Dotschy Reinhardt
Everybody’s Gypsy: Popkultur zwischen Ausgrenzung und Respekt
Metrolit 2014
224 Seiten
17,99 €
Dotschy Reinhardt, eine in Berlin lebende Sinteza, thematisiert in diesem Buch die in der weißen Mehrheitsbevölkerung weit verbreiteten Klischees von Sinti und Roma. Dabei spürt die in Berlin lebende Jazzmusikerin, Schriftstellerin und Aktivistin antiziganistische Ressentiments fernab von NPD-Wahlkampfplakaten dort auf, wo wir sie zunächst nicht unbedingt erwarten würden: in der Popkultur.
Einerseits will man uns nicht als Nachbarn haben, aber die Gypsy-Nude holt man raus, wenn man mal wieder böses Mädchen spielen will. Nicht zu vergessen den “Gypsy-Rock”, die “Gypsy Boxer-Shorts“ und die „Gypsy Panties.”
Ob als Projektionsfläche für den feuchten Hippietraum oder als Zielscheibe von Stammtischsprüchen, die auch in der bürgerlichen Mitte regen Zuspruch erhalten – der weiße Blick auf Sinti und Roma scheint stets zwischen Aneignung und Ausgrenzung zu oszillieren. Der “Gypsy-Style” ist aus der deutschen Musik-, Medienlandschaft, Kunst- oder Modelandschaft kaum wegzudenken und ist dabei extrem warenförmig. Ob die Figur der Wahrsagerin bei den Sims, Schnittmuster “Esmeralda” und sogar ein eurasischer Schmetterling – der Begriff “Gypsy” verspricht erfrischende Abwechslung vom tristen Alltag der Leistungsgesellschaft in Kartoffeldeutschland und steht für Temperament, Lebensfreude, Impulsivität und Kitsch.
Mit der Lebensrealität von Sinti und Roma haben diese Klischees freilich wenig zu tun. Neben rassistischer Anfeindung auf der einen Seite führen sie auf der anderen Seite zu einer Vorstellung, in der Sinti und Roma als “bunte Flecken” in der Gesellschaft und als Platzhalter der “Vielfalt” herhalten dürfen. Hinter dem Schlagwort „Vielfalt“ lauert dabei immer die Festschreibung von Menschen auf Identitäten, die ihnen aufgrund rassistischer Stereotype zugewiesen werden.
Die problematischen Auswirkungen, die Reinhardt beschreibt, sind dabei ebenso vielfältig: Zum Einen werden Traditionen der Sinti und Roma missachtet, zum Anderen werden Eigenschaften, die realpolitische Ursachen haben, naturalisiert und romantisch verklärt. So ignoriert beispielsweise das romantisierte Bild eines Nomadenvolkes, das gerne in provisorischen Unterkünften lebt, die Tatsache, dass Sinti und Roma seit jeher vertrieben und verfolgt (in der krassesten Ausprägung in Form eines Völkermordes während der NS-Zeit) wurden und noch immer werden.
Im dominanten Diskurs werden Künstler_innen und Kulturschaffende zudem gezwungen einem vorverhandelten Bild von sich zu entsprechen. Dotschy Reinhardt fragt: “Dürfen wir wirklich nur dazugehören, wenn wir die Vorstellungen dieser Mehrheitsgesellschaft erfüllen?” und nimmt uns mit auf eine Tour de Farce durch die (deutsche) Klischeelandschaft, die sich trotz sprachlicher “Bemühungen” noch nicht wirklich verändert zu haben scheint.
Ein Sprachwandel, wie beispielsweise die Kinderbuchdebatte zeigte, geht in Deutschland zäh von statten – zu ungerne überdenkt man die eigenen Rolle als Angehörige der weißen Mehrheitsgesellschaft. Doch auch wenn das Z-Wort heute weniger selbstverständlich in den Mund genommen wird, so wird es im medialen Diskurs von anderen, pejorativ verwendeten Begriffen abgelöst. So tummeln sich dort beispielsweise “Roma-Bettelbanden”, aber auch ohne explizite Benennung finden sich immer wieder implizite rassistisches Ressentiments, wie Reinhardt anhand einer Anekdote über die Einladung als Talk-Show-Gast bei Anne Will zum Thema: “Betteln, schnorren, Spenden sammeln – wird unser Mitleid ausgenutzt?” zeigt.
An solchen Stellen hakt die Autorin nach, konfrontiert die Verantwortlichen mit ihren Rassismen und Klischeevorstellungen und artikuliert ihr Unbehagen. Ihre eigenen Erfahrungen, die sowohl von Erfolgen als auch von Rückschlägen geprägt sind, erzählt sie dabei in unterhaltsamen Episoden und liefert eine differenzierte Analyse der Situation von Sinti und Roma in der Kultur- und Medienlandschaft: Wie oft kommen Sinti und Roma selbst in der medialen Berichterstattung über sich zu Wort? Was ist problematisch daran, wenn sich Miley Cyrus während ihrer “Gypsy Heart Tour (carazón de Gitana)” als feurige Flamenco-Braut stilisiert, und worin besteht der Unterschied, wenn die Band Gogol Bordello das Label Gypsy-Punk für sich beansprucht?
Neben dem Aufdecken kultureller Appropriationen steckt aber noch eine andere Stärke in dem Buch: es lässt Kulturschaffende zu Wort kommen, die bisher wenig Beachtung fanden. Auf einem Roadtrip fern von Bauwagenromantik und weit über die Grenzen Deutschlands hinaus stellt Reinhardt dabei ein Kaleidoskop an Musiker_innen, Künstler_innen, Modedesigner_innen und Netzwerken vor, die für eine lebendige kulturelle Szene von Sinti und Roma und deren Supporter_innen stehen. So hilft Everybody’s Gypsy nicht nur bei der Weiterbildung, sondern liefert Gegenbilder in einer einseitig geführten Diskussion.
Hannah Zipfel