Kurt Cobain. Montage of Heck
USA 2015
Der amerikanische Privatsender HBO ist vielen Serienfans vor allem durch so großartige und komplexe Fernsehproduktionen wie The Sopranos, The Wire oder True Detective bekannt. Doch auch im Feld der Dokumentationen hat sich HBO bereits einen Namen gemacht und zeichnet in einer ihrer aktuellen Produktionen das Leben des Nirvana-Sängers Kurt Cobain nach. Kurt Cobain. Montage of Heck wurde auf der schon etwas hinter uns liegenden Berlinale gezeigt und ist die erste voll autorisierte Dokumentation über das Nirvana-Mastermind. Sie verwebt original Super-8-Aufnahmen aus Cobains Kindheit und intime Filmaufnahmen aus seinem Familienleben mit Ehefrau Courtney Love und Tochter Frances Bean mit persönlichen Aufzeichnungen und Zeichnungen Cobains, die hauptsächlich seinen Tagebüchern entnommen sind. Durch Interviews mit Familienangehörigen und Freunden sowie animierten Filmsequenzen à la Waltz with Bashir wird dem Publikum zudem ein intimer Einblick in das Gefühlsleben, die Gedankenwelt und die Zerrissenheit dieses Sprachrohrs einer Generation geliefert – ein Sprachrohr, das er bekanntlich nie sein wollte, zu dem er aber vor allem auch durch die Medien in Zeiten des Grunge Hypes immer wieder gemacht wurde.
Der Titel dieser Dokumentation – Montage of Heck – geht zurück auf ein Mixtape Cobains aus dem Jahr 1986. Leider versäumt es die Dokumentation im späteren Verlauf näher auf dieses Mixtape einzugehen und daraus Rückschlüsse auf Cobains musikalische Sozialisation zu ziehen, so dass die Titelgebung doch etwas kontextlos wirkt. Stattdessen stellt der Regisseur Brett Morgan die Privatperson, das musikalische Genie Cobains und seine Punkrocksozialisation in den Vordergrund. Doch worin genau liegt der Mehrwert dieser Dokumentation, mehr als 20 Jahre nach seinem Tod? Denn über Kurt Cobain und Nirvana wurde schon viel geschrieben, gesagt und auch in Filmen wiedergegeben: sei es in Gus Van Sants fiktivem Spielfilm Last Days oder in Dokumenationen wie About A Son und Kurt & Courtney, um nur ein paar der vielen zu nennen.
Die Dokumentation wählt die chronlogische Erzählweise und zeigt neben den Etappen seines Privatlebens – Kindheit, Jugend und Familienleben – vor allem auch den Rockstar Cobain, von den Anfängen seiner musikalischen Karriere bis zum Durchbruch mit Nirvana. Nach dem Durchbruch geriet wiederum sein Privatleben in die Schlagzeilen, seine Drogensucht, die turbulente Ehe mit Courtney Love und der Sorgerechtsstreit mit der Stadt San Francisco nach der Geburt von Frances Bean Cobain schlugen sich enorm in den Medien nieder. Alles Facetten seines kurzen Lebens, die die Ambivalenz zwischen seinem Wunsch, auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen, und dem verzweifelten Kampf darum, sein Privatleben vor sensationsgierigen Medien zu schützen, widergespiegelt.
Der Film beginnt mit fragmentarischen Interviewpassagen seiner Eltern und seiner Schwester. Die Kindheit und Jugend von Kurt Cobain wird als glücklich, aber auch sehr schwierig beschrieben. Durch seine Hyperaktivität und Unangepassheit wird er innerhalb der Familie herumgereicht, lebt abwechselnd bei seiner Mutter und seinem Vater, die sich früh trennen, sowie verschiedenen Tanten und Onkeln. Doch ein wirkliches Zuhause findet er nicht. Die Musik wird zu seinem einzigen Zufluchtsort und bildet eine der wenigen Konstanten seines Lebens. Über sie findet er sein Medium, um seine Gefühle der Ablehnung, Zurückweisung und Entwurzelung zu verarbeiten. Viele seiner Songs sind davon durchgezogen, wie u. a. „Heart Shaped Box“ oder „Something in the Way“:
Neben der Musik ist es vor allem das Kiffen, dass Kurt in seiner Jugend, sicher nicht untypisch für einen Jugendlichen, runterbringt. Visualisiert wird diese Phase durch Tagebucheinträge und Skizzen Cobains. Durch die vom Regisseur gewählte Machart, diese Einträge und Bilder zu animieren, wird das Gefühl vermittelt, direkt bei dem Aufschreiben der teilweise verqueren Gedanken und Gefühle Cobains dabei zu sein. Drogen, vor allem sein selbstzerstörerischer Heroinkonsum, spielen auch im weiteren Verlauf eine entscheidende Rolle in dieser Dokumentation.
Viele Weggefährten kommen zu Wort. Seine Exfreundin Tracy Marander aus seinen Aberdeen-Tagen, Krist Novoselic, der früh mit Kurt in der Band spielte, die später als Nirvana berühmt werden sollte, und natürlich auch Courtney Love, seine Witwe und Frontfrau der Band Hole. Dave Grohl, der spätere Drummer von Nirvana und seit vielen Jahren Frontmann der Foo Fighters, taucht erstaunlicherweise nicht auf, und auch Frances Bean, die immerhin die Dokumentation mitproduziert hat, will anscheinend immer noch nicht vor die Kamera, um etwas über ihren Vater zu sagen. Verständlich, sowohl von Grohl, der sich vor Jahren mit Courtney Love überworfen hat, als auch von Frances Bean, die das Schicksal vieler teilt, die als Kind berühmter Eltern von Geburt an im Interesse der Öffentlichkeit stehen. Das Verhältnis von Grohl und Love hat sich jedoch kürzlich wieder etwas entspannt, was bei der Aufnahme von Nirvana in die Rock and Roll Hall of Fame im Oktober 2014 einem breiten Publikum deutlich wurde.
Obwohl nicht wirklich neue Dinge ans Tageslicht kommen, berührt diese Dokumentation doch auf eine ganz eigene Weise. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich, wie sicher viele andere auch, an die 1990er Jahre erinnere, in denen Grunge regelrecht explodierte und über alles in der Musikwelt hinwegfegte. Eine riesige Hypeblase entstand. Seattle wurde zum Mekka der Grungebewegung. Nirvana wurden zum „The next big thing“ erklärt und Kurt Cobain und Courtney Love waren für die Klatschpresse die Grungeversion von John Lennon und Yoko Ono. Kombiniert mit dem frühen Tod Cobains mit 27 Jahren, ergibt sich ein höchst explosiver Stoff, aus dem schon viel gestrickt wurde. Doch Brett Morgan schafft es, sich nicht mit Verschwörungstheorien um den Tod Cobains aufzuhalten, verpasst es allerdings einen wichtigen Aspekt seiner Persönlichkeit stärker herauszustellen, denn nur in wenigen Momenten scheint in dieser Dokumentation Cobains feministische Grundhaltung durch.
Die gegenseitige Beeinflussung von Grunge und der Riot-Grrrl-Bewegung sowie die Freundschaft zwischen Kurt Cobain und der Riot-Grrrl-Ikone Kathleen Hanna wird mit keinem Wort erwähnt. Der Grund dürfte darin liegen, dass Courtney Love neben anderen Familienmitgliedern sicher Einfluss auf die Auswahl der Inhalte und Schwerpunkte dieser Dokumentation genommen hat. Und es ist durchaus bekannt, dass sich Kathleen Hanna und Courtney Love nicht unbedingt gut verstehen. Legendär ist das Zusammentreffen von Love und Hanna bei dem Musikfestival Lollapalozza 1995. Wer wissen möchte, wie eng Kurt Cobain mit der Riot-Grrrl-Bewegung sowohl ideell als auch persönlich verbunden war und welche Rolle Kathleen Hanna bei Nirvanas Meilenstein „Smells like teen spirit„ gespielt hat, sollte sich daher die Kathleen Hanna Dokumentation The Punk Singer anschauen.
Kurt Cobain. Montage of Heck läuft ab dem 09. April in den deutschen Kinos.
Offizieller Trailer zum Film:
Giuseppina Lettieri