Fundstücke aus dem Archiv: Hörer*innenpost an Monika Dietl

Diese Fundstücke hatten wir vor ein paar Wochen schon bei Facebook präsentiert, jetzt zeigen wir sie hier noch einmal, inklusive von ein paar weiteren Bildern:

Hörer*innenpost an Monika Dietl bzw. ihre Sendungen „S-F-Beat“ bei SFB 2 und „The Big Beat“ bei Radio 4U (dem kurzlebigen Jugendsender des SFB) von Ende der 1980er bis Anfang der 1990er Jahre. Monika Dietl war in den späten 80ern die erste Berliner Radiomoderatorin, die in ihren Sendungen auch House und Techno spielte und damit viele spätere DJs und Raver*innen zum ersten Mal in Kontakt mit dieser neuen Musik brachte. Für nicht wenige waren die Sendungen von „Moni D.“ die wichtigste Informationsquelle überhaupt, da es nicht gerade leicht war, an die Platten ranzukommen und zu erfahren, was es da eigentlich gerade alles so gibt. Die Playlists der Sendungen konnten sich die Hörer*innen auf Anfrage sogar zuschicken lassen. Dazu gab’s Hintergrundinformationen, Interviews mit den Künstler*innen und – auch ganz wichtig – Infos über die neusten Clubs und kommenden Partys.

Auch im Osten der Stadt wurde SFB gehört und auf Partys liefen Tapes mit Zusammenstellungen von Tracks aus Monika Dietls Sendungen. Die Fans aus dem Ostteil der Stadt waren also schon gut informiert darüber, was im Westen passierte. Der Legende nach parkten deshalb zur Überraschung der West-Berliner*innen schon direkt nach dem Mauerfall die ersten Trabbis vor dem UFO (dem ersten „Acid-House-Club“ Berlins).

Die Briefe drehen sich z.B. um die aktuellen Clubs und wichtigsten Plattenläden: Welche sind cool? Welche nicht? Wo gibt’s die neusten Maxis? Und wie schafft man es, im Plattenladen Hard Wax netter behandelt zu werden? Dazu Einsendungen zu Verlosungen, z.B. von Gästelistenplätzen. Viele liebevoll gestaltete Briefe und Postkarten sind dabei. Das Konvolut ist ein eindrückliches Zeugnis der frühen Technoszene und erzählt von der Bedeutung des Radios in der Zeit vor dem Internet.

PS: Übrigens gibt es in unserer Sammlung auch ein paar Mitschnitte von S-F-Beat und The Big Beat zum Nachhören. Der Bestand an Hörer*innenbriefen konnte im Rahmen einer Förderung durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa aufgearbeitet werden.

Daniel Schneider

ein paar Geschenketipps …

In unserer Bibliothek sind dieses Jahr viele tolle neue Bücher angekommen, die wir gar nicht schaffen, alle vorzustellen – deshalb hier eine kleine Auswahl an schicken Veröffentlichungen, die sich auch gut als Weihnachtsgeschenke eignen.

Tabita Hub / Michal Matlak / Florian Anwander
R is for Roland
Electronic Beats 2015
384 Seiten
54,90 €

www.roland-book.com

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Ein außergewöhnlicher Prachtband, der den Maschinen des japanischen Musiktechnologieherstellers Roland huldigt. Ohne die hier vorgestellten Maschinen, ganz besonders die Drumcomputer TR-808 und TR-909 sowie der Basssynthesizer TB-303, sind Techno und andere modernen elektronische Musikstile eigentlich undenkbar oder würden sich zumindest anders anhören. Das Buch ist allerdings keine musikwissenschaftliche Veröffentlichung, zumindest nicht im engeren Sinne, sondern zuerst einmal ein Fotoband, mit einer Vielzahl an tollen Aufnahmen der zwischen 1973 und 1987 produzierten Geräte. Das ist dann zuerst einmal etwas für Techniknerds und Design-Liebhaber_innen, denn hier steht die Schönheit dieser alten Maschinen im Vordergrund. Dazu gibt es Hintergrundinformationen zu jedem Gerät und Interviews mit namenhaften Musiker_innen (u. a. Lee „Scratch“ Perry, Portishead, Mark Ernestus, Nightmares on Wax, Jeff Mills, Modeselektor und Legowelt), die über die Bedeutung von Roland für ihre eigene musikalische Entwicklung sprechen, wodurch die musikhistorische Bedeutung dieser Geräte deutlich wird.

Mark Reeder
B-Book – Lust & Sound in West-Berlin 1979 – 1989
Edel Books 2015
224 Seiten
39,95 €

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Ja, der Hype um die 1980er Jahre in West-Berlin und den dieses Jahr erschienen Dokumentarfilm B-Movie wird hier noch einmal auf allen Ebenen ausgeschlachtet – neben diesem Buch gibt es auch noch eine CD- bzw. LP-Edition mit dem Soundtrack oder auch alles zusammen in der großen „B-Box“ mit „vielen kultigen B-Goodies als Überraschung“ für knapp 90 €. Da wird es dann irgendwann nur noch albern – was zwar an der Qualität des Filmes nichts ändert, aber doch irgendwie einen etwas schalen Beigeschmack hinterlässt. Trotzdem ist das Buch für alle an der Geschichte deutscher Pop- und Subkultur Interessierte empfehlenswert, es enthält im Prinzip den aufbereiteten und unterhaltsamen Erzählertext des Filmes (von Mark Reeder) in gedruckter Form plus eine große Menge an Fotografien aus dem West-Berlin der 1980er Jahre.

Berghain (Hrsg.)
Kunst im Klub
Hatje Cantz 2015
208 Seiten
37,00 €

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Das Berghain, gerne als der wichtigste Technoclub der Welt bezeichnet, ist seit einigen Jahren sehr aktiv darin, sich als seriöse Kulturinstition jenseits der Partykultur zu etablieren. Dieser Band, der bezeichnenderweise im Kunstbuchverlag Hatje Cantz erschienen ist, dokumentiert diese Tätigkeiten, vor allem im Kontext der bildenden Kunst. Einige der in diesem Buch gezeigten Kunstwerke – z. B. Piotr Nathans „Rituale des Verschwindens“ oder die Installation „Together“ von Joseph Marr gehören zum festen Inventar des Clubs und sind wahrscheinlich allen Besucher_innen bekannt, andere Kunstwerke wurden letztes Jahr in der Ausstellung „10“ in der Halle am Berghain gezeigt. Zu den vertretenen Künstler_innen gehören Stars der deutschen Kunstszene wie Wolfgang Tillmans, Carsten Nicolai, Norbert Bisky und Marc Brandenburg, das Buch enthält neben Fotografien der Kunstwerke auch Interviews und Essays.

Daniel Schneider

(Über-)Leben in der Provinz

(Über-)Leben in der Provinz – Sozial- und kulturwissenschaftliche Betrachtungen der Peripherie von Jugendkultur(-forschung)
Hochschule Magdeburg-Stendal (Standort Stendal), 27./28. November 2015

Wenn über die Provinz gesprochen wird, ist das meist abwertend gemeint: die Provinz ist strukturschwach, es herrschen Langeweile und Spießigkeit und kulturell ist nur (Unter)Durchschnittliches möglich. Mit Provinz sind dabei nicht unbedingt nur ländliche Gegenden und Kleinstädte abseits urbaner Zentren gemeint, sondern häufig auch Städte mit mehreren 100.000 Einwohner*innen wie Bielefeld oder Kiel. Aus Berliner Sicht kann auch mal alles, was nicht zur Hauptstadt gehört, als Provinz wahrgenommen werden, und auch Berlin selbst wird manchmal als provinziell bezeichnet. Auf der von Günter Mey und Marc Dietrich organisierten Tagung zum Thema Jugendkultur in der Provinz zeigte sich aber in verschiedenen Vorträgen, dass in der (sogenannten) Provinz vieles passiert. Aufmerksame Leser*innen von beispielsweise Musikzeitschriften überrascht das nicht, aber trotzdem wird es aus der Perspektive einer Millionenstadt wie Berlin gerne übersehen oder belächelt. Ein wenig mag da auch das Unverständnis all der Zugezogenen mitschwingen, dass es Menschen gibt, die sich für Punk oder Techno interessieren, aber nicht den Drang verspüren, aus der Kleinstadt zu fliehen, wie es viele der heute in Berlin Lebenden getan haben.

Ein Beispiel dafür sind die von Christian Petzoldt in seinem Film Fernab – Subkultur in der Provinz portraitierten Akteur*innen aus Jena und Umgebung, die dort unterschiedliche  jugend- und subkulturelle Projekte betreiben, u. a. den Technoclub Muna in Bad Klosterlausnitz. Auffällig viele der vorgestellten Projekte sind als Vereine organisiert, hier wäre es interessant herauszufinden, welche Rolle das deutsche Vereinswesen im Kontext von Subkulturen spielt. Ein anderes Beispiel, allerdings ein historisches, stellt die in den 1980ern und 1990ern verbreitete Hip-Hop-Jam-Kultur dar, über die Stefan Szillus, ehemaliger Chefredakteur der Juice in seinem Vortrag sprach. Diese Hip-Hop-Veranstaltungen fanden in Städten wie Lüdenscheid, Gießen oder Heidelberg statt, die alle auch eigene und einflussreiche Hip-Hop-Szenen hatten. Berlin spielte im überregionalen Kontext sogar lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle, erst mit dem Erfolg des deutschen Gangsta-Raps ab Anfang der 2000er Jahre erreichte Berliner Hip Hop den Mainstream. Heute sind die lokalen Strukturen in kleineren Orten allerdings weniger ausgeprägt, die Provinz (und die Flucht aus dieser) dafür immer wieder Thema in deutschen Rap-Texten – entsprechend begann der Vortrag auch mit dem Video „Chrystal Meth in Brandenburg“ von Grim104, einem der Rapper von Zugezogen Maskulin – die, wie der Name schon sagt, aus der Provinz nach Berlin Zugezogene sind.

Ein anderer Beitrag, der sich mit jugendkulturellen Aktivitäten in der Provinz beschäftigte, kam von Holger Schwetter, der an der Universität Lüneburg zu „progressiven Landdiscos“ forscht und u. a. die Webseite Poptraces  vorstellte, auf der solche Diskotheken kartiert werden. Diese waren vor allem im Nordwesten Deutschlands von großer Bedeutung für die Jugendlichen in den 1960er und 1970er Jahren und bildeten ein Netzwerk, durch die beispielsweise Nachwuchs-Bands tingeln konnten.

Theoretischer war der Beitrag von Paul Eisewicht von der TU Dortmund, der u. a. über die Vor- und Nachteile der Peripherie sprach – damit kann die Provinz, aber auch die Nebenschauplätze einer Szene gemeint sein. In der Peripherie gibt es eher Raum sich auszuprobieren und die Möglichkeiten für Innovationen, während im Zentrum meist schon feste Regeln etabliert sind und es Neulinge oft schwer haben. Ein Beispiel waren hier Graffitisprüher*innen, die raus aus der Stadt fahren, um sich erstmal abseits der kritischen Augen der Szene auszuprobieren. In der Peripherie fehlt es allerdings meist an Infrastruktur und es herrscht eine Stigmatisierung oder auch Ignoranz nicht nur von Seiten der Zentren, sondern auch in Hinblick auf die Forschung, die sich eher auf die Zentren konzentriert, da sie dort als typisch wahrgenommene Praktiken findet und der Zugang aufgrund der Größe der Szene im Zentrum leichter fällt.

Ein anderer Themenbereich der Tagung war Jugend- und Subkultur in der DDR, mit Vorträgen von dem Musikwissenschaftler Michael Rauhut und der Autorin Anne Hahn. Die Provinz war in der DDR als Rückzugsort für Jugendkulturen wichtig, die von staatlicher Seite als „negativ-dekadent“ verfolgt wurden. Auf dem Land standen sie weniger unter Beobachtung, wurden aber auch dorthin vertrieben, damit die Städte nicht „verschandelt“ werden. Anne Hahn, die selbst in der DDR-Punkszene aktiv war, sprach über die verschiedenen, auch in kleineren Städten beheimateten Punkszenen, über die wichtige Rolle der Kirchen für die Szene und die Repressionen gegen Punks, die teilweise sogar zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden.

Der Fokus lag insgesamt wenig auf den problematischen Aspekten eines Lebens in der Provinz in Hinblick auf Jugend- und Subkultur. Dies lag auch daran, dass sich viele der Vorträge mit Szenen und Aktivitäten beschäftigten, die es tatsächlich in der Provinz gibt, und nicht deren Fehlen – die Orte, an denen „nichts geht“ (Grim104) kamen eher am Rande vor. Dass es solche Regionen aber gibt, war Thema in der Präsentation von Dimitri Hegemann, dem Gründer des Technoclubs Tresor. Er stellte seine Projekte Happy Locals und Academy for Subcultural Understanding vor, die darauf abzielen, Jugend- und Subkultur in der Provinz zu fördern. Die Idee dahinter ist, dass Jugendlichen in kleinen Orten mit fehlenden jugendkulturellen Strukturen die Nutzung von Räumen ermöglicht wird, in denen die Jugendlichen selbstverwaltet tätig sein und etwas Eigenes aufbauen können. In der „Academy“ sollen sie lernen, wie Subkultur „gemacht“ wird, Ziel soll es sein, dass lokale Strukturen aufgebaut werden und eine geringere Zahl junger Menschen aufgrund Perspektivlosigkeit und Langeweile in die großen Städte flüchten.

Insgesamt war es eine aufschlussreiche und inspirierende Tagung mit einer angenehmen Mischung aus Wissenschaftler*innen und Vortragenden, die aus anderen Bereichen kamen. Leider fehlten manche im Kontext der Tagung wichtige Themen, auch aufgrund einiger krankheitsbedingter Absagen – Heavy Metal als im ländlichen Raum wichtigste Szene fehlte genauso wie die Frage nach rechtsextremen Strukturen, die mancherorts ein wichtiger Faktor sind, wenn es um eine mangelnde jugendkulturelle Vielfalt geht. Eine weitere Tagung zum Themenbereich „Jugendkultur in der Provinz“ wäre auf jeden Fall wünschenswert.

Daniel Schneider

 

Die Macht der Nacht

Westbam
Die Macht der Nacht
Ullstein 2015
320 Seiten
18 €

51JARG28CDL._SX312_BO1,204,203,200_Westbam überall. Bücher, Filme, Podiumsgespräche. Es passt allerdings auch alles sehr gut zusammen – zu seinem 50. Geburtstag ist dieses Jahr seine Biographie „Die Macht der Nacht“ erschienen, die wiederum perfekt zum ganzen Westberlin-Subkultur-Mauerfall-Einheit-Techno-Rummel der letzten Jahre passt, in dessen Kontext er auch schon regelmäßig auftauchte. Denn Maximilian Lenz, so Westbams bürgerlicher Name, war irgendwie immer mitten drin in diesen Szenen und kannte anscheinend alle, die wichtig waren. Und zwar schon ab Ende der 70er Jahre, als er Punk entdeckte und selber zu einem wurde – und in den darauffolgenden Jahren verschiedene wichtige Protagonist_innen der deutschen Szene, von den Toten Hosen über DAF, Mania D/Malaria! bis zu den Einstürzenden Neubauten, kennenlernte. Das lag u. a. auch an seinem gut vernetztem Freund und späteren Manager William Röttger, der schon früh davon überzeugt war, dass Maximilian ein großes Talent sei. Dieser nannte sich als Punk „Frank Xerox“ und spielte dann auch schon 1981 mit seiner Band „Kriegsschauplatz Tempodrom“ beim „Festival Genialer Dilletanten“ in Berlin, das als eine Art Startpunkt für die Westberliner Szene gilt.

Nachdem Lenz 1982 schon ein halbes Jahr in Berlin zur Schule gegangen war (als eine Art „Auslandsaufenthalt“ und erstaunliche „Bildungsreise ins Nachtleben“) zog er nach seinem Abitur endgültig von Münster nach Berlin und fing an, im Metropol aufzulegen. Es folgen turbulente Jahre, in denen Lenz ein Pionier der elektronischen Tanzmusik wird, nicht nur als DJ, sondern auch als Theoretiker – 1984 verfasste er den Artikel „Was ist Record Art?“, der der erste deutschsprachige Text zum neuen Phänomen des DJings war.

In die „Macht der Nacht“ – benannt nach einer Partyreihe in einem Zirkuszelt, einer Art Rave, bevor es Raves gab – erzählt Lenz seine Geschichte von seiner Kindheit in den 1970ern bis Mitte der 1990er Jahre, als Techno zur größten deutschen Jugendkultur wurde. Die Biografie ist eine unterhaltsame, manchmal sogar äußerst komische Lektüre, in einzelnen Momenten aber auch schrecklich traurig (tragische Todesfälle gehören zu solch einer Geschichte dazu), und sie zeigt sehr anschaulich, wie sich Techno in Berlin u. a. aus der Punk- und New Wave-Szene und der schwulen Partykultur heraus entwickelt hat. Das alles ist also auch ein lesenswertes Stück Musikgeschichte und eine Dokument über den Aufstieg von Techno zur Massenkultur, zu dem Westbam mit seiner Beteiligung an Veranstaltungen wie der Loveparade und der Mayday sowie durch die chartstaugliche Musik seines Plattenlabels Low Spirit einen bedeutenden Beitrag geleistet hat. Dafür wurde er oft angefeindet, da ihn Techno als reine Untergrundkultur nicht interessierte, und hat ihm teilweise das Image eines rein kommerziell denkenden Großraumdisko-DJs einbrachte – was so nicht stimmt, das Buch ist auch von einer überzeugenden Liebe zur Musik geprägt und voll nerdigem Wissen über tolle Platten.

Nach dem Größenwahn Mitte der 1990er, als Westbam, Dr. Motte und Jürgen Laarmann (Frontpage) von der Raving Society träumten und die Loveparade jedes Jahr größer wurde, kommt aber leider nur noch sehr wenig. All das, was ab Ende der 1990er passierte, hat bis auf ein paar wenige Episoden anscheinend nicht mehr ins Buch gepasst. Es wäre bestimmt spannend gewesen, wie z. B. der Aufstieg von Minimaltechno (kurz bringt er das mit 9/11 in Verbindung, der seiner Meinung auch in der Technoszene zu einer neuen Zurückhaltung geführt habe) oder die Bedeutung des Berghains (auf einem Podiumsgespräch bei der Heinrich-Böll-Stiftung sprach er diesbezüglich von der Suche nach der Hochkultur) aus Westbams Sicht einzuschätzen sind. Vielleicht fehlen diese Themen auch deshalb, weil sich Westbam hier nicht mehr wohl gefühlt hat, er deutet das an, in dem er darüber schreibt, dass er sich in dieser Zeit manchmal „unpassend“ gefühlt habe. Aber auch die weitere Karriere von Westbam selbst, von seiner erfolgreichen Zusammenarbeit mit Nena (Oldschool, Baby 2002) bis zur Katastrophe auf der Loveparade in Duisburg 2010, auf der er sein letztes Set auf einer Loveparade überhaupt spielen wollte, fehlt fast komplett.

mailEin klein wenig mehr über Westbams Sicht auf die Gegenwart erfährt man im neu verfassten Nachwort zur vor kurzem erschienen Neuauflage von Ulf Porscharts „DJ Culture“, das gerne als Standartwerk zum Thema bezeichnet wird. Hier schreibt Westbam u. a. über Laptop-DJs und digitale Musikkultur, oder auch den Aufstieg der Superstar-DJs, die vor riesigen Menschenmassen auftreten und Millionen verdienen, aber teilweise gar nicht selber mixen können. Er selbst hat nie diesen Status des absoluten Superstar-DJs erreicht – ein Phänomen, das vor allem im Kontext von EDM in den USA ganz neue Blüten treibt – vielleicht, weil er doch trotz allem irgendwie immer mit einem Fuß im Untergrund verwurzelt geblieben ist und am totalen Ausverkauf kein Interesse hatte.

Als gute Ergänzung zu „Die Macht der Nacht“ läuft im Moment in der Mediathek von Arte die Dokumentation „Bäm Bäm Westbam!“, in der noch einmal wesentliche Episoden der Biografie thematisiert werden und auch einige der Protagonisten zu Wort kommen. Westbam unterhält sich hier mit Gabi Delgado von DAF, der Berliner DJ-Legende Fetisch und seinem Kollegen Hardy Hard. Seltsamerweise taucht auch Sven Regner auf, der die elektronische Tanzmusik als Rache der Keyboarder am Rock’n’Roll bezeichnet (weil nun endlich nicht mehr die Leute mit den Gitarren im Mittelpunkt stehen). Das ist alles durchaus sehenswert und ebenfalls ziemlich unterhaltsam, allerdings teilweise großspuriger erzählt als es notwendig gewesen wäre, z. B. wenn in den Kommentaren Westbams Rolle auf übertriebene Weise gepriesen wird, nervt das ziemlich – Westbam ist zwar kein bescheidener Mensch und hat auch keinen Grund dazu, seine Biografie liest sich aber auch deshalb so angenehm, weil er mit einer gewissen ironischen Distanz auf seine Karriere blickt.

Aktuell ist neben „Bäm Bäm Westbam!“ auch „B-Movie“ bei Arte +7 zu sehen, die Dokumentation über die Westberliner Subkultur – selbstverständlich ebenfalls mit Westbam.

Daniel Schneider

Clubkultour Berlin

Clubkultour-BerlinEine Projektgruppe der Berliner Clubcommission bietet ab diesem Monat eine Stadtführung zur Technoszene und Clubkultur ab 1990 an. Wir waren letzte Woche bei der Pressetour dabei und haben uns von Eberhard Elfert, dem Sprecher der Gruppe, zeigen lassen, wie nach dem Mauerfall Räume angeeignet wurden, um Clubs für Liebhaber*innen elektronischer Musik zu eröffnen. Wie man bei der Tour, die entlang des ehemaligen Mauerstreifens vom Potsdamer Platz bis zur Arena am Ufer der Spree führt, gut nachvollziehen kann, ist Clubkultur in Berlin stark von Wanderungsbewegungen geprägt, da die Clubs in Temporären Autonomen Zonen entstanden sind, die sie im Laufe der Zeit verlassen mussten, um weiterzumachen zu können. So geschehen zum Beispiel im Fall der Maria am Ostbahnhof, dem WMF, dem Tresor oder dem Ostgut (heute Berghain).

Für die Clubs war in der Anfangszeit die Hausbesetzerszene nicht unwichtig. Das Wissen und die Erfahrung in Bezug auf Strategien der Aneignung als auch über die Inbetriebnahme verlassener Orte spielte eine wichtige Rolle. Die neuen Orte des Nachtlebens befanden sich überwiegend entlang des ehemaligen Mauerstreifens, weil dort leerstehende Gebäude und ungenutzte Flächen aus Zeiten der DDR (z. B. das 2000 abgerissene Ahornblatt in der Gertraudenstraße), Gebäude der Grenzinfrastruktur an der Spree (z. B. ein Bootshaus  für Patrouillenboote, in dem sich der Club Kiki Blofeld befand) und Gebäude und Ruinen im Bereich des ehemaligen Todesstreifens (z. B. der Tresorraum des ehemaligen Wertheim-Kaufhauses in der Leipzigerstraße) besetzt bzw. zwischengenutzt werden konnten.

Die Tour hat es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur über die Geschichte der Berliner Clubkultur zu informieren, sondern sie auch in den Kontext der Berliner Stadtgeschichte einzubinden und die Hintergründe der Orte zu beleuchten. Es wird diesbezüglich beispielsweise kritisch hinterfragt, warum im Bereich der Schillingbrücke (Nähe Ostbahnhof), wo sich Clubs wie u. a. die Maria befanden und heute das Yaam zu Hause ist, bis heute keine Hinweise auf die häufig tödlich geendeten Fluchtversuche zu finden sind. Andererseits steht auch der Wandel der Stadt seit den 1990er Jahren im Fokus der Tour, also Gentrifizierung und Verdrängung genauso wie die Institutionalisierung und Professionalisierung ehemals improvisierter Orte zu anerkannten Kultureinrichtungen. Das dieser Wandel allerdings noch nicht alle Freiräume zum Verschwinden gebracht hat, zeigt das Kultur- und Nachbarschaftsprojekt Teepeeland an der Spree, durch das die Tour ebenfalls führt.

Elfert macht auf der Tour deutlich, dass bestimmte Faktoren oder spezifische Wandlungsprozesse wie die Entwicklung vom Analogen zum Digitalen, die Anknüpfung an die Subkulturen West-Berlins als auch die Wanderungsbewegungen innerhalb der Szene eine wichtige Rolle auch bei der Betrachtung und Verortung der Clubs spielt. Auch wenn es noch Widerstand gegen eine Historisierung von Clubkultur von Seiten der Technoszene selbst gibt, ist diese mittlerweile massiv in Gang gesetzt worden, nicht zuletzt aufgrund des 25-jährigen Jubiläums des Mauerfalls. Hier ist ein Angebot wie die „Clubkultour“ eine so naheliegendes wie wichtiges Angebot, gerade wenn es nicht alleine um eine oberflächliche Betrachtung oder gar Verklärung der Berliner Clubszene geht.

Die Tour setzt allerdings, zumindest in der Form, wie wir sie erfahren haben, viel Wissen über die Berliner Szene voraus. Auch wenn Elfert zu vermeiden versucht, über die effektvollen Inszenierungen der Geschichte an Jahrestagen zu sprechen oder die Geschichten einzelner Protagonist*innen der Szenen zu erzählen, so wäre dies an manchen Stellen vielleicht doch sinnvoll. Für weniger involvierte Personen können sie Bezugspunkte darstellen, um einen Zugang zur spannenden Geschichte Berlins zwischen Todesstreifen und Technopartys zu erleichtern.

Die erste Tour findet am kommenden Samstag, dem 05.09. statt, weitere Termine für dieses Jahr sind 19.09., 03.10. und 17.10. Die Tour startet jeweils um 14:00h Ecke Wilhelmstr./Leipziger Straße. Die Tour findet per Fahrrad statt (bitte mitbringen). Kosten: 13 bzw. ermäßigt 11€. www.clubkultour.de

Tanja Ehmann & Daniel Schneider

Zine of the Day: Rave Signal / Signal Plus

Rave Signal #1 (1992)

Rave Signal #1 (1992)

Es gibt Dinge, die können in ihrer ganz eigenen Form manchmal einfach nur abseits der Hot Spots popkultureller Metropolen und in der jugendkulturellen Einöde der Provinz entstehen. Nur dort sind Koalitionen zwischen Szenen möglich, die sich in der Großstadt nicht mal mit Arsch anschauen würden. Und nur dort bringen solche Koalitionen Dinge hervor, die es nirgendwo anders geben würde…

In diesem Fall handelt es sich um ein sog. „Split-Fanzine“, ein Fanzine, dass die Herausgeber_innen von zwei unterschiedlichen Fanzines als Gemeinschaftsprojekt veröffentlichen. Das allein wäre kaum der Rede wert. Solche Gemeinschaftsproduktionen verschiedener Zine-Macher_innen gab es in der Fanzine-Geschichte schon sehr früh. Beim Rave Signal #3/ Signal Plus #1 aus Weilheim handelt es sich aber um ein Split-Fanzine der ganz besonderen Art, das eng mit meiner eigenen subkulturellen Sozialisation in der oberbayerischen Provinz verbunden ist.

Rave Signal #2 (1992/93)

Rave Signal #2 (1992/93)

Aber der Reihe nach… Als Techno und House ab 1991 auch jenseits der Großstädte immer mehr Anhänger_innen fand, wurde mein „Sandkastenfreund“ Marco zum enthusiastischen Raver, der unser beschauliches Weilheim im oberbayerischen Voralpenland fast jeden Freitag verließ, um das ganze Wochenende auf Raves in der gesamten Republik teilzunehmen. Er war von diesem neuen Sound so angesteckt, dass er ab 1992 damit begann, sein eigenes Heft darüber zu veröffentlichen – mit Party-Berichten, Platten-Kritiken, bescheuerten Kolumnen, dämlichen Witzen und allem anderen Drum und Dran. Das ganze wurde per Schnippel-Layout zu einer Kopiervorlage zusammengebastelt und vom Vater eines anderen Freundes heimlich auf dem Kopierer seiner Arbeitsstelle vervielfältigt.

Der Name Rave Signal war bereits Programm. Schließlich ging es darum, die neue Rave-Kultur in Weilheim und Umgebung bekannter zu machen. Ob das wirklich was gebracht hat, kann ich nicht sagen. Immerhin hat Marco bis 1993 mindestens drei Ausgaben seines Heftes veröffentlicht. Das Wort „Fanzine“ kannte er zu dieser Zeit noch gar nicht.

Rave Signal #3 / Signal Plus #1 (1993)

Rave Signal #3 / Signal Plus #1 (1993)

Im gleichen Zeitraum, in dem sich Marco zu Stroboskop-Gewittern und geraden Beats in irgendwelchen Lagerhäusern und Industriebrachen herumtrieb, entstand in Weilheim selbst eine ganz eigene Subkultur um Bands wie The Notwist, Die Schweisser, Brainjam oder Dilirium, die ihre Wurzeln in der Punk/Hardcore-Szene hatten, sich aber musikalisch bereits darüber hinaus zu entwickeln begannen.

Mein Freund Greydl und ich waren an dieser Entwicklung beteiligt. 1990 hatten wir in guter DIY-Manier unsere eigene Punk/Hardcore-Band gegründet, ohne auch nur einen einzigen Akkord zu können. Nicht das Können stand zu dieser Zeit an erster Stelle, sondern das Machen. Und wie Marco, so waren auch wir begeistert von der neuen Subkultur, deren Teil wir geworden waren und über die auch wir nun unser eigenes Heft veröffentlichen wollten. Erste Fanzines hatten wir damals bereits gelesen.

Signal Plus #1 im Rave Signal #3  (1993)

Signal Plus #1 im Rave Signal #3 (1993)

Und weil Greydl und ich erst einmal sehen wollten, ob so ein Fanzine überhaupt was für uns ist, habe ich meinen Sandkastenfreund Marco einfach gefragt, ob wir zum Rave Signal nicht noch ein paar Seiten über Gitarrenmusik hinzufügen sollten. Er fand die Idee nicht schlecht und so entstand die erste Ausgabe das Signal Plus, wir zusammen mit der dritten Ausgabe des Rave Signal 1993 als ein Gemeinschaftsheft herausgaben.

Bei der nächsten Nummer trennten sich aber auch schon wieder die Wege von Marco und uns. Wir hatten dafür bald so viele Interviews, Plattenkritiken und andere Artikel zusammen, dass wir unser eigenes Heft im selben Jahr unter dem Titel Signal Plus Extra veröffentlichten, das wenige Monate später zum Fanzine Flatline wurde, aus dem schließlich mein eigener Fanzine-Mailorder namens Flatline-Imperium entstand, durch den ich u. a. meinen Weg in das Berliner Archiv der Jugendkulturen fand.

Seinen Ausgangspunkt hat mein Werdegang als Zine Nerd aber in diesem Split-Fanzine mit komischem Namen, in dem Techno-Beats und Hardcore-Lärm eine Koalition eingingen, wie man sie bis heute wohl kaum ein zweites Mal erlebt hat…

http://www.stolensharpierevolution.org/international-zine-month

#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Techno #Punk #Hardcore #Provinz

– Christian (Zine Nerd)

Zine of the Day: Virus

Virus - The Voice of the Underground (ca. 1994 )

Virus – The Voice of the Underground (ca. 1994 )

Virus ist ein Augsburger Techno-Fanzine aus den 90er Jahren. Hier geht es viel um mögliche Definitionen des Genres, künstlerische Arbeit sowie die Vermarktung von Techno. Das Fanzine ähnelt in seinem Aufbau stark einer Musikzeitschrift und weist die dort üblichen Rubriken auf: Plattenkritik, Tech-Review (hier: Roland 101 und Oberheim 5HE), Interview, Chart, Labelprofil und Plattenladennewsletter. Die Plattenkritik zu Maurizio 03 kommt von Electric Indigo, der female:pressure-Gründerin und ehemaligen Hard Wax-Mitarbeiterin. Die hotwenty Charts enthalten sowohl Künstler, Labels als auch Katalognummern. Hier herrscht keine einheitliche Vorgehensweise. Mal steht da Aphex Twin (Platz 14) oder Säkhö ohne Nummer und Artist auf Platz 1. Dann wird wohl alles von Säkhö gut sein? Die Interviews werden mit Szenegrößen geführt, u.a. mit Jeff Mills, Mike Banks von Underground Resistance oder Luke Slater. Die Interviews stellen ein gutes Quellenmaterial für den klassischen Techno und seine Inszenierungsformen dar. Zum Beispiel sagt Mike Banks auf die Frage ob er immer hinter Hard Wax- oder Red Planet- Veröffentlichungen steht: „I cannot answer those questions“. Diese Aussage kann wohl als szenetypisch bezeichnet werden und ist für manche Künstler*innen immer noch wichtiger Bestandteil bei der Veröffentlichung ihrer Werke. Nostalgisch stimmt mich dieses Fanzine beim Lesen der Profile von Force Inc. und Mille Plateaux. Diese Labels waren für mich damals wichtig für meine Elektronika- Sozialisation.

http://www.stolensharpierevolution.org/international-zine-month

#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Techno #Fanzine #Electro

– Tanja

Alltag Einheit

10caf999a0Ein Ausstellungstipp für (mal wieder) alle aus Berlin bzw. alle Leute, die im Laufe des Jahres Berlin besuchen: Alltag Einheit – Porträt einer Übergangsgesellschaft im Deutschen Historischen Museum.

In der Ausstellung wird die Zeit nach dem Fall der Mauer beleuchtet, mit Schwerpunkt auf den Osten Deutschlands, da hier die Veränderungen am stärksten waren. Es geht dabei – wie der Titel schon sagt – vor allem um die Veränderungen des Alltags der Menschen, darum, wie sich beispielsweise die Arbeitswelt oder die kulturelle Landschaft wandelten. Die Ausstellung thematisiert dabei auch manche Schattenseiten der Zeit nach 1990, was am deutlichsten an der Stelle wird, wo der Jubel über die gewonnene Fußballweltmeisterschaft von 1990 direkt den rassistischen Pogromen und Brandanschlägen in u. a. Mölln und Rostock-Lichtenhagen (1992) gegenübergestellt wird. Dass es hier einen direkten Zusammenhang geben könnte wird zwar nicht angesprochen, aber dadurch dass das Trikot der deutschen Nationalmannschaft auf beiden Seiten zu sehen ist, wird diese Sichtweise zumindest nahegelegt.

Auch Materialien aus dem Bestand des Archivs der Jugendkulturen werden gezeigt, u. a. Flyer und Plakate aus der Anfangsphase der Berliner Technoszene und der Loveparade. Die Materialien stammen alle aus dem sich im AdJ befindenden Nachlass des 2011 verstorbenen Ralf Regitz, dem ehemaligen Geschäftsführer der Planetcom.

Ein weiteres Thema sind Hausbesetzungen, u. a. wird an einem Computerterminal die von Mitarbeiter_innen des Archivs mitentwickelte Webseite Berlin Besetzt mit interaktivem Stadtplan und digitalem Archiv zu besetzten Häusern in Berlin und Potsdam gezeigt.

Alltag Einheit (bis 3. Januar 2016)
Deutsches Historisches Museum
Unter den Linden 2
10117 Berlin
Öffnungszeiten: täglich 10 – 18h
Eintritt (für das gesamte Museum): 8 €, ermäßigt 4 €,
bis 18 Jahre frei

Bar 25

Britta Nischner, Nana Yuriko
Bar 25 – Tage außerhalb der Zeit
Movinet Film
Deutschland 2012

Carolin Saage
25/7
Seltmann+Söhne 2013
208 Seiten
39,90 €

2Q==Der per Crowdfunding finanzierte Dokumentarfilm Bar 25 – Tage ausserhalb der Zeit über die Geschichte der Bar 25 und der ebenfalls diesen Berliner Club dokumentierende Fotoband 25/7 von Carolin Saage thematisieren den Aufstieg und Fall eines Wohn- und Freizeit-Projektes von im Kern vier Leuten. Der Film zeigt mit einigen Längen, wie sie es schafften, mitten in Berlin an der East Side Gallery – gegenüber vom Kiki Blofeld, unweit vom Tresor und auf der Straße Richtung Berghain – ein freiräumliches Partyufo zu erfinden und sieben Jahre lang zu erhalten. Anfangs zeigen Bilder und Interviews im Film eher elitär wirkende Inszenierungen von Kreativität und ein Leben außerhalb des vermeintlich „normalen“ Lebens und dessen ritualisierten Alltags. Allerdings wirkt die Welt im Freiraum der Bar 25 auf mich ebenfalls häufig ritualisiert, so als würde den meisten der gezeigten Party-Szenen eine Wiederholung innewohnen, die immer nur um ein oder zwei neue Aspekte wie z. B. eine neue Verkleidung, Geste oder ein neues Party-Gadget ergänzt wird. Die Filmausschnitte werden unterbrochen bzw. strukturiert durch collagierte Bildereinschübe (die man auch vom Design der Homepage kennt) mit Zitaten von z. B. Albert Hofmann, dem Entdecker von LSD, oder dem Autor Aldous Huxley (Schöne Neue Welt). Im zweiten und dritten Teil des Films zeigen Bilder und Interviews mit den Bar-Lebenskünstler_innen wie die Kommune durch die Auswirkungen der Ökonomisierung der Stadt politisiert wird, sie sich an der Petition Spreeufer für alle beteiligen und sich ein bisschen über das Bündnis Mediaspree versenken radikalisieren. Für mich wird die Bar erst jetzt Avantgarde: trotz oder möglicherweise gerade wegen der zunehmenden breiteren öffentlichen Wahrnehmung, mit der auch eine vermeintliche Öffnung zur Normalität einhergeht, wird die Bar in den letzten drei Monate ihres Bestehens zum Symbol einer Bewegung, die für Freiräume kämpft und sich mit anderen Betroffenen solidarisiert. Dabei wird dann die eigene Mystifizierung ein Stück zurückschraubt, wenn auch vor allem aus dem Bedürfnis, die eigenen Freiräume zu erhalten.

Im Fotoband werden diese Bilder aus der Zeit der Politisierung nicht gezeigt, was ich schade finde. Im Bildband stehen ausschließlich das burleseke Feierleben, der künstlerische Exzess und die Überhöhung des eigenen kreativen Outputs im Vordergrund. Bilder vom Alltag, von den problematischen Aspekten des Feierns oder dem Niedergang des Clubs fehlen. So oder so, der Mythos der Bar 25 ist entstanden und wird durch diese beiden Veröffentlichungen für die Nachwelt erhalten.

Tanja Ehmann

Berlin Sampler

Théo Lessour
Berlin Sampler – From Cabaret to Techno: 1904-2012, a century of Berlin music
Ollendorff Verlag 2012
350 Seiten
18 €

9k=Der Klang der Familie, Nachtleben Berlin, Subkultur Westberlin, Die ersten Tage von Berlin, Berlin Wonderland – diese Veröffentlichungen zu subkulturellen Aspekten der Berliner Kultur, vor allem der Westberliner Szene vor dem Mauerfall und der Technoszene sind wahrscheinlich allen Leser_innen dieses Blogs zumindest schon einmal begegnet (wir haben sie und einige andere zu diesem Thema hier besprochen) und haben auch im deutschen Feuilleton genügend Aufmerksamkeit genossen. Es sind seit einigen Jahren Trendthemen, nicht zuletzt auch wegen des 25-jährigen Jubiläums des Mauerfalls – auch Ausstellungen und Filme, Konferenzen und Diskussionsrunden häufen sich (und führen eventuell bei manchen schon zu starken Ermüdungserscheinungen). Eine Veröffentlichung, die vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit bekommen hat, ist Berlin Sampler von dem französischen Journalisten Théo Lessour. In gut sortierten Buchläden steht dieses Buch manchmal neben den o. g. Titeln, ansonsten ist es aber eher selten zu finden. Woran das liegt? Auch wenn es im Berliner Ollendorff Verlag erschienen ist, gibt es nur Ausgaben in Französisch und Englisch, es wird in Deutschland über den Exberliner vertrieben, der englischsprachigen Zeitschrift für Expats in Berlin. Es richtet sich also nicht unbedingt an ein deutsches Publikum, sondern zuerst an diejenigen, die aus dem Ausland auf Berlin schauen bzw. nach Berlin ziehen und sich für die Musik und Kultur dieser Stadt interessieren. So gesehen ist es eine Art Reiseführer durch die Musik Berlins.

Während die o. g. Titel sich auf die letzten Jahrzehnte der Berliner (Musik-)Geschichte beschränken, reicht Berlin Sampler viel weiter in die Vergangenheit zurück – es beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts mit Cabaret, Revue, Dada und anderen wichtigen kulturellen Phänomenen, mit Arnold Schönberg und Kurt Tucholsky. Eingeteilt in die vier Kapitel „E-Musik“, „U-Musik“, „A-Musik“ und „Techno“ gibt es einen Überblick über spannende musikalische Entwicklungen und Phänomene, die das kulturelle Bild Berlins geprägt haben: Die Comedian Harmonists, Alban Berg, die Swingjugend, The Lords, Wolfgang Biermann, David Bowie, Einstürzende Neubauten, Westbam, etc. Grob wird hier ein (subjektiv geprägter und entsprechend lückenhafter) Kanon Berliner Musik entworfen, es gibt ausführliche Kontextualisierungen und Hintergrundinformationen und prägende Veröffentlichungen werden vorgestellt. Auffällig ist dabei, dass neben den großen Stars wie Marlene Dietrich, Nena oder Paul Van Dyk oftmals experimentelle Musik im Mittelpunkt steht, auch politische Musik (z. B. Hanns Eisler, Ton Steine Scherben oder Atari Teenage Riot) spielt eine große Rolle. Politische und gesellschaftliche Entwicklungen haben die Musik aus Berlin entscheidend geprägt, dem Buch gelingt es gut, diese Zusammenhänge immer wieder aufzugreifen und so durch die Musik auch die Geschichte Berlins zu erzählen. Eigentlich also ein empfehlenswertes Buch nicht nur für Zugezogene, da hier viel zu entdecken ist, was auch Einheimischen fremd sein dürfte.

Was mich allerdings misstrauisch gemacht hat, waren die vielen Fehler, die mir an den Stellen aufgefallen sind, an denen es um Musik geht, mit der ich mich auskenne, also vor allem im Kapitel über Techno. Es sind meistens Kleinigkeiten – Moritz von Oswald heißt häufig (aber nicht immer) Maurizio von Oswald, das Frankfurter Label Playhouse ist angeblich nach Berlin gezogen, Ricardo Villalobos zweites Album wird als sein erstes ausgegeben, Dr. Motte hat Stücke produziert, mit denen er gar nichts zu tun hatte etc. Für sich alleine genommen wären das jeweils vernachlässigenswerte Fehler, aber die Häufigkeit, mit der sie zumindest in diesem Kapitel vorkommen (auf manchen Seiten sind es drei oder vier) zeigt, dass Lessour ziemlich schlampig gearbeitet hat (auch die häufigen Fehler in den Schreibweisen von Namen oder Songtiteln sowie Übersetzungsfehler sind Indizien dafür). Zusätzlich ruft die durch den persönlichen Fokus und das anscheinend selektiv angelesene Wissen geprägte Sicht auf Techno Stirnrunzeln hervor – z. B. wenn der heterogene und hybride ursprüngliche Techno aus Detroit (einem wichtigen Einfluss auf Berliner Techno) als „pure from the start“ („rein von Anfang an“) beschrieben wird oder wenn mit der Gründung von Ellen Aliens Label Bpitch Control 1999 der angebliche „Return of Techno“ eingeläutet wird. Durch die Fehler und die manchmal irritierenden Darstellungen und Bewertungen habe ich angefangen, alles, was ich in den vorherigen Kapiteln gelesen habe, zu hinterfragen – gibt es da auch Ungereimtheiten? Gibt es andere Fehler, die mir nicht aufgefallen sind, da ich kein ausreichendes Vorwissen habe? Ja, die gibt es (ich habe stichprobenartig Fakten aus den vorherigen Kapiteln überprüft und bin recht schnell auf weitere Fehler und Verfälschungen gestoßen) und es ist zu befürchten, dass es viele sind. Dadurch schwingt immer der Zweifel mit, ob das wirklich so war, wie es Lessour darstellt. So wird der zuerst positive Eindruck, den das Buch gemacht hat, doch massiv getrübt und ich kann Berlin Sampler nur sehr eingeschränkt empfehlen: Als Übersicht über hörenswerte Musik aus Berlin (bzw. irgendwie mit Berlin verbundene Musik) aus den letzten 100 Jahren ist es brauchbar und kann auch durchaus neugierig auf bisher unbekannte oder ignorierte Künstler_innen machen. Eine verlässliche Quelle ist es aber ganz offensichtlich nicht und die vielen Details und Anekdoten (die ich eigentlich als große Qualität des Buches hervorheben wollte) müssen leider mit großer Vorsicht genossen werden – der Reiseführer durch die Musik Berlins führt den Leser bzw. die Leserin vielleicht in die Irre.

Daniel Schneider

An alternative history of sexuality in club culture

Elektronische Tanzmusik, Clubkultur und die LGBTI-Szene sind historisch eng miteinander verknüpft – House entstand in Chicago und New York in mit der Schwulenszene verbundenen Clubs und auch in Berlin sind die Verbindungen, z. B. im Fall des Berghains und seines Vorgängerclubs Ostgut, von großer Bedeutung. Diese Clubs waren Freiräume, in denen dem Alltag entflohen werden konnte und sexuelle Diversität gelebt wurde. Diese Diversität und Offenheit wird auch heute noch oft mit Techno und Clubkultur in Verbindung gebracht, was aber nicht unbedingt der Realität entspricht bzw. aufgrund des Umstandes, das Techno (mittlerweile auch in den USA) Teil der Mainstreamkultur geworden ist, in Vergessenheit geraten ist. Vor gut einem Jahr ist zu diesem Thema ein umfassender Artikel von Luis-Manuel Garcia auf der Webseite von Resident Advisor erschienen, der immer noch aktuell und lesenswert ist: An alternative history of sexuality in club culture.

Ebenfalls bei Resident Adivisor ist vor kurzem ein hörenswerter Podcast mit Luis-Manuel Garcia erschienen, in dem er allgemeiner über relevante Aspekte von Clubkultur spricht.

B-Movie

B-Movie – Lust and Sound in West-Berlin
Deutschland 2015

www.b-movie-der-film.de

Nun gibt es endlich auch einen Film zum Thema Subkultur West-Berlin – und es ist auch noch ein ziemlich gelungener Film geworden. Zeitraum und Szeneumfeld ist ganz ähnlich wie in Wolfgang Müllers Subkultur Berlin, der Film ist aber keine Verfilmung dieses Buches des Mitglieds von Die Tödliche Doris. Die Band kommt zwar auch vor, aber nur ganz am Rande, im Mittelpunkt stehen hier vor allem die Einstürzenden Neubauten, Nick Cave, Gudrun Gut & ihre Bands Malaria! und Mania D, Die Ärzte und die Toten Hosen, Nena und Westbam. Nicht alle dieser Künstler_innen kamen aus Berlin, alle haben aber mindestens viel Zeit hier verbracht und waren in die Berliner Szene involviert. Der Film besteht ausschließlich aus Originalaufnahmen aus der Zeit von 1979 bis 1990, insgesamt wurden Ausschnitte aus 75 Filmen (von Fernsehdokus bis zu Privataufnahmen) benutzt, die ein eindrückliches Bild von West-Berlin – vor allem von Kreuzberg und Schöneberg – vor dem Mauerfall zeichnen. Beeindruckend ist beispielsweise die extreme Kaputtheit mancher Häuserblocks in Kreuzberg, die Präsenz der Mauer an für mich als Bewohner Kreuzbergs bekannten Ecken des Bezirks und die riesige Menge an bunthaarigen Menschen eigentlich fast überall (also zumindest an den Orten, die in diesem Film gezeigt werden). Die Regisseure des Films, Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange, haben dafür über mehrere Jahre Materialien zusammengetragen und aus vielen Ausschnitten eine sehr runde und liebevoll gemachte Dokumentation zusammengesetzt.

Als äußerst sympathischer Erzähler des Films fungiert Marc Reeder, der als gebürtiger Brite 1979 u. a. aus Interesse an deutscher Musik nach Berlin zog. Reeder kam aus dem Umfeld des Plattenlabels Factory Records und der Band Joy Division aus Manchester und war in der Anfangszeit in Berlin der Repräsentant von Factory in Deutschland. Er hat selbst viele Filmaufnahmen gemacht bzw. von sich machen lassen (u. a. im Auftrag der BBC) – so durchziehen B-Movie Aufnahmen von Reeder, wie er fast immer in irgendeiner Uniform inklusive passender Soldatenmütze in Berlin unterwegs ist, z. B. in kurzen Hosen an der Mauer entlangradelt oder für BBC-Fernsehbeiträge Berliner_innen wie Farin Urlaub, Christiane F. oder Blixa Bargeld trifft. Reeders Leben und Karriere bilden den roten Faden des Filmes – er war Manager von Malaria!, hat Nick Cave bei sich wohnen lassen, heimlich Konzerte für die Toten Hosen in Ost-Berlin organisiert, in Jörg Buttgereits Splatter-Filmen mitgespielt und vieles mehr. Hier ist wichtig zu wissen, dass der Film nicht die gesamte Berliner Szene abbildet (was wohl auch gar nicht möglich wäre), sondern vor allem das Umfeld von Reeder gezeigt wird – auch wenn er mit erstaunlich vielen heute als einflussreich angesehenen Akteur_innen zu tun hatte, fehlen z. B. Thomas Fehlmann und Palais Schaumburg oder auch die Szene aus dem Umfeld der G.I.-Discos. Der Film endet mit den ersten Vorwehen von Techno und dem Mauerfall – zu sehen sind die erste Loveparade im Sommer 1989, David Hasselhoff am Brandenburger Tor und frühe Aufnahmen von Westbam. Auch Reeder spielt hier wieder eine wichtige Rolle – er gründete 1990 das in den folgenden Jahren einflussreiche Techno- bzw. Trancelabel MFS, benannt nach dem Ministerium für Staatssicherheit.

Es ist zu hoffen, dass dieser Film, der am Sonntag im Rahmen der Berlinale Premiere hatte, einen Verleih findet und in die Kinos kommt – falls das (wider Erwarten) nicht klappen sollte, so wird er zumindest irgendwann im Sommer auf Arte gezeigt. (Er läuft diese Woche auch noch ein paar Mal bei der Berlinale, alle Termine sind hier zu finden.)

Daniel Schneider

CTM in 3D – Düsternis, Dunst und Drones

Berlin im Winterschlaf? Nicht mal im Januar kann das behauptet werden. Vor allem die Clubs sind durchgängig auf Betriebstemperatur. Und das CTM Festival (Festival for Adventurous Music and Art) erhöht dabei den hektischen Puls dieser Stadt noch weiter und bringt den Tag-Nacht-Rhythmus auch unter der Woche durcheinander. Neben Ausstellung und Panels im Kunstraum Bethanien wird mit Konzerten, Performances, Live-Auftritten und DJ-Sets im Berghain, HAU, YAAM und Astra Kulturhaus die Fülle an Angeboten fast schon wieder zu einer Überforderung oder, besser gesagt, zu einer Navigierleistung, was und wem die Aufmerksamkeit geschenkt werden soll.

Die 16. Edition der CTM widmet sich traditionell eher den experimentellen Klanglaboren und akustischen Grenzgebieten elektronischer Musik. Das ist auch nur bedingt tanzbar und oft eher eine dem inneren Monlog ähnliche Körperselbsterfahrung. Als Besucher_in begibt man sich dabei auf eine akustische Autobahn, in der in diesem Jahr vor allem Drones dominieren und teilweise gewohnte musikalische Grenzen erreicht bzw. diese um strapaziöse Ausfahrten erweitert werden.

Ästhetisch bewegen sich vor allem die CTM-Abende im Berghain in dem Dreiklang von wabernden, den Körper einhüllenden, düsteren Drones, massiven sichtnehmenden Nebelschwaden und Dunkelheit, die immer mal wieder punktuell durch Lichtinstallationen oder Stroboskop und Flutlicht aufgebrochen wird. Vor allem die Auftritte am Dienstag und Mittwoch mit u. a. The Bug, J.K. Flesh und Alec Empire bestachen hierdurch und zeigten darüber hinaus auch wieder eine Dominanz männlicher, weißer DJs und Künstler auf der Bühne.

Über Musik zu schreiben oder besser gesagt, die schwer in Worte zu fassenden musikalischen Klangwelten zu sezieren, um die avantgardistische Grundausrichtung dieses etwas anderen Musikfestivals zu beschreiben, werde ich an dieser Stelle allen ersparen. Aus ganz persönlichen Gründen. Ich finde das meistens langweilig und selbstdarstellerisch. Aber vor allem: Jede noch so detaillierte und referenzverliebte Beschreibung eine Livemusik-Erfahrung kann doch nie das wirklich entscheidende solcher Momente einfangen: Das Wirken auf den eigenen Körper, das Gefühl der körperdurchflutenden Sounds, die von den Füßen bis zum Brustkorb alles zum vibrieren bringen, das Hören und Verarbeiten von Frequenzen, die in den Ohren schmerzen, das Verschwinden des Ichs in einer diffusen Masse, die wie ein einziger Körper wirkt und alles um einen herum vergessen lässt. Akustik meets Körper. Resonanzkörper Club. Bewegungsaskese.

Dieses Leitmotiv wurde am ehesten am Donnerstag Abend im Berghain mit Auftritten von We Will Fail, Gazelle Twins, Evan Christ, Suidiceyears und die DJ-Sets in der Panorama Bar u.a. von Rroxymoore durchbrochen. Vor allem das Set der Musikerin We Will Fail hatte so rein gar nichts mit Versagen am Hut, sondern bewies viel mehr, dass sich auch warme und tanzbare Klänge ihren Weg in den Dunstkreis dieses Festivals bahnen können.

Neben den bereits genannten Events stachen vor allem folgende Auftritte für mich heraus:

Ansonsten galt oft die Devise: Ohrstöpsel nicht vergessen! Wir werden es uns für das nächste Jahr vormerken.

Giuseppina Lettieri

CTM & Transmediale 2015

Jedes Jahr finden Ende Januar in Berlin die beiden Festivals Transmediale und CTM (Club Transmediale) statt. Während die Transmediale, die 1988 das erste Mal unter dem Titel VideoFilmFest stattfand, ein Festival für Medienkunst und digitale Kultur ist, ist das seit 1999 stattfindende CTM ein Festival „for adventurous music and related arts“, also der musikalische Ableger der Transmediale. Beide laufen noch bis kommenden Sonntag, den 1. Februar.

Die im Haus der Kulturen der Welt (HKW) stattfindende Transmediale hat dieses Jahr das Thema „Capture All“, es geht um das umfangreiche Sammeln von Daten jeglicher Art und die Auswirkungen dieser Sammelwut auf unser Leben. Neben einer Ausstellung gibt es eine Konferenz und ein ausführliches Begleitprogramm mit Performances, Workshops und Filmvorführungen.

Auch CTM ist ein unglaublicher Veranstaltungsmarathon mit Konzerten, Partys, Vorträgen, Workshops und einer Ausstellung. CTM findet an verschiedenen Orten Berlins statt – u. a. im Kunstquartier Bethanien, im Hebbel am Ufer (HAU) oder im Berghain und anderen Clubs. Es läuft zwar auch tanzbare Musik bei CTM, das musikalische Spektrum geht aber weit über Techno und andere Formen elektronischer Tanzmusik hinaus. Das Thema des diesjährigen Festivals – Un-Tune – bezieht sich darauf, was Klänge mit uns machen können. Es treten viele Künstler_innen auf, die Soundforschung betreiben und teilweise eine fast wissenschaftliche Herangehensweise haben – z. B. die Aufführung des Sirenenprojekts von The Bug (Kevin Martin) am Dienstag, das nur mit Ohrstöpseln zu ertragen war und vor allem aus massiven, den ganzen Körper zum beben bringenden Drones und eben Sirenengeräuschen bestand. Auch historische Aspekte spielen eine Rolle – so gab es ebenfalls am Dienstag eine Vorführung eines historischen Synthesizers – der „Höllenmaschine“ von 1957 – und gestern ein Konzert von Alec Empire (u. a. bekannt durch die Elektropunk-Band Atari Teenage Riot), der sein Album „Low on Ice“ von 1995 aufführte. Am weitesten in die Vergangenheit zurück ging es aber bei dem Sänger, Musikwissenschaftler und Archäologen Iegor Reznikoff, der im Kunstquartier Bethanien in einem ehemaligen Kirchenraum frühe christliche Gesänge sang.

Reznikoff war auch einer der Redner des Vortragsprogrammes, bei dem es gestern um Archaeoacoustics ging – also Klangarchäologie, das Aufspüren von Spuren der Bedeutung von Klängen in vorgeschichtlichen Zeiten. Dort sprachen Archäologen, Musikwissenschaftler und Anthropologen über Themen wie den Zusammenhang von Höhlenmalerei und Echos, die Bedeutung von klingenden Steinen und anderen natürlichen Klangphänomenen für die Menschen der Frühzeit, oder die wichtige Rolle, die gemeinsamer Tanz und Musik und das Erzeugen von Trancezuständen für die Entwicklung menschlicher Gemeinschaften hatte und – als Beispiel wurde hier der Technoclub genannt – bis heute hat.

Weitere abenteuerliche Konzerte und Vorträge sind heute und in den kommenden Tagen zu erwarten – besonders gespannt bin ich auf den morgigen Vortrag zu „The Hum“, einem mysteriösem Klangphänomen, das immer wieder an verschiedensten Orten auf der Erde auftritt, und dem Abschlusskonzert am kommenden Sonntag im Astra.

Daniel Schneider

UdK- Ringvorlesung TECHNO STUDIES

Morgen treffen sich Felix Denk von der zitty, Ulrich Gutmair von der taz und Sven von Thülen zum Gespräch. Gegenstand des Gesprächs: Berlin Techno – „Der Sound der Wende“, „Der Klang der Familie“, „Party auf dem Todesstreifen“.

Alles Bücher bzw. Dokumentationen, die sich mit Techno, dem Berlin der Wendezeit und der daraus entstandenen Club-und Partykultur befassen, die mittlerweile fester Bestandteil des Berlin-Hype und Mythos ist und diese Stadt zur derzeit angesagtesten Musik-und Partymetropole macht.

Das Gespräch mit den Protagonisten dieser Veröffentlichungen findet im Rahmen der UdK- Ringvorlesung „TECHNO STUDIES.ÄSTHETIK UND GESCHICHTSSCHREIBUNG ELEKTRONISCHER TANZMUSIK“ statt, die bereits seit dem 11.11.2014 immer dienstags Vorträge rund ums Thema Techno von 19.00-21.00 c.t. in der Fasanenstr. 1b, Raum 322, 10623 Berlin anbietet.

Darüber hinaus findet zudem am 12. und 13. Dezember eine internationale Tagung statt, bei der u.a. Jochen Bonz, Diedrich Diederichsen, Gabriele Klein, Sascha Kösch und Rosa Reitsamer über Techno referieren. Aber auch das Archiv der Jugendkulturen ist mit dabei. Genauer gesagt wird Daniel Schneider (wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Pop-und Subkulturarchiv) am Samstag (13. Dezember) einen Vortrag zum Thema „Party im Schuber. Über die Archivierbarkeit der Technoszene“ halten.

Wann: 12.+13.Dezember 2014 von 10.00- 21.00

Wo:  Hardenbergstr. 33, Raum 102, 10623 Berlin

Teilnahme kostenlos, Anmeldung erwünscht (keine Platz-Garantie möglich).

Kontakt: techno@udk-berlin.de

Die Nacht ist Leben

Sven Marquardt
Die Nacht ist Leben
Ullstein 2014
14,99 €
224 Seiten

9783864930256_coverSven Marquardt ist vielen bekannt als der Mann mit dem tätowierten Gesicht und der gepiercten Unterlippe, der die Tür des Berliner Clubs Berghain bewacht. Nun hat er im besten Alter von 52 Jahren seine Autobiographie vorgelegt, die unter Mitarbeit der Berliner Autorin Judka Strittmatter, einer Enkelin des Schriftstellers Erwin Strittmatter, entstanden ist. Der größte Teil des Buchs handelt von Marquardts Leben in der DDR und zu einem Drittel von der Zeit ab 1990 bis zur Gegenwart. Mit „wir lebten in ´Grenzen frei´“ charakterisiert Marquardt ziemlich am Anfang des Buches sein Außenseiterdasein in der DDR. Seine Anekdoten gewähren nicht nur einen Einblick in seine persönliche Geschichte, sondern auch in die Nischen und Freiräume, die sich in der DDR von den jugendlichen Unangepassten aneignen ließen. Die Erzählung setzt im Kindesalter an, als die Scheidung seiner Eltern ihm den ersten „dramatischen Einschnitt“ bescherte. Sie berichtet auf den folgenden Seiten vom Umherschweifen in der Stadt und Altstoffe sammeln, von jugendlichen Erfahrungen als „Frischfleisch auf dem Schwulenmarkt“ und als Punk und Wohnungsbesetzer im Prenzlauer Berg, von Psychatrieaufenthalten und einigem mehr. Ein Großteil der im Buch abgebildeten Fotos stammen von Marquardt selbst. Die Kamera hat den gelernten Fotograf schon seit seiner Jugend begleitet und wesentliche Momente seines Lebens festgehalten.

In der ersten Hälfte der 90er spielt sich sein Leben in der boomenden Berliner Clubszene ab. Es geht um Drogen, Techno und wie zu erwarten: Tattoos und Piercings. Man erfährt wie er zu seinen Gesichtstätowierungen gekommen ist und merkt, dass der wirklich spannende Teil des Buches schon hinter einem liegt. Ab Mitte der Neunziger beginnt Marquardts Arbeit als Einlasser, die ihn bis an die Tür des Berghains führt.

Die Stimmung dieser Autobiographie ist wie seine Bilder eher melancholisch, jedoch ohne schwarz-weiß daherzukommen. Sie hält viel Interessantes bereit und lebt eindeutig von den Beschreibungen der DDR und ihrem Untergrund, worüber man noch so viel mehr erfahren möchte. Mitunter, besonders gegen Ende, hat es seine Längen. Trotzdem: An Sven Marquardt kommt keiner so leicht vorbei. Wer etwas über dessen Herkunft und den subkulturellen DDR-Alltag der 80er erfahren möchte, sollte dieses Buch zur Hand nehmen und lesen.

Jakob Warnecke

Die ersten Tage von Berlin

Ulrich Gutmair
Die ersten Tage von Berlin – Der Sound der Wende
Tropen 2013
256 Seiten
17,95 €

1027_01_SU_Gutmair_TageVonBerlin.inddUnter dem ein wenig großspurigen Titel „Die ersten Tage von Berlin – Der Sound der Wende“ ist im letzten Jahr ein weiteres Buch über die Nachwendezeit und die Ausbreitung subkultureller Szenen im damaligen Berlin erschienen. Der Autor Ulrich Gutmair beschränkt sich dabei nur auf einen recht kleinen, wenn auch durchaus relevanten Teil der damaligen Berliner Szene, stark geprägt von seinen persönlichen Erfahrungen und Sympathien. Er liefert also keinen umfassenden Überblick über möglichst viele Orte und Geschehnisse, was in Anbetracht des mehr versprechenden Titels  einen falschen Eindruck hervorrufen kann, wenn man sich als Leser_in dessen nicht bewusst ist. Ähnlich wie in der Ausstellung „Wir sind hier nicht zum Spaß“, die 2013 im Kunstquartier Bethanien in Berlin-Kreuzberg gezeigt wurde, geht es um den Teil der Szene, der sich um Orte wie das Elektro oder den Tacheles gruppierte. Andere bekannte Clubs wie Tresor oder E-Werk, einflussreiche Personen wie Dimitri Hegemann oder Dr. Motte spielen kaum eine Rolle.

Und auch wenn Gutmair seine Erzählungen in historische Kontexte einbettet, vor allem mit Exkursen zur Stadtteilgeschichte, werden viele Aspekte, die mir beim Lesen als besonders spannend erschienen, nur angerissen – z. B. die Aktivitäten von Investor_innen und Immobilienfirmen, die Rolle der Politik in Bezug auf die Planung der Stadt, die Situation der alteingesessenen Bevölkerung in Ostberlin oder die Präsenz von Neonazis im unmittelbarem Umfeld der hier beschrieben Szene. Es ist zwar sehr angenehm, dass sich das Buch nicht alleine um die Technoszene dreht, sondern durchaus öfters mal über deren Tellerrand schaut, aber hier wären mehr Hintergrundinformationen oder auch ein paar weitere Anekdoten wünschenswert gewesen.

Trotzdem gibt das Buch einen guten Einblick in das Berlin Anfang der 1990er Jahre, ohne dabei allzu verklärend und romantisierend zu sein. Klar, es wird von der Freiheit und den unendlichen Möglichkeiten geschwärmt, davon, dass Menschen aus aller Welt nach Berlin kamen, nur auf Durchreise oder für einen kurzen Besuch, dann aber fasziniert von der Stadt dageblieben sind und etwas aufgebaut haben. Davon, dass viele Menschen einfach so ihr Ding machen konnten, dass die finanziellen Zwänge fehlten und in Bars der Schnaps verschenkt wurde. Die Stadt wird aber auch teilweise als sehr kaputt und ungesund beschrieben und Probleme und Konflikte werden nicht verschwiegen. Immer wieder wird deutlich, dass hier zwar in manchen Augenblicken eine utopische Gesellschaft zu existieren schien, diese aber bei genauerer Betrachtung weder klassenlos noch zukunftsträchtig war. Vielen Akteur_innen war von Anfang an bewusst, dass es sich nur um eine temporäre Situation handelte. Manche hatten wahrscheinlich von Anfang an einen Business-Plan und konnten in dieser Zeit den Grundstein für eine erfolgreiche Karriere legen, wobei die Ausgangslage von Mittelschichtkids eine ganz andere war als die von weniger abgesicherten Menschen. Es dauerte nicht lange, bis die ersten besetzten Häuser wieder geräumt waren, die ersten Clubs wieder verschwanden und historische Gebäude über Nacht demoliert wurden, damit sie nicht mehr unter Denkmalschutz standen und abgerissen werden konnten, um Platz für neue Bürogebäude zu schaffen. Es wird deutlich, wie schnell das legendäre „wilde“ Berlin der Nachwendezeit schon nach kurzer Zeit am verschwinden war, auch wenn es bis heute das Image der Stadt prägt.

Daniel Schneider

Don’t Spotify your Life – Die Nischen auf der Berlin Music Week

„Betrug“ und „Skandal“, so hallt es am 1. Konferenztag der Berlin Music Week (BMW) durch den Postbahnhof. Dieter Meier (Yello) sitzt auf dem Eröffnungspodium der WORD! -Konferenz und macht erst mal alle Anwesenden richtig wach. Streaming, der neuer Streif am Horizont des sich jahrelang immer mehr verdüsternden Musikindustriehimmels? Sind Musikstreamingportale wie Spotify eine neue Möglichkeit für Künstler_innen endlich wieder Geld mit ihrer Musik zu verdienen? Nicht für Dieter Meier. Denn auch mit Streamingzahlen im Millionenbereich wird man bei Spotify mit so wenig Geld abgespeist, dass „es kaum reicht die Wasserrechnung zu zahlen“, so Meier. Die Intransparenz, was Zahlen, Abrechnungsmodi und faire prozentuale Beteiligung der Musiker_innen angeht, prangert er dabei weniger in Bezug auf seine Person an, schließlich habe er das Glück gehabt mit Yello mehrere Millionen (physische) Tonträger verkauft zu haben, sondern vor allem stellvertretend für junge Künstler_innen, die in der „Ära nach der CD“ auf neue Absatzmöglichkeiten angewiesen sind.

Da sind wir dann schon mitten im Themenschwerpunkt der fünften BMW angekommen: Digitalisierung und Streaming. Ein wenig abseits finden sich aber interessante Nischen, die pop- und jugendkulturelle Entwicklungen in den Fokus nehmen. Da gibt es dann Fragen zur Indie- Ästhetik heute, ein bisschen Popfeminismus- und Diversitydiskurs und als Glasur noch Bestandsaufnahmen zu DIY-Strukturen im urbanen Raum und politischen Haltungsfragen im Pop obendrauf.

Von DIY zu DIT

Wie in DIY-Strukturen professionell arbeiten? Dieser Frage stellen sich verschiedene Akteur_innen, die seit vielen Jahren in der Berliner und Hamburger Club- und Labelandschaft (u.a. Schokoladen, about blank, Audiolith) als DIY-Booker_innen, Veranstalter_innen und Labelbetreiber_innen aktiv sind. Zugegeben, ein etwas widersprüchliches Unterfangen bei DIY überhaupt in Chiffren von Professionalität zu denken. Der Ausgangsfrage wird im Gespräch dann auch nur wenig Raum gegeben. Es geht vielmehr um Aspekte wie Authentizität, den Kollektivgedanken, Fairness im Umgang mit Bands, Spaß bei der Sache und natürlich um die Liebe zur Musik an sich. Hauptsache keinen Job machen, den man hasst und schon gar nicht in Abhängigkeit arbeiten, so das Credo. Da verwundert es dann auch nicht, dass alle in die Empowerment-Hymne einstimmen und „denen da draußen“ als Ratschlag auf den Weg geben, sich und ihre Ideen einfach auszuprobieren. Und das natürlich am besten nicht alleine, sondern in einem Netzwerk ähnlich interessierter Menschen, am besten Freund_innen, um im Sinne einer Bottom-up-Strategie gemeinsam Nischen für selbstverwaltete Freiräume und Veranstaltungen zu besetzen. Denn der Sinn hinter „Do it yourself“ (DIY) soll weniger als ein „Mach alles alleine“, sondern eher als ein gemeinsames Tun, ein „Do it together“ (DIT) verstanden und gelebt werden. Wie leicht es heute noch ist in einem immer stärker spekulationsverseuchten Berlin solche Freiräume zu etablieren und aufrechtzuerhalten, das sollen sich „die da draußen“ dann aber doch lieber selbst beantworten.

Did we make any progress? 20 Jahre nach dem Riot Grrrl Manifest

„Revolution Girl Style Now“. Mehr als 20 Jahre nach der so betitelten Bikini-Kill-Platte und dem Riot Grrrl Manifest, erstaunt mich, dass mir 2014 ein Panel mit diesem Titel ins Auge springt, um auf den zweiten Blick zu fragen, wie es um die Rolle und Sichtbarkeit von Frauen im Musikgeschäft heute bestellt ist.

Sonja Eismann (Missy Magazin) deprimiert dann gleich zu Anfang. Das hat weniger mit ihrer Moderationsleistung zu tun, als vielmehr mit den ernüchternden Zahlen, die sie zum Diskussionseinstieg liefert. Denn auch die Musikindustrie, welch Wunder, ist ein Abziehbild der Gesamtgesellschaft. Auch hier greifen und perpetuieren sich Mechanismen und Strukturen der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen. So verdienen Frauen auch in der Musikindustrie deutlich weniger als Männer, findet man in den Führungsetagen der Labels eher selten eine Frau und auch bei der Produktion von Musik überflügeln Männer Frauen um Längen.

Dem Impuls aufzustehen und mich lieber in die Sonne zu setzen, widerstehe ich nur knapp, denn Eismann beteuert „We are not here to complain“. Doch die Frage, ob sich in den vergangenen Jahren eine sichtbare Entwicklung zum Besseren ausmachen lässt, wird wenn nur zaghaft positiv beantwortet. Die Rede ist da von mehr „Awareness“ dem Thema gegenüber (Electric Indigo/ Female Pressure). Es wird also mehr darüber diskutiert, was sich jedoch immer noch viel zu wenig in der Praxis bemerkbar macht. Jetzt bin ich nicht mehr nur deprimiert, sondern fast schon desillusioniert. Doch: ein Lichtblick. So recht weiß zwar keiner warum, aber das Berghain hat im vergangenen Jahr mehr weibliche DJs gebucht als jemals zuvor. Momentaufnahme oder doch ein erstes Aufbrechen verkrusteter Entscheidungsstrukturen im Zuge der Female Pressure Studie 2013?

Aber eine wirkliche Revolution à la Girl Style muss doch anders aussehen? Mehr Empowerment. Natürlich! Etablierte Musikerinnen sollen ihre Vorbild- und Mentoringfunktion für Nachwuchskünstlerinnen stärker wahrnehmen. Absolut! Bei Quotenregelungen und speziellen Musikawards für Künstlerinnen gehen die Meinungen dann doch stärker auseinander. Vor allem in Bezug auf die Wirkung und Symbolkraft dieser Instrumente, die in der öffentlichen Wahrnehmung auch mal nach hinten losgehen kann und Geschlecht eher als unterscheidendes Merkmal manifestiert, als diese Kategorie obsolet zu machen. Das zeigt nicht zuletzt die jahrelang geführte Debatte über die Einführungen von Frauenquoten in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen.

Am Ende bleibt: Alles keine schlechten Ideen, aber irgendwie schon tausendmal gehört. Wirklich revolutionäre Lösungsansätze sucht man vergebens. Ich muss an eine Textzeile aus dem Song „Rebel Girl“ (Bikini Kill) denken: „When she talks, I hear the revolution“ singt Kathleen Hanna. So ein Rebel Girl hätte diesem Panel sicher auch ganz gut getan.

Die neue Indieästehtik ist Hi-Tech

Adam Harper reißt mich dann mit seinen Vortrag „Indie goes Hi-Tech“ aus meiner 90er-Jahre-Nostalgie. Obwohl er mit einer Szene aus Portlandia, einer amerikanischen Comedyserie mit Fred Armisen (Saturday Night Live) und Carrie Brownstein (Sleater Kinney, Wild Flag) beginnt. „We put a bird on it“ heißt es da und „The Dream of the 90s is alive in Portland“. Doch wer sich jetzt in sicheren Gefilden wähnt, was Stile, Referenzen und Codes der heutigen Indie-Kultur angeht, den duscht Harper schon gleich im nächsten Augenblick wieder kalt ab. Seiner Meinung nach gehört die in Portlandia zelebrierte Indie-Ästhetik schon längst der Vergangenheit an und ist nur noch was für Nostalgiker_innen, die in den 80ern groß geworden sind. Autsch, getroffen.

Das naiv verspielte, oftmals charmant rohe und selbstgemachte ist vielmehr einer unterkühlten, dekadent anmutenden, modernen Bildsprache in Videos, Plattencovern und Visuals gewichen. Vor allem in der elektronischen Musik verweben sich minimalistische Musikstile mit reduzierten, futuristischen Bildwelten und Motiven. Spannende Vertreter_innen dieser neuen pasticheartigen Indieästhetik sind neben James Ferraro vor allem auch viele Künstlerinnen, wie Fatima al Quadiri, FKA Twigs, Laurel Halo und auch queere Acts wie Le1f und Mykki Blanco. Die neuen Musikgenres heißen Vaporwave oder Cuteness und sind in ihrer Ästhetik auch stark vom Manga-Stil beeinflusst, oft gefährlich nah an klischeehaften Darstellungen, die in Exotismus abzugleiten drohen. Das findet man sicher nicht mehr auf den Parties im Jugendzentrum um die Ecke. Also alle Nostalgie über Board. Jugendliche und Künstler_innen entwerfen ihre Idee von Indie-Ästhetik neu, und diese wird, wie so vieles, von den Möglichkeiten digitaler Technik bestimmt.

We are the Teenagers

Um Jugendliche und technischen Fortschritt geht es auch bei dem „When Teenage Music Fans are your Audience“-Panel. Genauer gesagt, um deren Hörgewohnheiten und Musikkonsumverhalten. In der vorgestellten Studie zeigt sich, dass mittlerweile 90% der Jugendlichen ein Smartphone besitzen und dieses zum Musik hören nutzen. Das tun sie hauptsächlich über Youtube und noch recht verhalten über Spotify (20%). Und nur noch knapp 14% besitzen überhaupt ein Gerät mit dem man CDs abspielen kann.

Wie Jugendliche Musik hören und konsumieren hat sich im Vergleich zu den Vorgängergenerationen somit gravierend verändert. Physische Tonträger (Kassetten, Vinylplatten und CDs) spielen bei Ihnen kaum eine Rolle. In Zeiten von MP3s und der Verbreitung von Musik über das Internet bedeutet das auch, dass ein Großteil der Jugendlichen in ihrer musikalischen Sozialisation nie für das Hören von Musik bezahlt haben und die Frage, die sich daran anschließt und nicht nur die Musikindustrie umtreibt, ist: Warum sollten sie es dann als Erwachsene tun?

Schlechte Haltungsnoten im Pop

Mit schwierigen Fragen startet auch mein letztes Panel „Pop + Politik = Haltung ?“ der BMW. Hat Popmusik heute noch gesellschaftspolitische Relevanz? Was ist Haltung für euch?

Was dann eine gute Stunde lang folgt ist ein diffuses Potpourri aus Gedankenfetzen und Beiträgen, die immer wieder um die sicher nicht einfache Begriffsdefinition Haltung kreisen. Sookee, Rapperin aus Berlin, nähert sich dem Begriff Haltung mit der Unterscheidung zwischen Dogmen („anstrengend“) und Prinzipien („wichtig“). Stoppok, deutscher Rockmusiker, findet, dass heutzutage „eh alle eine Meise haben, die noch Plattenverträge bei Majorlabels unterschreiben“ und Labelbetreiber Gregor (Sounds of Subterannia) übernimmt in der Runde die Rolle des Kulturpessimisten, der in die „früher war alles besser“-Attitüde verfällt und fragt, wo sich heute noch Bands finden lassen, wie es sie in den 70ern gab?

Wie Sookee dann richtig einwendet, wird es nicht nur für Künstler_innen, sondern für alle in Zeiten von Globalisierung und zunehmend fragmentierten Teilöffentlichkeiten immer schwerer sich klar zu positionieren. Die Komplexität mancher Themen tut dazu ihr übriges. Samsa wünscht sich eine strikte Trennung zwischen Meinung („haben ziemlich viele Menschen“) und Haltung („lässt sich bei Bands auch immer weniger finden“). Woran er das festmacht?  U. a. an der Crowdfundigkampagne von Marcus Wiebusch (But Alive, Kettcar), der für die Produktion seines Musikvideos „Der Tag wird kommen“ (zum Thema Homophobie im Fußball) 50.000 Euro gesammelt hat. Samsa fragt sich und in die Runde, warum Wiebusch das Geld nicht lieber dafür verwendet, um es direkt Initiativen gegen Homophobie zur Verfügung zu stellen? Die fragwürdige Instrumentalisierung von Themen wie Homophobie aus Imagegründen, soll Wiebusch an dieser Stelle zwar nicht unterstellt werden, etwas mulmig ist mir bei dieser Art von „Awareness-Rising“ aber schon.

Leider fehlt durch die generell sehr zerfahrene Diskussion, Raum für viele weitere spannende Fragen zu Jugendkulturen, die im Vorfeld angekündigt waren. Stattdessen macht Sookee ungeniert Eigenwerbung für ihr Label, dass „wie kein anderes fernab kapitalistischer Verwertungslogiken arbeitet“. Aber gut, auch Sympathieträgerinnen haben mal einen nicht so guten Tag. Und Stoppok rühmt sich dafür in seiner gut 40jährigen Karriere, auch ohne Majorlabel im Rücken, die Hallen gefüllt zu haben. Ärgert sich aber trotzdem, so mein Eindruck, darüber, dass er nie bei „Wetten dass..?“ eingeladen wurde. Da macht es dann am Ende auch fast gar nichts, dass Sookee nicht weiß, wer Marcus Wiebusch ist.

Um Distinktion bemüht

Dass sich angeblich 3.5000 Delegierte auf der Konferenz tummeln sollen merkt man bei der BMW zu keinem Zeitpunkt. Weder bei den Panels, an den Bars oder vor den Toiletten bilden sich nennenswerte Schlangen. Das mag zwar schlecht für die BMW sein, deren Relevanz ja schon seit Bestehen in Frage gestellt wird, für mich bedeutet das eine sehr entspannte Konferenzatmosphäre. Selbiges lässt sich auch über die Konzerte im Rahmen von First We Take Berlin sagen. Ob nun im YAAM bei Zugezogen Maskulin, in der Berghain Kantine bei Ballet School oder im Astra bei Zoot Woman. Reindrängeln muss man sich nirgends. Bei den Musikevents wird aber noch stärker deutlich, wie wenig es der BMW gelingt, sich vom dem üblichen Partyangebot Berlins distinktiv abzuheben.

Mit einer Überraschung wartet dann der Abschlußevent der BMW, der New Music Award, auf. Newcomer findet man unter den Bands im Wettbewerb zwar kaum, denn fast alle haben schon einen Plattenvertrag in der Tasche und auch der Blick ins Programmheft manifestiert eher, was beim Panel zu Frauen und Vielfalt im Musikbusiness schon schlechte Laune machte: In einem Meer von Indierock- und Hip-Hop Acts, viele mit einer Art Casper-Clon in ihren Reihen, finden sich gerade mal drei Künstlerinnen im Wettbewerb wieder. Doch worin besteht dann die Überraschung? Dass am Ende eine von ihnen, nämlich die Berliner Musikerin Lary den NMA gewinnt. Es bleibt also die vage Hoffnung, dass sich musikalisches Talent, ob im Mainstream oder Underground, immer wieder durchsetzen kann und wir vielleicht schon bei der kommenden BMW nicht mehr über spezielle Awards zur Förderung von Musikerinnen nachdenken müssen.

Giuseppina Lettieri

Nachtleben Berlin Wonderland

Wolfgang Farkas, Stefanie Seidl, Heiko Zwirner (Hrsg.)
Nachtleben Berlin – 1974 bis heute
metrolit 2013
304 Seiten
36,00 €

Anke Fesel, Chris Keller (Hrsg.)
Berlin Wonderland – Wild Years Revisited, 1990–1996
bobsairport / gestalten 2014
240 Seiten
29,90 €

nachtlebencoverhpBerlin ist weltweit bekannt für die verrückten Leute, die Flut an kreativen Versuchen, relativ niedrige Lebenshaltungskosten, eine entspannte Atmosphäre und seine tollen Clubs mit wilden Parties. Wenigstens für die Zeit seit 1974 haben wir das jetzt schriftlich: Nachtleben Berlin in Coffee-Table-Book-Format, dick mit vielen Fotos ausgestattet, können wir jetzt nachlesen, wie es war im Chez Romy Haag, im Dschungel, Café M oder der Paris-Bar. Wir erfahren wer so alles im Exil ein- und ausgegangen ist, wie ein schwuler Ausgeh-Abend aussehen könnte, warum das Berhain der beste Club der Welt ist oder wie man ein unangemeldetes Open Air aufzieht. Auch in Ost-Berlin soll man nachts unterwegs gewesen sein. Wir erfahren, dass der Broken Hearts Club nach Basel und Miami exportiert wurde und wie eine linke Haltung und Party zusammen funktionieren können.

Unheimlich viele Fotos versuchen die Stimmung wiederzugeben, Interviews und protokollierte Gespräche mit Macher_innen, DJs und Dabeigewesenen sollen Fakten und Geschichten liefern. Leider sind längst nicht alle Befragten so uneitel wie Gindullis vom Cookies, sondern feiern sich mit selbstgeschriebenen Heldenerzählungen und aufdringlichem Namedropping. So als würde eine berühmte Person, die von ihrer Entourage in einen Laden geschleust wird, diesen erst richtig perfektionieren. Auch ein großer Teil der Fotos ist nach diesem Prinzip ausgewählt. Wohltuend heben sich da die stimmungsvolleren Beiträge zur Bar 25 oder zu Electroclash-Parties – glücklicherweise ohne Promi-Aufzählungen – sowie der Text zum schwulen Ausgehen von Walter Kaul vom Rest ab.

berlin_wonderland_front_04Weniger selbstbegeisterte Berichterstattung und dafür mehr Melancholie ist in dem Fotoband Berlin Wonderland zu finden. Hier wird gar nicht erst versucht, einen allumfassenden Überblick zu geben. Statt dessen beschränken sich die Herausgeber_innen auf den Teil Berlins, der auch ein Teil ihrer eigenen Geschichte ist. Anke Fesel und Chris Keller waren mittendrin als nach dem Mauerfall Träumer, Zauberinnen, Phantasten und sonstige Menschen, hier kurz als Künstlerinnen und Künstler bezeichnet, in die vom Sozialismus leergelassenen Häuser und Stadträume einfielen. Binnen kurzem wurde die Stadt zum Club, zur Theaterbühne, zur Weltgalerie. Wir sehen ein Land des Sich-Ausprobierens, der Visionen, des Zusammenseins, der Offenheit und – heute wohl am unfassbarsten – des kreativen Müßigganges.
Die Schwarz-Weiß-Photos wirken dabei wie Grafiken von Träumen, Botschaften aus einer leider längst vergangenen Zeit. Einige wenige Zitate von Akteuren sind dazwischengestreut, manchmal mit kleinen Geschichten die Motive erhellend, manchmal fast poetische Reflexionen über das Verschwinden und Bewahren. Dieses Buch bewegt sich meist um die Szene in Berlin-Mitte, rund ums Tacheles und die Gegend um den Rosenthaler Platz, den Eimer und das RA.M.M.-Theater.
Für weitere Werke über den Underground der 90er Jahre hat dieses Buch auf jeden Fall hohe Maßstäbe gesetzt.

Peter Auge Lorenz

Der Klang der Familie

Felix Denk und Sven von Thülen
Der Klang der Familie
Suhrkamp Verlag 2012, ab August 2014 als Taschenbuch erhältlich
423 Seiten
10 €

46548Es handelt sich bei diesem Buch um eine Sammlung von Zeitzeugenberichten über die elektronische Musikszene in Berlin zur Zeit der Wende – von kurz davor, bis in die Hochzeit der 1990er Jahre.

Die beiden Autoren führten und sammelten Interviews mit Szenemitgliedern, vom Club- oder Labelbetreiber_innen über DJs, Barpersonal, Türsteher, Medienschaffende bis zu Szenegänger_innen der ersten und zweiten Stunden. Es geht um die Auswirkungen der mit der Wende entstandenen „Temporären Autonomen Zone“, wie die Freiräume in Berlin zum Teil bezeichnet wurden. Diese Freiräume ermöglichten es einer Kultur zu wachsen, die von den beiden Autoren und deren Interviewten in diesem Buch ausführlich beschrieben wird.

Die große Leistung dieses Buches besteht darin, dass die Autoren alle diese Interviews zerstückelten und die einzelnen Teile dann nach Themen geordnet wieder zusammensetzten, sodass eine durchgehend erzählte Geschichte entsteht.

Verschiedene Clubs sind Thema in diesem Buch, genauso wie Veranstaltungen, wichtige Personen, Medien oder auch einfach die Stimmung, die Atmosphäre, die so wichtig war in dieser Zeit und doch so schwer greifbar ist. Die Autoren schaffen es in diesem Buch, diese Stimmung einzufangen und auch Außenstehenden, denen, die nur Leser_innen sind, das Gefühl zu geben, diese Zeit noch einmal miterleben zu können.

Dies geschieht über die vielen authentischen Persönlichkeiten, die in diesem Buch zu Wort kommen. Einige findet man nur mit ihren Kommentaren zu spezifischen Themen, die sie selber betroffen haben, andere sind so sehr in der Szene verankert, dass sie zu jedem Thema eine spannende Geschichte beizutragen haben.

Die Struktur des Buches ist chronologisch. Die Autoren beginnen mit den ersten Clubs und den ersten Partys, die man der elektronischen Musikszene zuordnen konnte (z. B. der Streit, wer die ersten Acidhouse-Partys in Berlin gegeben hat) und lassen Loveparade, Tresor, Walfisch, Mayday und E-Werk folgen. Personen, wie Dr. Motte (Loveparade), Westbam (Low Spirit/Mayday), Marusha (Somewhere over the rainbow), Jürgen Laarmann (Frontpage Magazin), Mark Ernestus (Hard Wax) und viele andere, tauchen nicht nur als Namen im Zusammenhang mit Themen auf, sondern auch als Interviewte, die direkt involviert waren und aus dem Nähkästchen plaudern.

Die Fülle an verschiedenen Blickwinkeln auf die behandelten Themen ist das, was dieses Buch so facettenreich und einzigartig macht. Selbst Leser_innen, die in dieser Zeit Teil der Szene waren, können hier noch neue Geschichten und Informationen erfahren. Es ist eine Reise durch diese Zeit, an diesen Ort, der nach wie vor so besonders und bedeutend ist und immer noch eine starke Anziehungskraft auf Menschen überall in der Welt ausübt.

Dieses Buch ist etwas für Szeneangehörige, genauso wie für Menschen, die einfach nachvollziehen möchten, wieso diese Szene und diese Zeit so faszinierend sind, und gilt mittlerweile als eines der Standartwerke zu diesem Thema.

Chris Kruit