Days oder in Dokumenationen wie About A Son und Kurt & Courtney, um nur ein paar der vielen zu nennen.

Die Dokumentation wählt die chronlogische Erzählweise und zeigt neben den Etappen seines Privatlebens – Kindheit, Jugend und Familienleben – vor allem auch den Rockstar Cobain, von den Anfängen seiner musikalischen Karriere bis zum Durchbruch mit Nirvana. Nach dem Durchbruch geriet wiederum sein Privatleben in die Schlagzeilen, seine Drogensucht, die turbulente Ehe mit Courtney Love und der Sorgerechtsstreit mit der Stadt San Francisco nach der Geburt von Frances Bean Cobain schlugen sich enorm in den Medien nieder. Alles Facetten seines kurzen Lebens, die die Ambivalenz zwischen seinem Wunsch, auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen, und dem verzweifelten Kampf darum, sein Privatleben vor sensationsgierigen Medien zu schützen, widergespiegelt.

Der Film beginnt mit fragmentarischen Interviewpassagen seiner Eltern und seiner Schwester. Die Kindheit und Jugend von Kurt Cobain wird als glücklich, aber auch sehr schwierig beschrieben. Durch seine Hyperaktivität und Unangepassheit wird er innerhalb der Familie herumgereicht, lebt abwechselnd bei seiner Mutter und seinem Vater, die sich früh trennen, sowie verschiedenen Tanten und Onkeln. Doch ein wirkliches Zuhause findet er nicht. Die Musik wird zu seinem einzigen Zufluchtsort und bildet eine der wenigen Konstanten seines Lebens. Über sie findet er sein Medium, um seine Gefühle der Ablehnung, Zurückweisung und Entwurzelung zu verarbeiten. Viele seiner Songs sind davon durchgezogen, wie u. a. „Heart Shaped Box“ oder „Something in the Way“:

Neben der Musik ist es vor allem das Kiffen, dass Kurt in seiner Jugend, sicher nicht untypisch für einen Jugendlichen, runterbringt. Visualisiert wird diese Phase durch Tagebucheinträge und Skizzen Cobains. Durch die vom Regisseur gewählte Machart, diese Einträge und Bilder zu animieren, wird das Gefühl vermittelt, direkt bei dem Aufschreiben der teilweise verqueren Gedanken und Gefühle Cobains dabei zu sein. Drogen, vor allem sein  selbstzerstörerischer Heroinkonsum, spielen auch im weiteren Verlauf eine entscheidende Rolle in dieser Dokumentation.

Viele Weggefährten kommen zu Wort. Seine Exfreundin Tracy Marander aus seinen Aberdeen-Tagen, Krist Novoselic, der früh mit Kurt in der Band spielte, die später als Nirvana berühmt werden sollte, und natürlich auch Courtney Love, seine Witwe und Frontfrau der Band Hole. Dave Grohl, der spätere Drummer von Nirvana und seit vielen Jahren Frontmann der Foo Fighters, taucht erstaunlicherweise nicht auf, und auch Frances Bean, die immerhin die Dokumentation mitproduziert hat, will anscheinend immer noch nicht vor die Kamera, um etwas über ihren Vater zu sagen. Verständlich, sowohl von Grohl, der sich vor Jahren mit Courtney Love überworfen hat, als auch von Frances Bean, die das Schicksal vieler teilt, die als Kind berühmter Eltern von Geburt an im Interesse der Öffentlichkeit stehen. Das Verhältnis von Grohl und Love hat sich jedoch kürzlich wieder etwas entspannt, was bei der Aufnahme von Nirvana in die Rock and Roll Hall of Fame im Oktober 2014 einem breiten Publikum deutlich wurde. 

Obwohl nicht wirklich neue Dinge ans Tageslicht kommen, berührt diese Dokumentation doch auf eine ganz eigene Weise. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich, wie sicher viele andere auch, an die 1990er Jahre erinnere, in denen Grunge regelrecht explodierte und über alles in der Musikwelt hinwegfegte. Eine riesige Hypeblase entstand. Seattle wurde zum Mekka der Grungebewegung. Nirvana wurden zum „The next big thing“ erklärt und Kurt Cobain und Courtney Love waren für die Klatschpresse die Grungeversion von John Lennon und Yoko Ono. Kombiniert mit dem frühen Tod Cobains mit 27 Jahren, ergibt sich ein höchst explosiver Stoff, aus dem schon viel gestrickt wurde. Doch Brett Morgan schafft es, sich nicht mit Verschwörungstheorien um den Tod Cobains aufzuhalten, verpasst es allerdings einen wichtigen Aspekt seiner Persönlichkeit stärker herauszustellen, denn nur in wenigen Momenten scheint in dieser Dokumentation Cobains feministische Grundhaltung durch.

Die gegenseitige Beeinflussung von Grunge und der Riot-Grrrl-Bewegung sowie die Freundschaft zwischen Kurt Cobain und der Riot-Grrrl-Ikone Kathleen Hanna wird mit keinem Wort erwähnt. Der Grund dürfte darin liegen, dass Courtney Love neben anderen Familienmitgliedern sicher Einfluss auf die Auswahl der Inhalte und Schwerpunkte dieser Dokumentation genommen hat. Und es ist durchaus bekannt, dass sich Kathleen Hanna und Courtney Love nicht unbedingt gut verstehen. Legendär ist das Zusammentreffen von Love und Hanna bei dem Musikfestival Lollapalozza 1995.  Wer wissen möchte, wie eng Kurt Cobain mit der Riot-Grrrl-Bewegung sowohl ideell als auch persönlich verbunden war und welche Rolle Kathleen Hanna bei Nirvanas Meilenstein „Smells like teen spirit gespielt hat, sollte sich daher die Kathleen Hanna Dokumentation The Punk Singer anschauen.

Kurt Cobain. Montage of Heck läuft ab dem 09. April in den deutschen Kinos.

Offizieller Trailer zum Film:

Giuseppina Lettieri

Berlin Sampler

Théo Lessour
Berlin Sampler – From Cabaret to Techno: 1904-2012, a century of Berlin music
Ollendorff Verlag 2012
350 Seiten
18 €

9k=Der Klang der Familie, Nachtleben Berlin, Subkultur Westberlin, Die ersten Tage von Berlin, Berlin Wonderland – diese Veröffentlichungen zu subkulturellen Aspekten der Berliner Kultur, vor allem der Westberliner Szene vor dem Mauerfall und der Technoszene sind wahrscheinlich allen Leser_innen dieses Blogs zumindest schon einmal begegnet (wir haben sie und einige andere zu diesem Thema hier besprochen) und haben auch im deutschen Feuilleton genügend Aufmerksamkeit genossen. Es sind seit einigen Jahren Trendthemen, nicht zuletzt auch wegen des 25-jährigen Jubiläums des Mauerfalls – auch Ausstellungen und Filme, Konferenzen und Diskussionsrunden häufen sich (und führen eventuell bei manchen schon zu starken Ermüdungserscheinungen). Eine Veröffentlichung, die vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit bekommen hat, ist Berlin Sampler von dem französischen Journalisten Théo Lessour. In gut sortierten Buchläden steht dieses Buch manchmal neben den o. g. Titeln, ansonsten ist es aber eher selten zu finden. Woran das liegt? Auch wenn es im Berliner Ollendorff Verlag erschienen ist, gibt es nur Ausgaben in Französisch und Englisch, es wird in Deutschland über den Exberliner vertrieben, der englischsprachigen Zeitschrift für Expats in Berlin. Es richtet sich also nicht unbedingt an ein deutsches Publikum, sondern zuerst an diejenigen, die aus dem Ausland auf Berlin schauen bzw. nach Berlin ziehen und sich für die Musik und Kultur dieser Stadt interessieren. So gesehen ist es eine Art Reiseführer durch die Musik Berlins.

Während die o. g. Titel sich auf die letzten Jahrzehnte der Berliner (Musik-)Geschichte beschränken, reicht Berlin Sampler viel weiter in die Vergangenheit zurück – es beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts mit Cabaret, Revue, Dada und anderen wichtigen kulturellen Phänomenen, mit Arnold Schönberg und Kurt Tucholsky. Eingeteilt in die vier Kapitel „E-Musik“, „U-Musik“, „A-Musik“ und „Techno“ gibt es einen Überblick über spannende musikalische Entwicklungen und Phänomene, die das kulturelle Bild Berlins geprägt haben: Die Comedian Harmonists, Alban Berg, die Swingjugend, The Lords, Wolfgang Biermann, David Bowie, Einstürzende Neubauten, Westbam, etc. Grob wird hier ein (subjektiv geprägter und entsprechend lückenhafter) Kanon Berliner Musik entworfen, es gibt ausführliche Kontextualisierungen und Hintergrundinformationen und prägende Veröffentlichungen werden vorgestellt. Auffällig ist dabei, dass neben den großen Stars wie Marlene Dietrich, Nena oder Paul Van Dyk oftmals experimentelle Musik im Mittelpunkt steht, auch politische Musik (z. B. Hanns Eisler, Ton Steine Scherben oder Atari Teenage Riot) spielt eine große Rolle. Politische und gesellschaftliche Entwicklungen haben die Musik aus Berlin entscheidend geprägt, dem Buch gelingt es gut, diese Zusammenhänge immer wieder aufzugreifen und so durch die Musik auch die Geschichte Berlins zu erzählen. Eigentlich also ein empfehlenswertes Buch nicht nur für Zugezogene, da hier viel zu entdecken ist, was auch Einheimischen fremd sein dürfte.

Was mich allerdings misstrauisch gemacht hat, waren die vielen Fehler, die mir an den Stellen aufgefallen sind, an denen es um Musik geht, mit der ich mich auskenne, also vor allem im Kapitel über Techno. Es sind meistens Kleinigkeiten – Moritz von Oswald heißt häufig (aber nicht immer) Maurizio von Oswald, das Frankfurter Label Playhouse ist angeblich nach Berlin gezogen, Ricardo Villalobos zweites Album wird als sein erstes ausgegeben, Dr. Motte hat Stücke produziert, mit denen er gar nichts zu tun hatte etc. Für sich alleine genommen wären das jeweils vernachlässigenswerte Fehler, aber die Häufigkeit, mit der sie zumindest in diesem Kapitel vorkommen (auf manchen Seiten sind es drei oder vier) zeigt, dass Lessour ziemlich schlampig gearbeitet hat (auch die häufigen Fehler in den Schreibweisen von Namen oder Songtiteln sowie Übersetzungsfehler sind Indizien dafür). Zusätzlich ruft die durch den persönlichen Fokus und das anscheinend selektiv angelesene Wissen geprägte Sicht auf Techno Stirnrunzeln hervor – z. B. wenn der heterogene und hybride ursprüngliche Techno aus Detroit (einem wichtigen Einfluss auf Berliner Techno) als „pure from the start“ („rein von Anfang an“) beschrieben wird oder wenn mit der Gründung von Ellen Aliens Label Bpitch Control 1999 der angebliche „Return of Techno“ eingeläutet wird. Durch die Fehler und die manchmal irritierenden Darstellungen und Bewertungen habe ich angefangen, alles, was ich in den vorherigen Kapiteln gelesen habe, zu hinterfragen – gibt es da auch Ungereimtheiten? Gibt es andere Fehler, die mir nicht aufgefallen sind, da ich kein ausreichendes Vorwissen habe? Ja, die gibt es (ich habe stichprobenartig Fakten aus den vorherigen Kapiteln überprüft und bin recht schnell auf weitere Fehler und Verfälschungen gestoßen) und es ist zu befürchten, dass es viele sind. Dadurch schwingt immer der Zweifel mit, ob das wirklich so war, wie es Lessour darstellt. So wird der zuerst positive Eindruck, den das Buch gemacht hat, doch massiv getrübt und ich kann Berlin Sampler nur sehr eingeschränkt empfehlen: Als Übersicht über hörenswerte Musik aus Berlin (bzw. irgendwie mit Berlin verbundene Musik) aus den letzten 100 Jahren ist es brauchbar und kann auch durchaus neugierig auf bisher unbekannte oder ignorierte Künstler_innen machen. Eine verlässliche Quelle ist es aber ganz offensichtlich nicht und die vielen Details und Anekdoten (die ich eigentlich als große Qualität des Buches hervorheben wollte) müssen leider mit großer Vorsicht genossen werden – der Reiseführer durch die Musik Berlins führt den Leser bzw. die Leserin vielleicht in die Irre.

Daniel Schneider