Der Junge von nebenan

Martin Büsser
Der Junge von nebenan
Verbrecher Verlag 2009
100 Seiten
14,00 €

1162_LIllustrierte Erzählung, Graphic Novel oder irgendwo dazwischen: Der Junge von nebenan ist der Titel der ersten und leider auch letzten fiktionalen Erzählung von Martin Büsser. Gewidmet „all jene[n], die nie Männer werden wollen oder es geschafft haben, nie Männer zu werden“, ihre Hauptfigur ein Junge in den 1970er Jahren zwischen Erwachsenwerden, Coming out und der Ohnmacht gegenüber den Eltern. Während diese sich für den Kampf im Untergrund entscheiden, beginnt für den Jungen der Kampf mit der eigenen Sexualität. Vom 18. Stockwerk hinabblickend in eine „unbestimmte Zukunft“, voller „Liebschaften, Möglichkeiten“ und „wie auch immer geratene Wege“. Nachdem Mutter und Vater verfolgt, gefunden und „in der spektakulärsten Polizeiaktion des ausgehenden 20. Jahrhunderts“ erschossen werden, kommt der Junge zu den Großeltern. Dort träumt er von Berlin, der einzigen Stadt, die groß genug ist und deren Sprache er spricht. Um der Tristesse zu entkommen, flüchtet er in Fantasiewelten und entdeckt Literatur, Politik und Popmusik.
Die Coming of Age Story reißt nicht nur queere Diskurse und Identitätssuche an, sondern thematisiert auch ganz nebenbei ein Stück BRD Geschichte, wunderbar naiv und zugleich entlarvend ehrlich und direkt. In seinen Zeichnungen pflegt Büsser einen bewussten Dilettantismus, eine Art D.I.Y. Ästhetik, rotzig, unfertig und simpel. Mit wenigen Sätzen und schlichten Zeichnungen geht die Geschichte nah, durch die Einfachheit der Dinge, das Minimalistische. Martin Büsser hat das „offenste aller offensten Bücher“ geschrieben. Als ob er sich mit diesem Werk verabschieden wollte. Das ist ihm fürwahr gelungen. Er wird fehlen.

Martin Büsser ist im September 2010 gestorben. Er schrieb unter anderem für das ehemalige Punk Hardcore Fanzine Zap, für die Intro und Konkret. Er war Mitbegründer und Herausgeber des Mainzer Ventil Verlags und der Buchreihe testcard, außerdem Musiker, Autor, Theoretiker und einiges mehr. Roger Behrens schrieb über ihn: „Pop war ihm mehr als Musik, Musik mehr als Pop – es ging um Gender, Filme, Comics, Fernsehen, Romane, Nationalismus, D.I.Y., es ging ums Ganze.“

Leyla Dewitz

(Diese Rezension erschien zuerst im Journal der Jugendkulturen #17, Winter 2011)

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