Conrad Lerchenfeldt
Die Legende der Böhsen Onkelz
Riva 2015
208 Seiten
19,99 €
Die Hoffnung war groß, als ich dieses Buch in die Hand nahm – ein Buch über die Böhsen Onkelz, das von einem „versierten Musikjournalisten“ geschrieben wurde, wie es der Verlag angekündigt hat. Würde hier eventuell ein Stück weit das eingelöst werden, was Klaus Walter – ebenfalls ein Musikjournalist – in seinem Artikel „Stand der Kritik“ in der SPEX-Ausgabe 358 (Januar/Februar 2015) einforderte? Nämlich dass sich die seriöse Popkritik mehr mit Musikacts wie eben den Onkelz oder Helene Fischer beschäftigen sollte. „Massenphänomene“ wie eben diese, so Walter, „tut die Popkritik bevorzugt mit habituellen Distinktionsgesten ab: Unterschichtsfernsehen halt.“ Das hier also aufgrund eines gewissen Snobismus oft Ignoranz herrscht, ist ein berechtigter Kritikpunkt. Es wäre tatsächlich ein Gewinn, mal Texte über die Onkelz lesen zu können, die aus einer reflektierten Popmusik-feuilletonistischen Perspektive geschrieben wurden.
Das so etwas zwar nicht ein ganzes Buch füllen würde, ist eigentlich klar, aber zumindest hätte es ja sein können, das hier jemand mal die Geschichte und die Musik der Band aus neuen Perspektiven betrachten würde und vielleicht ein Buch entstanden sein könnte, dessen Hauptzielgruppe nicht allein die Fans der Band sind. Aber klar, auch wenn es sich bei den Onkelz um eine der wichtigsten deutschsprachigen Bands und ein – egal wie man zu ihnen stehen mag – eigentlich recht spannendes popmusikalisches Phänomen handelt, letztendlich sind es wahrscheinlich fast ausnahmslos die Fans, die ein Buch kaufen würden, wo vorne groß „Böhse Onkelz“ draufsteht. Aber trotzdem wäre hier mehr möglich gewesen – denn die Hoffnung auf eine neue Perspektive wird schon gleich zu Beginn enttäuscht, wenn der Autor schon im Vorwort die alte Leier von den ignoranten Medien und den unwissenden Außenstehenden anstimmt, die in den Onkelz immer nur eine „Rechtsrock-Kapelle“ sehen wollten und den Wandel der Band nicht wahrgenommen hätten.
Diese Vorwürfe, die durchaus auch ihre Berechtigung haben mögen, bestimmen dann auch einen Großteil des Buches, das in einem auf Dauer kaum zu ertragenen anklagenden Tonfall darauf rumreitet, dass die Medien etc. die Onkelz immer falsch verstanden hätten und nichts von deren Abkehr von der rechtsradikalen Szenen wissen wollten. Kritik an der Band wird dann auch mal als „persönliche Angriffe“ bezeichnet und die Band immer wieder als Opfer dargestellt. Die Vergangenheit der Band wird zwar klar und deutlich geschildert, aber meistens nur als dumme Jugendsünden und ungeschicktes Verhalten dargestellt und verharmlost. An manchen Stellen wird das Buch dann komplett lächerlich, z. B. wenn als Beleg für den zweifelsfrei stattgefundenen Wandel der Band die Entscheidung des Bandleaders Stephan Weidner, Vegetarier zu werden, angeführt wird.
„So mancher Mensch hat in irgendeinem Augenblick seines Lebens schon mal gesagt: Ach Gott, die armen Tiere, die sollte man leben lassen und nicht essen. Die wenigsten haben diese Überlegung aber weiter verfolgt und sich wirklich so rigoros daran orientiert, dass sie dauerhaft ihr Leben änderten und ihre zuvor gelebten Einstellungen korrigierten. Ein Stephan Weidner hat es getan, und daran sollte man denken, wenn der Band unterstellt wird, sie würde immer weiter unbeeindruckt und unverbesserlich politisch rechtsextreme Ideale vertreten.“ (S. 83)
Der Wandel der Band zu einer „unpolitischen“ Band wird an keiner Stelle genauer analysiert, genauso wenig wie die Worthülse „unpolitisch“ problematisiert wird oder ansonsten Aussagen ernsthaft hinterfragt werden. Es gibt noch vieles weitere zu kritisieren – z. B. die spürbare Ahnungslosigkeit des Autors, wenn es um Themen wie Punk oder Hip Hop geht oder der stellenweise sexistische Tonfall des Buches (z. B. in Bezug auf die Filmmacherin Tabea Blumenschein, in deren obskurem Film „Zagarbata“ von 1985 die Onkelz auftreten). Vor allem aber reproduziert der Autor nur das, was in den explizit an die Fans gerichteten und deshalb auch mit gewisser Vorsicht zu genießenden Büchern von Edmund Hartsch und Klaus Farin schon ausführlich behandelt wurde. Da kommt nur im letzten Kapitel Neues dazu, wenn es um die Zeit nach der Auflösung der Band, die erschreckend tragische Geschichte des Sängers Kevin Russel (und den von ihm im Drogenrausch verursachten schrecklichen Unfall von 2009) und die Reunion der Band geht.
Wie wenig der Autor über eine nur oberflächliche Darstellung der Band hinauskommt, zeigt der letzte Absatz des Buches – dort vermutet er, dass vielleicht die Vorwürfe gegenüber der Band einen entscheidenden Anteil an ihrem Erfolg gehabt haben und die Fans zusammengeschweißt haben könnten. Inwiefern die andauernde Selbststilisierung der Band als Opfer zentraler Teil ihres Images und entsprechend auch von großer Bedeutung für ihren Erfolg ist, hätte eigentlich eine zentrale Fragestelle des Buches sein können – aber so weit hat der Autor leider nicht gedacht.
Daniel Schneider