Wir Kinder der 90er

Johannes Engelke, Karin Weber, Maren Ziegler, Jacob Thomas
Wir Kinder der 90er.  Alles, was wir damals liebten (und was uns heute peinlich ist)
Goldmann Verlag 2017
206 Seiten
12,00 EUR

The Dream of the 90s is alive

Ob in der Arte-Dokureihe „Welcome to the 90s“, in der US-amerikanischen Comedyserie „Portlandia“ oder als Modetrend in den Berliner Clubs: „The 90s are back “ und sie haben ihren Platz in der popkulturellen Geschichtsschreibung eingenommen. Mit dem Buch „Wir Kinder der 90er“ wollen die Herausgeber*innen nun auch, dass wir einen Platz in unseren Bücherregalen für die 90er freimachen. Dabei geht es in diesem Lexikon über Musik, Mode(sünden), technische Errungenschaften sowie Alltagsgegenständen weniger um eine (pop-) kulturelle oder kulturkritische Kontextualisierung der 90er à la Spex oder testcard, als vielmehr um eine subjektive, scheinbar wahllose Aneinanderreihung von all jenen Dingen, die die Herausgeber*innen damals liebten und die ihnen heute peinlich sind.

Als erster Gegenstand wird der Game Boy beschrieben, gefolgt von dem Bum Bum Eis. Ein stringentes Lexikon von A-Z findet sich hier also nicht, was mich persönlich aber weniger stört und nach meiner Auffassung auch nicht unbedingt zu dem bunten und auch manchmal musikalisch und modisch etwas uneindeutigen Jahrzent der 90er passen würde. Stattdessen sind die ausgewählten Gegenstände der 90er eher nach Beliebheits- oder Bekanntheitsgrad sortiert, das legt jedenfalls der Auftakt mit dem Kultobjekt Game Boy nahe. Gerahmt werden die vorgestellten Gegenstände durch kurze, oft persönliche Texte der Herausgeber*innen, die dabei Einblicke in Familienleben, identitätstiftende Schul-Battles (Lamy vs. Pelikan und Scout vs. McNeill) und Freizeitaktivitäten (Freundschaftsbänder knüpfen, Stickeralben vervollständigen) dieser Kinder der 90er geben.

It was acceptable in the 90s?!

Für mich, ebenfalls ein Kind der 90er, bietet das Buch einen kurzweiligen nostalgischen Ausflug in ein Kaleidoskop verschiedener Kindheits-und Schulzeit-Erinnerungen. Vor allem bestimmte Modesünden von Mitschüler*innen erwachen zum Leben, wie die Kombination des Grauens schlechthin, bestehend aus Helly-Hansen-Jacke, Buffalo-Schuhen und abgerundet durch die berühmt-berüchtigte Schnellfickerhose. Aber auch damals innig geliebte Süßigkeiten, wie die Erdbeerschnüre und das Ed-von-Schleck-Eis sowie heutige technische Kultobjekte, wie die NES- Spielkonsole und das Nokia 3210 Handy mit dem legendären Snakespiel, finden ihren Platz in diesem Buch. Auch wieder in der Versenkung verschwundene Modetrends, wie Henna-Tattoos, Schnapparmbänder, Kangol-Caps und Miss-Sixty-Jeans oder technische (Weiter-)Entwicklungen, wie Mini-Discs, die Telefonkarte und die Showview-Funktion an Videorecordern werden einem beim Durchblättern wieder ins Gedächtnis gerufen. Vermeintliche technische Revolutionen, über die man in Zeiten von Smartphones, Spotify und Netflix nur noch müde lächeln kann.

Es kommt alles wieder

Am Ende gibt es vieles in diesem Buch, das zurecht in Vergessenheit geraten ist. Doch vor allem die Errungenschaften, die dem Zahn der Zeit getrotzt haben und auch heute noch Kultobjekte sind, sowie das Mantra, dass alle Modetrends irgendwann wieder ‚in‘ sind, machen dieses Buch zu einem amüsanten und kurzweiligen Lesevergnügen.  Und vor allem die Menschen, die ihre Kindheit bzw. Jugend in den 90ern verbracht haben, erwartet hier eine nostalgische Achterbahnfahrt durch die Pop- und Trashkultur dieses Jahrzehnts.  Nostalgiker*innen, die ein Wechselbad der Gefühle von Freude bis Scham gut aushalten können, dürfen beherzt zugreifen, aber auch Trendsetter*innen können dieses Buch als Beweis heranziehen, dass wirklich jedes Jahrzehnt sein Mode-Revival bekommt. Vielleicht auch genau die Trends, die uns Kindern der 90er heute immer noch peinlich sind: Ich ganz persönlich hab schon wieder das ein oder andere Tattoo-Halsband an Jugendlichen entdecken können. 

Giuseppina Lettieri

Projektleitung „Diversity Box“, http://www.diversitybox.jugendkulturen.de