Träume aus dem Untergrund

Christoph Wagner
Träume aus dem Untergrund. Als Beatfans, Hippies und Folkfreaks Baden-Württemberg aufmischten
Silberburg Verlag 2017
188 Seiten
24,90 EUR

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Der 1956 geborene Christoph Wagner berichtet in seinem Buch über die musikalischen Subkulturen in Baden-Württemberg; und hat unter anderem zu erzählen, dass die erste Deutschland-Tour von Black Sabbath nur aus Auftritten in der schwäbischen Provinz bestand.

In den 1960er und 1970er Jahren gibt es zwischen Bodensee, Main und Neckar, angefangen von avantgardistischen Jazz-Kneipen über Open-Air-Festivals bis hin zu linken Jugendzentren und größeren soziokulturellen Einrichtungen ein dichtes Netz von Orten einer dissidenten Gegen- und Jugendkultur. Wagner stellt zum einen diese Orte vor, an denen damals (später dann sehr bekannte) Bands wie z. B. Pink Floyd, oder auch The Who (1967 in Ludwisgshafen) das einheimische Publikum begeistern. Dies ist dann eine Zeitreise nach Oberschwaben, nach Franken oder an die Donau. Zum anderen geht es um Künstler, die aus Baden-Württemberg kommen, und da gibt es selbst für von dort kommende Leser*innen wie den Autor dieser Zeilen doch erstaunlich viele. Dass Wolle Kriwanek, Wolfgang Dauner, Schwoißfuaß oder Grachmusikoff dazu zählen, ist bekannt. Aber auch die Krautrocker von Guru GuruKraan und sogar die linksradikalen Polit-Rocker von Checkpoint Charlie sind im Süden beheimatet. Wagner nimmt alle in Frage kommenden Genres in den Blick: Von Jazz und Folk über Hardrock und Liedermacher bis zum Beat und Dialekt-Rock. Mitte der 1980er bricht dann der Berichtszeitraum des Buches ab, Wagner weist auf das schon vorher öfters thematisierte Ende von Musikkonjunkturen hin.

Die Texte sind gerade für Generationsgenoss*innen voller Nostalgie zu lesen, und haben (trotzdem) einen relativ hohen Informationsgehalt. Sie sind mit Zitaten und Anekdoten gespickt, die Wagner bei seinen Recherchen erzählt worden sind. So erfährt der oder erstaunte Leser*in schmunzelnd, dass Konzerte oft sonntags um 14 Uhr stattfanden, damit die zahlreichen Besucher*innen nach deren Ende noch per Anhalter zurück in ihre Dörfer trampen konnten.

Nach der Lektüre drängt sich wieder einmal die Frage auf, ob die Kneipenbetreiber*innen und Jugendzentrumsaktivist*innen im Grunde nur eine andere Art von Unternehmensgründer*innen waren als die damaligen konservativen, letztlich ja postfaschistischen Handwerks-Unternehmer*innen und Mittelständler*innen aus dem Umfeld der historischen CDU? Waren sie postfordistische Unternehmer*innen, die schon länger als Grüne geräuschlos mit einem modernisierten CDU-Milieu zusammenarbeiten konnten? Das steht zu vermuten, muss aber an dieser Stelle offen bleiben. Ein umfangreiches Register erleichtert die Nutzung dieses reichhaltig und durchgängig farbig illustrierten Werkes.

Bernd Hüttner