#archivbleibt: Nutzer*innen über unser Archiv

Im Rahmen unserer GoFundMe-Kampagne „Mehr als nur die halbe Miete?- Hilf dem Archiv der Jugendkulturen in Kreuzberg zu bleiben“ haben viele tolle Menschen uns mitgeteilt, was sie an unserem Archiv schätzen. Das sagen Nutzer*innen über unser Archiv. Vielen Dank an Tom Smith für dieses tolle Statement. Sowas freut uns natürlich sehr!

Dr. Tom Smith is Lecturer in German at the University of St. Andrews and an AHRC/BBC New Generation Thinker.

„Das Archiv der Jugendkulturen hat nicht nur eine der besten Sammlungen an Materialien zur deutschen und internationalen Techno-Szene, sondern es ist auch mit das freundlichste und nachkommendste Archiv, in dem ich gearbeitet habe. In meiner Forschung beschäftige ich mich mit marginalisierten Stimmen der frühen Techno-Szene, und ich war vier Wochen im Archiv. Ich habe mich stets wohl gefühlt, und mein Projekt wäre ohne die Zusammenarbeit und Gespräche der Kolleg_innen unmöglich gewesen. Vor allem die Vielseitigkeit der Bestände ermöglichte es mir, ein Bild der Techno-Szene als kulturell diverses und international vernetztes Umfeld zu konstruieren.

Das Weiterbestehen des Archivs ist jetzt leider gar nicht mehr sicher. Das heißt, dass wir, die wir uns für Jugend- und Subkulturen interessieren, uns engagieren müssen. Wenn jede_r, der/die die Bestände verwendet, oder der/die dem Archiv über Facebook oder Twitter folgt, kurz die Zeit nehmen könnte, die Kampagne zu teilen und eine Spende zu geben, wäre die Zukunft des Archivs sichergestellt. Also los!

Hier gehts zur Kampagne: https://www.gofundme.com/f/jugendkulturen

Unser Kampagnenvideo:

https://www.youtube.com/watch?v=4xTp_zqYneA&feature=emb_logo

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„The Archive of Youth Cultures isn’t just one of the best collections on techno, it’s also one of the friendliest and most accommodating archives I’ve used. As part of my work on marginalised voices in the techno scene, I spent four weeks in the archive. I felt very much at home, and my project would have been impossible without the conversations and assistance of colleagues in the archive. The archive’s wide-ranging collections were especially important for my attempts to construct a more diverse and international image of the techno scene.

But the archive’s future is uncertain. Those of us with an interest in youth culture and subcultures have a duty to act. If everyone who’s used the archive, or who follows it on Facebook or Twitter, took a moment to share and donate to the campaign, we could secure the future of this fantastic resource. So what are you waiting for?!

The campaign link: https://www.gofundme.com/f/jugendkulturen

Our campaign video: https://www.youtube.com/watch?v=4xTp_zqYneA&feature=emb_logo

Dr. Tom Smith is Lecturer in German at the University of St. Andrews and an AHRC/BBC New Generation Thinker.

Queere Fundstücke im Queer History Month

Zum Abschluss des Queer History Month, der in diesem Jahr unter Trägerschaft des Archiv der Jugendkulturen von Giuseppina Lettieri, Saskia Vinueza und Vicky Kindl koordiniert wurde, stellen wir euch einige spannende queere Fundstücke aus Archiv und Bibliothek vor.

Den Anfang macht das Fanzine „Alterna TV“ (TV steht dabei für „Transvestite“). Es erschien 1998 und richtete sich in erster Linie an „transvestites, cross dressers, transsexuals“, aber auch an alle anderen interessierten Menschen. Autorin Anna Key gibt in dem Heft, das wie ein klassisches Punk-Fanzine aus Schnipseln, Zeichnungen und Fotos zusammengeklebt ist, praktische Tipps zur Selbstverteidigung oder zeigt, wie Kleidung und Kosmetika günstig beschafft werden können. Mit viel Wut im Bauch kritisiert sie (trans-)sexistische Strukturen und das kapitalistische Wirtschaftssystem. Sehr lesenswert!

Das nächste Fundstück ist sogar preisgekrönt: 1995 gewann Heikes Läspen Comics den Preis des Interessenverband Comic e.V. ICOM. Darin illustriert Heike Anacker, Gründerin des dienstältesten deutschen Comic-Fanzines PLOP – Fanzine, (ihren) lesbischen Alltag ab den späten 1980er Jahren. „Die sporadisch erscheinenden Heftchen sind mal so was wie ein Gruß an alte Bekannte, mal ein erweitertes (verschlüsseltes) Tagebuch, oder der Auftakt zum Austausch über ein Thema, das mich gerade beschäftigt“, sagte sie dem Grrrl Zine Network in einem Interview. Die Comics sind handcoloriert und in einer Auflage von nur 30-100 Stück erschienen.

Ein weiteres Highlight: das US-amerikanische Fanzine „Shotgun Seamstress“ von Osa Atoe. „Shotgun Seamstress is a zine by & for Black PUNKS, QUEERS, MISFITS, FEMINISTS, WEIRDOS and the people who support us. This zine is meant to support Black People who exist within predominantly white subcultures, and to encourage the creation of our own,“ schreibt Atoe in Ausgabe Nummer 2. Die ersten sechs Ausgaben des Zines sind komplett vergriffen, aber 2012 auch als Buch erschienen. Das Buch zeichnet dabei sehr schön die thematische (Weiter-) Entwicklung des Zines nach, von einem Black Empowerment und Visibilty- Anspruch in Bezug auf Bands und Musik in der Punkszene hin zu einem vielschichtigeren Umgang mit Repräsentationsformen in der Gesellschaft, Ausschlußpraxen in der Punkszene und komplexen eigenen Fragestellungen zu Identitätspolitik*en. Mehr als empfehlenswert!

Zum Schluss noch ein Heft, das vor einigen Jahren schon einmal in diesem Blog besprochen wurde, aber nichts an Relevanz eingebüßt hat: „Ring of Fire“ #2 , 1997 in den USA von Hellery Homosex geschrieben und gezeichnet. „This zine promotes queer sex, genderfuck and the advancement of amputees everywhere“ kündigt Hellery gleich auf der ersten Seite an. Ein Jahr vor dem entstehen dieses Zines mussten ihr nach einem Trainhopping-Unfall beide Unterschenkel amputiert werden. Und so geht es in dem Heft um Trauma und darum, wieder laufen zu lernen, aber auch um Dating, Sex und darum eine „slutty dyke femme“ zu sein.

Das war nur ein kleiner Einblick in unsere Sammlung – bei uns vor Ort gibt es noch viel mehr spannendes zu entdecken!

Zinefest Mannheim

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Am 28.11.2015 fand im JUZ in der Käthe Kollwitz Straße das Zinefest Mannheim statt, dem Christian und Flo vom Archiv einen Besuch abstatteten. Mit viel Liebe, Mühe und Hingabe organisierten Johannes und sein Team einen abwechslungsreichen und interessanten Tag, der sicherlich allen Teilnehmer*innen in positiver Erinnerung bleiben wird. Geschätzte 50 Leute bummelten sich den Tag über verteilt durch die Zine Stände (u. A. das XclusivX DIY Fanzine Collective, das Comiczine Béton oder Zine Vitrine aus Slowenien). Auch an Workshops zu Siebdruck oder Cut and Paste mangelte es nicht, andere lauschten lieber den Vorträgen und Diskussionen. Auch Christian vom Archiv leistete mit seinem Vortrag „Astronauten, Anarchie und Alltag – Ein Rückblick auf fast 100 Jahre FanZine-Geschichte“ seinen Beitrag. All das fand in familiär freundlicher Atmosphäre mit Kaffee, Kuchen und dem ein oder anderen netten Plausch statt und nicht mal die frostigen Temperaturen in den Veranstaltungsräumen konnten der Gemütlichkeit einen Abbruch bereiten. Nachdem der offizielle Teil gegen 19 Uhr beendet war, leitete die „Pfeffi-Bingo-Nacht“ den Abend ein, die unsere Delegation allerdings – business as usual – aufgrund eines wissenschaftlichen Diskurses verpasste. Der Konzertabend mit Fuck, Wolves und tall as trees wurde allerdings mitgenommen und nach ein paar Stunden Schlaf im Keller des JUZ rollte am nächsten Morgen auch schon viel zu früh der ICE in die Hauptstadt zurück. Ein paar Impressionen des gelungenen Zinefestes gibt es in diesem Video der Kesselpunks. Wer den (gar nicht so alten) Christian findet, darf ihn behalten. 😉 Bis zum nächsten Jahr!

Florian Hofbauer

Florian Hofbauer ist Praktikant im Archiv der Jugendkulturen. Das Bild stammt mit freundlicher Genehmigung von XclusivX, http://xclusivx.com/.

 

Zine of the Day: Zine Librarian Zine

Zine Librarian Zine #2 (2003)

Zine Librarian Zine #2 (2003)

Weltweit gibt es mittlerweile weit über hundert Fanzine-Bibliotheken und –Archive, in denen Zines gesammelt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Eine aktuelle Liste mit Adressen und Links zu einigen dieser Bibliotheken und Archive gibt es hier.

Dass irgendwann mal jemand auf die Idee kommen würde, auch ein Zine von und für die Mitarbeiter_innen dieser Fanzine-Bibliotheken und –Archive zu veröffentlichen, lag eigentlich auf der Hand, als 2002 die erste Ausgabe des Zine Librarian Zine im Umfeld des Independent Publishing Resource Centers (IPRC) in Portland, Oregon veröffentlicht wurde.

Das IPRC ist seit 1998 das Zentrum der sehr aktiven Zine Community von Portland. Hier treffen sich lokale Zine-Macher_innen, um in alten und neuen Heften aus der eigenen Zine-Bibliothek zu schmökern, um Lesungen und Zine-Workshops zu besuchen und zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch. Das IPRC ist aus der Szene selbst entstanden und sieht sich in erster Linie als einen Ort für diese. Der Anspruch des Zentrums ist, die Zine-Kultur zu fördern.

Im Bestand des Archivs der Jugendkulturen gibt es die 2003 erschienene zweite Ausgabe des Zine Librarian Zine. Sie diente vor allem der Vernetzung internationaler Zine Libraries und Zine Archives in englischsprachigen Ländern. So besteht der überwiegende Teil des Hefts aus Vorstellungen verschiedener Fanzine-Bibliotheken und –Archive in den USA, England und Neuseeland. Dabei geht es nicht nur um die Entstehung und das Selbstverständnis dieser unterschiedlichen Einrichtungen, sondern vor allem darum, sich über die Katalogisierung von Zines, Möglichkeiten der Finanzierung, den Umgang mit Nutzer_innen oder den Erwerb von neuen Zines auszutauschen.

Wer sich darunter einen trockenen Newsletter von Nerds für Nerds vorstellt, liegt völlig falsch. Gerade die Comic-Strips von Greig aka „Clutch McBastard“ (Clutch Zine) über die Absurditäten im Arbeitsalltag eines Zine Librarians im IPRC lassen eine_n immer wieder lauthals loslachen. Und so manches kommt einem als Mitarbeiter des Archivs der Jugendkulturen nur allzu bekannt vor.

Mit dem Zine Librarian Zine #3 erschien 2009 die vorerst letzte Ausgabe dieses wundervollen Zines. Leider fehlen darin die fulminanten Comic-Strips von Greig. Dafür kann man sich diese Ausgabe aber noch als PDF-Version zum Selbst-Ausdrucken und Selbst-Zusammenlegen hier downloaden.

Warum danach keine weiteren Ausgaben des Zine Librarian Zines erschienen, ist mir leider nicht bekannt. Es kann sein, dass sich die Kommunikation einfach immer mehr in Mailinglisten, auf Konferenzen, Blogs und vor allem die sehr informative Website ZineLibrarian.info verlagert hat.

An der fehlenden Nerdigkeit oder Kreativität von Zine Librarians liegt das aber sicherlich nicht. Davon zeugen andere Hefte wie das von Kelly McElroy veröffentlichte Zine Librarian Pets von 2014: ein Zine, das sich nur und ausschließlich um die Haustiere von Zine Librarians dreht und von dem aktuell bereits eine 2. Ausgabe in Arbeit ist. Geek-hafter gehts wohl kaum noch! 😉

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #ZineLibrary #ZineArchive #ZineLibrarian

– Christian (Zine Nerd)

Zine of the Day: Indulgence

Indulgence #7 (ca. 2002)

Indulgence #7 (ca. 2002)

Ich weiß nicht mehr genau, wie ich auf Indulgence gestoßen war. Es muss jedenfalls um 2002/2003 gewesen sein, als Eleanor aus New York City und ich zum ersten Mal Kontakt aufnahmen. Sie hatte bereits 1997 die Debüt-Nummer ihres Zines veröffentlicht, aber die erste Ausgabe, die ich in die Hände bekam, war Indulgence #7. Eleanor gelang mit ihrem Heft den Spagat zwischen einem Art Zine und einem Perzine mit queer-feministischem Standpunkt. Indulgence beinhaltete damit nicht nur interessante Artikel, sondern stach auch durch eine interessante Gestaltung aus der Masse der Zines dieser Zeit heraus.

Sie verwendete verschiedene Papierarten, Pappen und Folien innerhalb einer Ausgabe (u. a. Tapetenpapier), stellte eigene Stofftaschen für eine Ausgabe her und nutzte ungewöhnliche Fadenbindungen, Falzarten, Stempeldrucke, Letter Presses und andere Techniken, um jede Ausgabe von Indulgence zu einer besonderen zu machen. Man merkte diesem Zine einfach an, dass es jedes Mal mit viel Herzblut und Liebe zum Detail hergestellt worden war.

Innenteil von Indulgence #7 (ca. 2002)

Innenteil von Indulgence #7 (ca. 2002)

Dieser Enthusiasmus beeindruckte mich so sehr, dass ich den Kontakt mit Eleanor weiter aufrecht erhielt. Über die Jahre entstand daraus eine transatlantische Freundschaft und ein intensiver Austausch über Zine-Kultur. 2005 trafen wir uns zum ersten Mal in Berlin und die Jahre danach machte Eleanor während ihrer Europa-Trips immer wieder Abstecher in die Stadt. Sie half mir bei der englischen Übersetzung eines Artikels über ost- und westdeutsche Punk-Fanzines und ich war ganz gerührt, als sie sich im Vorwort ihrer Master-Arbeit über Zines für die Inspiration in Sachen Zine-Kultur und den gegenseitigen Austausch bei mir bedankte.

Auch wenn sie 2008 mit Indulgence #10 die Herausgabe ihres Zines vorerst eingestellt hat, ist Eleanor kulturell und künstlerisch bis heute sehr umtriebig. 2013 veröffentlichte sie ihr erstes Buch mit dem wundervollen Titel Grow: How to Take Your Do It Yourself Project and Passion to the Next Level and Quit Your Job!, das man hier erwerben kann. Sie veröffentlicht regelmäßig Beiträge in ihrem Blog Killerfemme und spielt in den Indie Rock-Bands Corita und Rules.

Indulgence #8 (2002/03)

Indulgence #8 (2002/03)

Auch wenn wir uns in den letzten Jahren leider nicht mehr gesehen haben, so stehen wir doch bis heute miteinander in Kontakt und schreiben uns in regelmäßigen Abständen. Es fasziniert mich bis heute, wie sehr das Interesse an so einer eigentlich banalen Sache wie Zines zum Ausgangspunkt einer Freundschaft werden konnte, die über einen ganzen Ozean hinweg und mittlerweile seit über zehn Jahre besteht. Allein aus diesem Grund bin ich froh, irgendwann einmal mit Fanzines in Kontakt gekommen zu sein.

Weitere Informationen über Eleanor und ihre Projekte sind auf ihrer Website zu finden.

Indulgence #9 (ca. 2005)

Indulgence #9 (ca. 2005)

Innenteil von Indulgence #9 (ca. 2005)

Innenteil von Indulgence #9 (ca. 2005)

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#IZM2015 #Zines #Artzine #Zineoftheday #Perzine #Queer #Feminismus #Kunst

– Christian (Zine Nerd)

Zine of the Day: Rave Signal / Signal Plus

Rave Signal #1 (1992)

Rave Signal #1 (1992)

Es gibt Dinge, die können in ihrer ganz eigenen Form manchmal einfach nur abseits der Hot Spots popkultureller Metropolen und in der jugendkulturellen Einöde der Provinz entstehen. Nur dort sind Koalitionen zwischen Szenen möglich, die sich in der Großstadt nicht mal mit Arsch anschauen würden. Und nur dort bringen solche Koalitionen Dinge hervor, die es nirgendwo anders geben würde…

In diesem Fall handelt es sich um ein sog. „Split-Fanzine“, ein Fanzine, dass die Herausgeber_innen von zwei unterschiedlichen Fanzines als Gemeinschaftsprojekt veröffentlichen. Das allein wäre kaum der Rede wert. Solche Gemeinschaftsproduktionen verschiedener Zine-Macher_innen gab es in der Fanzine-Geschichte schon sehr früh. Beim Rave Signal #3/ Signal Plus #1 aus Weilheim handelt es sich aber um ein Split-Fanzine der ganz besonderen Art, das eng mit meiner eigenen subkulturellen Sozialisation in der oberbayerischen Provinz verbunden ist.

Rave Signal #2 (1992/93)

Rave Signal #2 (1992/93)

Aber der Reihe nach… Als Techno und House ab 1991 auch jenseits der Großstädte immer mehr Anhänger_innen fand, wurde mein „Sandkastenfreund“ Marco zum enthusiastischen Raver, der unser beschauliches Weilheim im oberbayerischen Voralpenland fast jeden Freitag verließ, um das ganze Wochenende auf Raves in der gesamten Republik teilzunehmen. Er war von diesem neuen Sound so angesteckt, dass er ab 1992 damit begann, sein eigenes Heft darüber zu veröffentlichen – mit Party-Berichten, Platten-Kritiken, bescheuerten Kolumnen, dämlichen Witzen und allem anderen Drum und Dran. Das ganze wurde per Schnippel-Layout zu einer Kopiervorlage zusammengebastelt und vom Vater eines anderen Freundes heimlich auf dem Kopierer seiner Arbeitsstelle vervielfältigt.

Der Name Rave Signal war bereits Programm. Schließlich ging es darum, die neue Rave-Kultur in Weilheim und Umgebung bekannter zu machen. Ob das wirklich was gebracht hat, kann ich nicht sagen. Immerhin hat Marco bis 1993 mindestens drei Ausgaben seines Heftes veröffentlicht. Das Wort „Fanzine“ kannte er zu dieser Zeit noch gar nicht.

Rave Signal #3 / Signal Plus #1 (1993)

Rave Signal #3 / Signal Plus #1 (1993)

Im gleichen Zeitraum, in dem sich Marco zu Stroboskop-Gewittern und geraden Beats in irgendwelchen Lagerhäusern und Industriebrachen herumtrieb, entstand in Weilheim selbst eine ganz eigene Subkultur um Bands wie The Notwist, Die Schweisser, Brainjam oder Dilirium, die ihre Wurzeln in der Punk/Hardcore-Szene hatten, sich aber musikalisch bereits darüber hinaus zu entwickeln begannen.

Mein Freund Greydl und ich waren an dieser Entwicklung beteiligt. 1990 hatten wir in guter DIY-Manier unsere eigene Punk/Hardcore-Band gegründet, ohne auch nur einen einzigen Akkord zu können. Nicht das Können stand zu dieser Zeit an erster Stelle, sondern das Machen. Und wie Marco, so waren auch wir begeistert von der neuen Subkultur, deren Teil wir geworden waren und über die auch wir nun unser eigenes Heft veröffentlichen wollten. Erste Fanzines hatten wir damals bereits gelesen.

Signal Plus #1 im Rave Signal #3  (1993)

Signal Plus #1 im Rave Signal #3 (1993)

Und weil Greydl und ich erst einmal sehen wollten, ob so ein Fanzine überhaupt was für uns ist, habe ich meinen Sandkastenfreund Marco einfach gefragt, ob wir zum Rave Signal nicht noch ein paar Seiten über Gitarrenmusik hinzufügen sollten. Er fand die Idee nicht schlecht und so entstand die erste Ausgabe das Signal Plus, wir zusammen mit der dritten Ausgabe des Rave Signal 1993 als ein Gemeinschaftsheft herausgaben.

Bei der nächsten Nummer trennten sich aber auch schon wieder die Wege von Marco und uns. Wir hatten dafür bald so viele Interviews, Plattenkritiken und andere Artikel zusammen, dass wir unser eigenes Heft im selben Jahr unter dem Titel Signal Plus Extra veröffentlichten, das wenige Monate später zum Fanzine Flatline wurde, aus dem schließlich mein eigener Fanzine-Mailorder namens Flatline-Imperium entstand, durch den ich u. a. meinen Weg in das Berliner Archiv der Jugendkulturen fand.

Seinen Ausgangspunkt hat mein Werdegang als Zine Nerd aber in diesem Split-Fanzine mit komischem Namen, in dem Techno-Beats und Hardcore-Lärm eine Koalition eingingen, wie man sie bis heute wohl kaum ein zweites Mal erlebt hat…

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Techno #Punk #Hardcore #Provinz

– Christian (Zine Nerd)

Zine of the Day: Ich und mein Staubsauger

Ich und mein Staubsauger #5 1987

Ich und mein Staubsauger #5 1987

Am Ich und mein Staubsauger #5 gefällt mir vor allem das Layout, der Artikel über die Jacob Sisters und der Comic zum 1. Internationalen kleinen Fischkongress. Und weil überhaupt viele Frauen in dieser Ausgabe vertreten sind.

 

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Jugendkulturen #Musik #DIY

– Tanja

Bericht vom 1. Internationalen Fischkongress

Bericht vom 1. Internationalen Fischkongress

Zine of the Day: Orange Agenten

Mein Liebling ist das Berliner Punk-Fanzine Orange Agenten nicht gerade. Meine Beziehung zu dem Fanzine ist eine ganz andere, die aber mindestens genau so emotional ist.

Orange Agenten #2x45 min.

Orange Agenten #2×45 min.

Orange Agenten #0,8%

Orange Agenten #0,8%

Orange Agenten # Next

Orange Agenten # Next

Während meines Praktikums im Archiv der Jugendkulturen e. V. habe ich mich u. a. um die Sortierung der Fanzine-Sammlung und die Aufnahme von Fanzines in die Archiv-Datenbank gekümmert.

Das Orange Agenten machte dabei ständig „Probleme“. Dank seines DIN A3-Formats passte es nicht in die Archivkartons. Es nahm jedes Mal zu viel Platz auf meinem ohnehin schon vollen Schreibtisch in Beschlag. Es hatte komische Untertitel wie „Zeitschrift für Passivsportler & Kettenraucher“, die auch noch ständig wechselten. Vor allem hatte es aber völlig unverständliche Nummerierung der einzelnen Ausgaben. Ich habe geschlagene vier Tage mit dem Versuch verbracht, die Ausgaben chronologisch zu ordnen, denn keine einzige Abfolge der einzelnen Ausgaben ergab einen logischen Zusammenhang.

Mit dem Orange Agenten assoziiere ich seitdem vor allem eine Achterbahnfahrt der Gefühle: In einem Moment dachte ich, ich hätte es geschafft, hätte das Konzept hinter solchen „Nummerierungsspäßchen“ wie „Heft # NEXT“, „NR. 0,8 ÷“ oder „# 2×45 min.“ begriffen, merkte aber bereits im nächsten Moment, dass das alles irgendwie doch nicht so recht zusammenpassen wollte.

Letzten Endes habe ich dann aufgegeben, eine sinnvolle Ordnung in etwas zu bringen, hinter dem von Anfang an gar kein Sinn angelegt war.

Die Macher_innen werden sich jetzt vielleicht kichernd auf dem Boden wälzen, aber obgleich leider ohne Ergebnis hat die „Detektivarbeit“ doch auch irgendwie Spaß gemacht.
Trotzdem: Falls jemand eine Lösung hat, bitte melden!

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Jugendkulturen #Punk

– Svenja

Zine of the Day: Virus

Virus - The Voice of the Underground (ca. 1994 )

Virus – The Voice of the Underground (ca. 1994 )

Virus ist ein Augsburger Techno-Fanzine aus den 90er Jahren. Hier geht es viel um mögliche Definitionen des Genres, künstlerische Arbeit sowie die Vermarktung von Techno. Das Fanzine ähnelt in seinem Aufbau stark einer Musikzeitschrift und weist die dort üblichen Rubriken auf: Plattenkritik, Tech-Review (hier: Roland 101 und Oberheim 5HE), Interview, Chart, Labelprofil und Plattenladennewsletter. Die Plattenkritik zu Maurizio 03 kommt von Electric Indigo, der female:pressure-Gründerin und ehemaligen Hard Wax-Mitarbeiterin. Die hotwenty Charts enthalten sowohl Künstler, Labels als auch Katalognummern. Hier herrscht keine einheitliche Vorgehensweise. Mal steht da Aphex Twin (Platz 14) oder Säkhö ohne Nummer und Artist auf Platz 1. Dann wird wohl alles von Säkhö gut sein? Die Interviews werden mit Szenegrößen geführt, u.a. mit Jeff Mills, Mike Banks von Underground Resistance oder Luke Slater. Die Interviews stellen ein gutes Quellenmaterial für den klassischen Techno und seine Inszenierungsformen dar. Zum Beispiel sagt Mike Banks auf die Frage ob er immer hinter Hard Wax- oder Red Planet- Veröffentlichungen steht: „I cannot answer those questions“. Diese Aussage kann wohl als szenetypisch bezeichnet werden und ist für manche Künstler*innen immer noch wichtiger Bestandteil bei der Veröffentlichung ihrer Werke. Nostalgisch stimmt mich dieses Fanzine beim Lesen der Profile von Force Inc. und Mille Plateaux. Diese Labels waren für mich damals wichtig für meine Elektronika- Sozialisation.

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Techno #Fanzine #Electro

– Tanja

Zine of the Day: Wedgie

Wedgie #1 (ca. 1994)

Wedgie #1 (ca. 1994)

Wedgie bedeutet so viel wie „Hosenzieher“. Es bezeichnet einen Streich, der verschiedene Varianten und Schwierigkeitsgrade kennt, wie hier nachzulesen ist.

Warum sich dieses Fanzine ausgerechnet so genannt hat, weiß ich nicht. Ich kann mich nur daran erinnern, dass die beiden Herausgeber des Hefts, Tom und Marc, großen Spaß dabei hatten, anderen Leuten Wedgies zu verpassen…

Wenn ich mich recht erinnere, bin ich das erste mal auf das Wedgie 1995 bei einem Fanzine-Treffen in Neuss gestoßen, auf dem vor allem Macher_innen von Punk/Hardcore- und Indie-Zines zusammenkamen, um sich kennenzulernen, Konzerte zu besuchen und das eigene Fanzine mit anderen zu tauschen. Jedenfalls lernte ich dort Tom und Marc kennen, die aus Tübingen und Umgebung kamen.

Wedgie #2 (ca. 1994)

Wedgie #2 (ca. 1994)

Das Wedgie stach vor allem durch die Comic-artigen Zeichnungen von Tom hervor, der anstatt Fotos von Konzerten abzudrucken, eben lieber die selbstgemachten Fotos auf Hardcore-Shows mit der Hand abpauste und so einen ganz eigenen Stil schuf. Das Wedgie hatte alle Inhaltsstoffe, die ein gutes Fanzine in dieser Zeit brauchte: Ein paar persönlich gefärbte und politisch angehauchte Reflexionen, einen guten Musikgeschmack und die richtige Portion Humor und Selbstironie. Das Heft hatte mein Herz gleich mit der ersten Ausgabe, die ich in die Hände bekam, im Sturm erobert.

Und wie das damals so üblich war, hielten Marc, Tom und ich auch noch nach dem Fanzine-Treffen in Neuss Kontakt. Wir schrieben uns, trafen uns auf Konzerten, besuchten uns gegenseitig und schließlich entwickelte sich vor allem zu Marc eine richtige Freundschaft. Auf dem zweiten Fanzine-Treffen in Neuss im darauf folgenden Jahr sind wir dann schon zusammen dorthin gefahren und kurz darauf bin ich nach Tübingen gezogen und habe mit ihm meine erste WG gegründet. Wir haben zusammen Konzerte und Veranstaltungen organisiert, waren politisch aktiv und haben viel voneinander gelernt.

Wedgie #3 (1995)

Wedgie #3 (1995)

Das Wedgie erinnert mich daran, wieviele Leute ich damals durch das Fanzine-Machen in ganz Deutschland und sogar darüber hinaus kennengelernt habe. Einige haben eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt und tun es sogar noch heute. Das macht mir wieder einmal klar, welche Bedeutung Fanzines für meine eigene Biografie bis heute haben.

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Hardcore #DIY #Emocore

– Christian (Zine Nerd)

Zine of the Day: La Moustache

La Moustache #1, 2013

La Moustache #1, 2013

La Moustache ist das Zine eines gleichnamigen Kollektivs, das schwerpunktmäßig queer-feministische Konzerte und Veranstaltungen in Berlin organisiert (http://lamoustache.org/). Die (bisher einzige) Ausgabe #1 gefällt mir sowohl stilistisch als auch inhaltlich ausgesprochen gut. Auf 38 Seiten sind überwiegend englischsprachige Texte, Kurzgeschichten und Interviews aus dem Themenspektrum der (queer-feministischen) DIY-Musikszene versammelt. Besonders schön ist der Auszug aus dem Interview-Magazin 13 Questions (www.13-questions.com), bei dem Musiker*innen 13 von 130 möglichen Fragen beantworten und dem Fragenpool jeweils eine neue Frage hinzufügen.

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Jugendkulturen #Queer #DIY #Feminismus

– Julia (Bibliothekarin/JuBri)

Zine of the Day: Her Name is Boxcar

Her Name Is Boxcar #2

Her Name Is Boxcar #2

Her Name Is Boxcar #2 ist ein schönes Zine mit tollem aufgeklebtem Coverfoto zum Thema Skateboard-fahrende Mädchen und Frauen (nur diese Ausgabe). Interviews z. B. mit Suck My Trucks und Sabrina „Puse“ Göggel, Fotostrecken (leider nur in s/w) und Künstler_innenportraits.

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Skateboard #Skategrrrls

– Daniel

Zine of the Day: scripti / buzz

scripti #7

scripti #7

buzz

buzz

Während die seit 1980 erscheinende Spex als vorbildlichin Sachen Poptheorie gilt, erschien ca. zeitgleich in Hagen das Magazin scripti (später buzz).

Die Mischung aus Bandinterviews, Musikanalysen, kunsttheoretischen Abhandlungen und politischen Artikeln bewegt sich auf gleichbleibend hohem Niveau.

Eine Lektüre dieser Hefte zeigt deutlich, dass intellektuelles Vergnügen (Artikel über Surrealismus), Lebensart (Aborte – Begegnungsstätte, Kulturträger oder Kultstätte?) und Genuss (der große Imbissbudentest) sich nicht ausschließen.

In New-Wave-Grafik gesetzt und trotzdem sachlich anmutend und vor allem: lesbar.

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Jugendkulturen #Popkultur #Poptheorie

– Peter Auge Lorenz

Zine of the Day: Dröhnbütel

Dröhnbütel #34 (2015)

Dröhnbütel #34 (2015)

Der Dröhnbütel ist ein Fanzine aus Hamburg. Hierbei dreht es sich insbesondere um Reiseberichte von diversen Fussballtouren quer über den Erdball. Die Schreiberlinge sind allesamt aus der HSV-Fanszene und berichten neben den besuchten Spielen des Hamburger SVs auch diverse andere Kicks aus z.B. Argentinien, Brasilien, Marokko, Serbien, der Türkei, Israel, Usbekistan, Thailand, Japan und Australien. Und das ist nur eine kleine Übersicht der bereisten Länder. Es gibt den Dröhnbütel seit August 2005 und mittlerweile steht man kurz vor der Veröffentlichung der 35ten Ausgabe. Mit diesem Heft sollen Fußballbegeisterte, Groundhopper und andere mehr oder weniger marginale Existenzen erreicht werden, Hauptsache keiner nimmt sich selbst zu ernst!. Es geht in den einzelnen Spielberichten auch gar nicht wirklich um das Geschehen auf dem Fußballplatz sondern eher um das Drumherum auf den Fanrängen und den Randerscheinungen während der An- und Rückfahrt. Die Texte sind meist mit bissigem Hamburger Humor untermalt und sorgen für eine ausgezeichnete Unterhaltung auf Zug, Toilette, oder Zugtoilette. Insgesamt neun ehrenamtliche Redakteure gestalten die Berichte in unterschiedlichen Schreibstilen. Sie tun dies aus Laune und ohne Bezahlung, ihnen gebührt nur der zweifelhafte Ruhm und die Teilhabe von diversen Lesern, wenn mal wieder ein Anschlussflug verpasst wurde, man das Hostelzimmer mit acht müffelnden Backpackern teilen muss, oder sich die Liebschaft aus fernen Ländern am nächsten Morgen doch nicht als das entpuppt, was man sich erhofft hatte.

Ein „Dröhnbütel“ ist auf Plattdeutsch übrigens ein wenig auskunftsfreudiger, etwas dröger Zeitgenosse, wie es ihn im hohen Norden zu Haufe gibt.

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#IZ2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Fußball #Groundhopper #Fußballfans

– Flo

Zine of the Day: Kids in Misery

Kids in Misery #2 (2008)

Kids in Misery #2 (2008)

„wir sind uns darüber bewusst, dass DIY nicht zur abschaffung des kapitalismus führt, eher zu einer süßen kleinen szenenische. Aber es ist einfach zu schön…“

Mit diesen Worten beginnt das Kids in Misery Zine #2. Sehr treffende Worte, wie ich finde. Denn dieses Zine ist wirklich zu schön! Der liebevoll gebastelte Umschlag fällt schon im flüchtigen Vorbeigehen ins Auge (so ist es mir übrigens auch in die Hände gefallen) und trotz teilweise schlecht kopierter Seiten ist es von Innen nicht weniger großartig:
Viele tolle Zeichnungen, Collagen, Gedichte, ein Aufnäher, und alles nicht nur herzallerliebst schön, sondern mindestens genauso kantig: radikal und wütend, nachdenklich und auch ein wenig bedrückend.

Am tollsten finde ich die praktischen „smalltalk-must-die“-Kärtchen zum Weiterverbreiten, die Fragensammlung „schön genug für deine szene?“, die den Anstoß geben kann über die eigene Identitätskonstruktion nachzudenken und den sehr persönlichen Text „helfersyndrom-safari“, eine Reflexion über Erlebnisse des Autors oder der Autorin in Indien.

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Perzine #DIY #Punk #Emo

– Svenja

Zine of the Day: Assassin

Assassin - kassettenorgan #5, 1983

Assassin – kassettenorgan #5, 1983

Assasin – kassettenorgan Nr. 5 aus dem Jahre 1983 ist ein Westberliner Fanzine. Es erschien alle zwei Monate, abwechselnd als Heft und als Audiokassette. Die Reviewschreibe (ODER LIEBER: den Rezensionsstil) mag ich und die Ahnentafel. Bei der Tafel vor allem die Legende, sie besagt u. a. „Notwendigerweise ist diese Ahnentafel Berliner Bands seit dem 13. August 1978 unvollständig“.

Die Hefte 0-3 sind auch online hier einsehbar.

Ahnentafel aus Assassin - kassettenorgan #5, 1983

Ahnentafel aus Assassin – kassettenorgan #5, 1983

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Jugendkulturen #Audiotape #Punk

– Tanja

Zine of the Day: Willkürakt

Willkürakt #16

Willkürakt #16

Der überwiegende Teilder Punk-Fanzines, die zwischen 1977 und 1983 in der BRD veröffentlicht wurden, scheinen sich auf den ersten Blick an bestehenden Musikzeitschriften ihrer Zeit orientiert zu haben. Erst auf den zweiten Blick entpuppen sie sich aber in vielen Fällen als eine ironische Simulation des damaligen Rockjournalismus. Und einige dieser Fanzines erschienen in Formen und Formaten, bei denen sich kaum noch stilistische oder formale Bezüge zu bisherigen Printmedien feststellen ließen.

Das Willkürakt, das um 1980 in Hamburg herausgegeben wurde, war einer dieser medialen Grenzgänger. Kaum eine Ausgabe glich einer anderen. Selbst solche, die in Form und Format klassischen Zeitschriften ähnelten, waren doch immer auf völlig unterschiedliche Weise vervielfältigt und in wechselnden Formaten von DIN A5 bis DIN A3 in einer Auflage von ca. 150 bis 300 Exemplaren veröffentlicht worden.Aber es gab auch Ausgaben von Willkürakt, die eher an Kunst-Objekte als an Printerzeugnisse erinnerten: Ein zusammengefaltetes Blechband, das ursprünglich zur Verpackung von Baustoffen gedient hatte, wurde zum Objet trouvé und ergänzt um einen Zettel mit der Aufschrift „Willkürakt“ zu einer Ausgabe des Fanzines erklärt. Weitere Nummern erschienen als durchsichtiger Plastikhandschuh, in dem kleine, zusammengefaltete Notizzettelchen steckten oder als Plastikteller mit Plastikbesteck und Plastik-Nudeln, abgepackt in einer Plastiktüte. Gerade diese Ausgaben von Willkürakt hatten oft nur Kleinstauflagen von 30-60 Exemplaren und sind heute teuer gehandelte Sammlerstücke.

Inhaltsvezeichnis von Willkürakt #16

Inhaltsvezeichnis von Willkürakt #16

Eine besondere Ausgabe dieses enorm wandlungsfähigen Fanzines ist Willkürakt #16, das sich im Bestand des Archivs der Jugendkulturen befindet. Es erschien in Form einer Schriftrolle, die mit einer Banderole fixiert wurde, auf der das Inhaltsverzeichnis nicht mit Seitenzahlen sondern mit entsprechenden Zentimeter-Angaben gedruckt wurde.

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Jugendkulturen #Punk #Kunstobjekt #DIY

– Christian (Zine Nerd)

Zine of the Day: Erwin – Unabhängiges OFC-Fan-Magazin

Erwin #32, 1998

Erwin #32, 1998

Der Erwin ist ein antirassistisches Fußballfanzine aus Offenbach – benannt nach dem ersten schwarzen Bundesligaspieler Erwin Kostedde – mit Tradition, Humor und Kultstatus. Vermutlich hat kein anderes Fanzine so oft Kinder auf dem Cover (der Ball fehlt selten) und das Tagebuch eines Kickersfans ist eine Meisterleistung des Multiplen-Ich-Erzählstils.

Mehr zum Erwin hier.

„Damals war es schon schlimm, wenn Du sonntags in Jeans herumliefst. Aber ich trug tagaus, tagein die falsche Hautfarbe“ (Erwin Kostedde).

Erinnerungen an einen lebenslangen Kampf gegen den Rassismus hier.

In dem Buch Sitzschale Nr. 15 lebt versammeln Volker Goll vom Fanzine Erwin und Jörg Heinisch vom Fanzine Fan geht vor eine Auswahl der besten Beiträge aus deutschsprachigen Fußball-Fanzines. Mehr dazu hier.

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Jugendkulturen #Fußball #Fan

– Almut (Projektleiterin/JuBri)

Zine of the Day: Schandtat

Schandtat #3, 1983

Schandtat #3, 1983

Wenn man mich fragen würde, welcher Gegenstand die Haltung von Punk am besten repräsentiert, würde ich sagen: Das Schandtat #3 aus Hamburg. Dieses Punk-Fanzine verbindet auf charmante Weise den Dosenbier-Proll-Faktor von Street Punk mit dem Drang nach künstlerisch-publizistischem Ausdruck von Post-Punk. Hier trifft Hirn auf Bauch, DIY auf Art School, Flaschenpost auf Dosenbier, Intellekt auf Stumpfsinn und lässt sich dabei nie eindeutig einer Kategorie zuweisen. Ich gebe zu, ich habe noch keine einzige Zeile in diesem Fanzine gelesen. Brauche ich aber auch gar nicht. Die Verpackung ist schon Botschaft genug: Das Spiel mit der eindeutigen Uneindeutigkeit.

Falls übrigens jemand noch mehr über das Schandtat weiß, so melde sich die Person bitte bei Gelegenheit mal bei mir. Ich würde gerne wissen, ob es sich bei diesem Exemplar um ein Unikat handelt, das wir in unserer Sammlung haben oder ob mehrere Exemplare in dieser Form erschienen sind. Außerdem würde ich gerne wissen, wie Schandtat #1 und #2 eigentlich gestaltet waren…

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Jugendkulturen #Punk #DIY

Christian (Zine Nerd)

Zine of the Day: Bikini Kill

Bikini Kill #2, 1991

Bikini Kill #2, 1991

Für mich ist das Bikini Kill-Fanzine ein ganz besonderes Riot Grrrl-Fanzine. Ich liebe die gleichnamige Band Bikini Kill einfach bis heute für Songs wie „Rebel Girl“ oder „Suck my left one“ und drei der Bandmitglieder sind auch für dieses Fanzine verantwortlich. Allein deshalb bin ich schon ein Fan dieses Zines. Mir bedeutet dieses Heft aber auch deshalb so viel, weil ich mich als Feministin mit den dort vertretenen Riot Grrrls-Forderungen und –Idealen, nämlich den Feminismus aus den Hörsälen der Universitäten auf die Bühnen in den Clubs zu holen, auch persönlich identifizieren kann.

Neben der Musik waren die Zines das zentrale Kommunikationsmedium zur Vernetzung und zum Austausch der Riot Grrrls untereinander. Auch wenn die Hochphase der Bewegung Anfang der 1990er Jahre in der kleinen nordamerikanischen Stadt Olympia bereits längst vorüber ist, so bleiben die Themen, die im Bikini Kill #2 behandelt werden, bis heute (leider!) aktuell. Das Heft beschäftigt sich auf kritische Weise mit brisanten Themen wie Geschlechterrollen, Homophobie, sexuellem Missbrauch/Belästigung, Vergewaltigung, Fatshaming oder Sexismus in der Musikwelt. Das sind Themen, die sich auch in Zeiten von #aufschrei und antifeministischen Backlashs in den Medien und der Gesellschaft unschöner Kontinuitäten erfreuen. Umso mehr freut es mich, dass bedeutende Riot Grrrls wie Kathleen Hanna und Kathi Wilcox auch heute noch aktiv sind und weiterhin gegen gesellschaftliche Missstände anschreien. Revolution Grrrl Style Now!

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#IZM2015 #Zines #Fanzines #Zineoftheday #Jugendkulturen #RiotGrrrl #Feminismus #Sexismus #Homophobie

Giuseppina Lettieri