Vielleicht will ich alles

QueDu Luu
Vielleicht will ich alles
Kiepenheuer & Witsch 2011
336 Seiten
14,95 €

9783462042955Die scheinbar heile Welt des 16-jährigen Addi, der genug Geld und viele Freunde hat, ist bei genauerer Betrachtung ein Trümmerfeld, auf dem die Eltern sich in regelmäßigen Abständen prügeln und dabei auch vor dem eigenem Sohn nicht halt machen. Der Roman beginnt schonungslos und ohne einstimmende Worte. Addi bekommt von seiner Mutter eine abgebrochene Bierflasche in den Bauch gerammt. Aus Versehen.

Verständlich, dass er unter diesen Verhältnissen versucht, so viel Zeit wie möglich draußen zu verbringen. Der Leser begleitet Addi auf seiner Reise durch die Straßen; was er dort entdeckt stellt die gesamte Bandbreite des Lebens dar. Er erlebt Gewalt und Hass, aber auch Freundschaft und Liebe. Und er beginnt zu verstehen, dass seine Familie nicht die einzige ist, bei der Schein und Sein nicht übereinstimmen. Wie sonst ist es zu erklären, dass Jonas, der in der Schule als Streber verschrien ist, für seine Eltern, die von Hartz IV leben, nachts um 3 Uhr das Bier von der Tanke holt? Und wie kann es sein, dass Addi der obdachlose und oft geistig verwirrte Balduin vernünftiger und zufriedener als seine Eltern vorkommt?

Die Autorin QueDu Luu, deren Wurzeln in China und Vietnam liegen, verzichtet in Vielleicht will ich alles nicht nur auf jegliche klischeehafte Darstellung, sie wählt sogar oftmals Bilder, die den Leser geradezu veranlassen, nachzudenken und die gewohnten Assoziationen zu hinterfragen. So wirkt es erst ungewöhnlich, dass es Addis Mutter ist, die den Vater tätlich angreift und es sich nicht umgekehrt verhält. Auch vermutet man derartige Gewaltausbrüche wohl eher in Familien, die von der Gesellschaft als Unterschicht bezeichnet werden; doch auch dies ist im Falle von Addis Eltern – der Vater Arzt, die Mutter Krankenschwester – wohl kaum zutreffend.

Der Roman zieht den Leser oft an düstere und einsame Orte, doch der schwarze Humor QueDu Luus lockert diese Momente immer wieder auf. Feinfühlig schildert sie verschiedene Lebensweisen; zeigt, dass letzten Endes Jeder auf der Suche nach Nähe und Geborgenheit ist und enthält sich selbst jeder Wertung. Was bleibt, ist eine Vielzahl an Identifikations und Interpretationsmöglichkeiten und eine Einladung zum Nachsinnen.

Maria Danelius

(Diese Rezension erschien zuerst im Journal der Jugendkulturen #17, Winter 2011)

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