Felix Denk und Sven von Thülen
Der Klang der Familie
Suhrkamp Verlag 2012, ab August 2014 als Taschenbuch erhältlich
423 Seiten
10 €
Es handelt sich bei diesem Buch um eine Sammlung von Zeitzeugenberichten über die elektronische Musikszene in Berlin zur Zeit der Wende – von kurz davor, bis in die Hochzeit der 1990er Jahre.
Die beiden Autoren führten und sammelten Interviews mit Szenemitgliedern, vom Club- oder Labelbetreiber_innen über DJs, Barpersonal, Türsteher, Medienschaffende bis zu Szenegänger_innen der ersten und zweiten Stunden. Es geht um die Auswirkungen der mit der Wende entstandenen „Temporären Autonomen Zone“, wie die Freiräume in Berlin zum Teil bezeichnet wurden. Diese Freiräume ermöglichten es einer Kultur zu wachsen, die von den beiden Autoren und deren Interviewten in diesem Buch ausführlich beschrieben wird.
Die große Leistung dieses Buches besteht darin, dass die Autoren alle diese Interviews zerstückelten und die einzelnen Teile dann nach Themen geordnet wieder zusammensetzten, sodass eine durchgehend erzählte Geschichte entsteht.
Verschiedene Clubs sind Thema in diesem Buch, genauso wie Veranstaltungen, wichtige Personen, Medien oder auch einfach die Stimmung, die Atmosphäre, die so wichtig war in dieser Zeit und doch so schwer greifbar ist. Die Autoren schaffen es in diesem Buch, diese Stimmung einzufangen und auch Außenstehenden, denen, die nur Leser_innen sind, das Gefühl zu geben, diese Zeit noch einmal miterleben zu können.
Dies geschieht über die vielen authentischen Persönlichkeiten, die in diesem Buch zu Wort kommen. Einige findet man nur mit ihren Kommentaren zu spezifischen Themen, die sie selber betroffen haben, andere sind so sehr in der Szene verankert, dass sie zu jedem Thema eine spannende Geschichte beizutragen haben.
Die Struktur des Buches ist chronologisch. Die Autoren beginnen mit den ersten Clubs und den ersten Partys, die man der elektronischen Musikszene zuordnen konnte (z. B. der Streit, wer die ersten Acidhouse-Partys in Berlin gegeben hat) und lassen Loveparade, Tresor, Walfisch, Mayday und E-Werk folgen. Personen, wie Dr. Motte (Loveparade), Westbam (Low Spirit/Mayday), Marusha (Somewhere over the rainbow), Jürgen Laarmann (Frontpage Magazin), Mark Ernestus (Hard Wax) und viele andere, tauchen nicht nur als Namen im Zusammenhang mit Themen auf, sondern auch als Interviewte, die direkt involviert waren und aus dem Nähkästchen plaudern.
Die Fülle an verschiedenen Blickwinkeln auf die behandelten Themen ist das, was dieses Buch so facettenreich und einzigartig macht. Selbst Leser_innen, die in dieser Zeit Teil der Szene waren, können hier noch neue Geschichten und Informationen erfahren. Es ist eine Reise durch diese Zeit, an diesen Ort, der nach wie vor so besonders und bedeutend ist und immer noch eine starke Anziehungskraft auf Menschen überall in der Welt ausübt.
Dieses Buch ist etwas für Szeneangehörige, genauso wie für Menschen, die einfach nachvollziehen möchten, wieso diese Szene und diese Zeit so faszinierend sind, und gilt mittlerweile als eines der Standartwerke zu diesem Thema.
Chris Kruit