Als Mitarbeiterin im Archiv der Jugendkulturen e. V. bin ich bei der Beschäftigung mit Pop- und Subkulturen und in der bildungspolitischen Arbeit mit der Band Frei.Wild konfrontiert. Zugespitzt hat sich diese Auseinandersetzung in jüngster Zeit durch die Veröffentlichung und die damit einhergehende Diskussion um das Buch von Klaus Farin über diese Band. Frei.Wild wurde daneben aktuell auch in der Broschüre Grauzonen – Rechte jugendliche Lebenswelten in Musikkulturen
(ASP, 2015) in vielen Facetten beleuchtet (siehe dazu auch die Rezension von Daniel Schneider in diesem Blog). Die Broschüre macht deutlich, dass Frei.Wild als Grauzonen-Band gelesen werden kann, während Farin genau dieser Argumentation widerspricht.
Allgemein scheint für ihn entscheidend zu sein, dass die Fans der Band – die die zentrale Zielgruppe der Veröffentlichung sind – eine journalistisch recherchierte Informationsquelle an die Hand bekommen, um sich selbst ein umfassendes Bild von ihren Helden zu machen. Ich kritisiere diese Herangehensweise. So werden etwa Aussagen der Band und ihrer Fans nur mangelhaft kontextualisiert und so gut wie gar nicht kritisch hinterfragt. Tatsache ist, dass es in einigen Texten von Frei.Wild um Heimatliebe, Patriotismus, vermeintlich natürliche Ordnungen, Tradition, konservative Werteinstellungen geht und auch Ausgrenzungsrethoriken Anwendung finden. Die im Buch gezeigten Fotos zur Band präsentieren überwiegend hegemoniale Männlichkeitsbilder und Körperkult. Gegen Ende des Südtirol-Kapitels wird gesagt, dass Frei.Wild eine „sehr authentische Visitenkarte ihrer Heimat“ darstellen. Hier wäre auch im Hinblick auf den Titel zu fragen, welche Tradition von Frei.Wild transportiert wird und ob die Authenzität darin besteht sich als Opfer der sogenannten Gutmenschen zu stilisieren?
Kritische und differenzierte Artikel zu Farins Buch sind z.B. bei Publikative.org und in der taz erschienen. Im Folgenden konzentriere ich mich auf die im Buch enthaltenen Unterrichtsanregungen und hinterfrage, ob diese Anregungen relevant sind für die Bildungsarbeit mit Jugendlichen und welche Gefahren mit dieser Art von Auseinandersetzung möglicherweise verbunden sind.
Die „Unterrichtsanregungen zum Thema Heimat“ werden mit Interviewausschnitten von Schüler*innen und Lehrkräften eingeleitet. Die Ausschnitte beziehen sich in der Mehrzahl darauf, dass Frei.Wild hörende Jugendliche diskriminiert werden, weil sie sich als Fans outen. Wie an anderen Stellen des Buches auch scheint es hier so, als wolle Farin aufzeigen, dass alle Kritiker*innen Unwissende seien, die reflexartig und ungeschickt mit Identifikationsfiguren und -angeboten im musikalischen Grauzonenbereich umgehen. Der Fokus der Bildungsarbeit wird auf die Auseinandersetzung im Unterricht mit der Wahrnehmung von Heimat gelegt. Warum? Liegt es wirklich daran, dass für viele Schüler*innen Heimat eine so zentrale Rolle spielt wie behauptet wird? Das wäre wissenschaftlich zu prüfen. Generell wäre zu hinterfragen, ob Heimat einen so wichtigen Bezugspunkt für Jugendliche darstellt, wenn es um Identität und weltanschauliche Orientierungen geht. Konkret auf Frei.Wild bezogen könnten an dieser Stelle im Buch auch Anregungen vermittelt werden, sich mit Identifikationsangeboten und Mythen von Bands wie Frei.Wild auseinanderzusetzen oder es könnten Ideen für Bildungsarbeit angeboten werden, die sich an dem „Eigenen“ und dem „Fremden“ orientieren (vgl. Hufer, 2007: 139; DJI online, 2005).
Die Unterrichtsanregungen beziehen sich stattdessen auf das Thema Heimat, das in Gruppen bearbeitet werden soll. Inhaltlich beschäftigen sich die Anregungen mit (1) der Frage: „Was verbinde ich mit dem Begriff Heimat?“, (2) einem Vergleich zwischen dem Stück Heimat von Herbert Grönemeyer und Heimat bzw. Wahre Werte von Frei.Wild, (3) der Entwicklung von Rap-Songtexten zu Heimat (3), der Recherche nach Begriffen wie nationalistisch, rechtsextrem, patriotisch und konservativ mit dem Ziel diese zu definieren (4), einem Austausch, einem Vergleich und einer Visualisierung der einzelnen Begriffsdefinitionen (5), einer Dokumentenanalyse zum Echo 2013 (6), einer Diskussion über die Frage des Ausschlusses von Frei.Wild vom Echo 2013 (7) und einer Analyse der Diskussion auf Facebook zu einer Definition von den Schüler*innen platzierten Definition von Heimat sowie (8) der Produktion eines Videos, ausgerechnet in Anlehnung an 100 Sekunden Heimat der Konrad Adenauer Stiftung.
Die genannten Methoden sind gängige Werkzeuge der politischen Bildungsarbeit. Selten jedoch werden sie so unsystematisiert in einer Veröffentlichung angeboten. Mir fallen hier folgende Punkte auf: Erstens: wenn die Aufgaben nicht zeitintensiv und individuell reflektiert angeleitet werden, können die Methoden dazu führen, dass sie auch Einstellungen und Meinungen, die am rechten Rand zu verorten sind, verstärken. Zweitens fehlen Methoden, die Aufschluss darüber geben, was gegen extreme Einstellungen und Meinungen im Kontext dieses Themenkomplexes getan werden kann. Drittens fehlen Anregungen zu Strategien, die dazu beitragen, sowohl diejenigen zu stärken, die Heimat mehrperspektivisch beleuchten, also z.B. sozial, kulturell, räumlich und historisch als auch Perspektiven einer multikulturellen Demokratie ohne Nationalstaaten eröffnen wollen (vgl. Oberndörfer, 2006:229 ff). Viertens: die Anregungen enthalten weder Lernziele noch beziehen sie Erfahrungen ein, die in anderen Bildungskontexten bereits zum Thema Heimat gemacht wurden. Selbst für skizzenhafte Projektbeschreibungen, wie sie häufig am Ende von Broschüren oder Handreichungen stehen, ist dies Standard. Fünftens findet sich keine Methode, die Handlungsanweisungen für eine kritische Auseinandersetzung mit solchen Lebenswelten anbietet, in denen Heimat einen der wichtigsten Aspekte ausmacht (vgl. Glaser, 2007: 179ff). Sechstens fehlen Hinweise darauf, wie Identitätskonstruktionen gestärkt werden können, die sich nicht auf eine Dimension – nämlich Heimat – reduzieren lassen wollen (vgl. Radvan, 2009: 59ff). Siebtens werden keine Aussagen darüber getroffen, in welchem Zusammenhang Heimat und Lebenswelten stehen, wenn für die Beteiligten damit biografische Aspekte wie Flucht und Vertreibung verbunden sind. Eine interkulturelle Methode fehlt völlig. Achtens fehlen Reflexionsangebote und Handlungsstrategien für Lehrkräfte hinsichtlich ihrer Argumentation gegen rechte Einstellungen. Sie vermitteln Schüler*innen gegenüber häufig, sie hätten als Lehrende das richtige Wissen (vgl. Radvan, 2009: 114ff) und damit in diesem Fall auch die Beurteilungshoheit über die Einschätzung einer Lieblingsband. Fehlt den Lehrkräften eine weniger emotionale, dafür aber argumentative und dialogische Diskussionsgrundlage für die Auseinandersetzung mit Jugendlichen, die Fans von Grauzonen-Bands sind, so wird eine Sensibilisierung für Diskriminierung eher nicht stattfinden.
Im Zusammenhang der Kritik an der Band im Kontext meiner eigenen Positionierung möchte ich abschließend sagen, dass ich mich als weiße privilegierte Frau mit Jugendlichen und Jugendkulturen beschäftige und u.a. versuche für Mythen der Ungleichwertigkeit zu sensibilisieren. Frei.Wild ist eine Band, die solche Mythen (re-)produziert und gleichzeitig davon profitiert, dass sich auch die Mehrheitsgesellschaft von solchen Mythen nicht distanziert, sie häufig sogar hofiert. In Zeiten, in denen die Angst vor dem sozialen Abstieg zunehmend dazu führt, dass Menschen das Eigene gegenüber vermeintlich „fremden Welten“ zu verteidigen versuchen -z.B. in Form von Islam- bzw. Muslimfeindlichkeit-, ist es umso wichtiger, sich gegen die Herabsetzung von Menschen zu stellen. Eine in diesem Sinne kritische Auseinandersetzung mit Frei.Wild sucht man in Farins Buch leider vergeblich.
Tanja Ehmann
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