Stuttgart Kaputtgart

Simon Steiner (Hrsg.)
Wie der Punk nach Stuttgart kam & wo er hinging
EDITIONrandgruppe 2017
370 Seiten
65€

stuttgart punk.jpg

Es ist ein großer schwarz-gelber Block – Kantenlänge 24 x 34 cm, ein Schuber gefüllt mit einer CD und 11 schmalen Heften mit insgesamt 370 Seiten voller Texte, ergänzt um rund 700 Abbildungen. „Die gelben Seiten des Stuttgarter Punk“ – so nennt es der Verlag, und das ist es auch. Es sind Seiten voller Geschichten, Anekdoten, Namen, Bands, Orten und Beziehungen, die Geschichte der Stuttgarter Gegenkultur wird mit jedem Satz für die Leser*innen lebendiger. Das Kompendium ist im Herbst 2017 im Stuttgarter Kunstverlag Edition Randgruppe in einer Auflage von 1000 Exemplaren erschienen und nennt sich „Wie der Punk nach Stuttgart kam & wo er hinging… Punk/Wave/Neue Deutsche Welle in Stuttgart und der Region 1977 bis 1983. Entwicklungen bis heute.“

Der pensionierte Stuttgarter Lehrer Simon Steiner hat es mit umfassender Netzwerkarbeit in einem Wahnsinnsprojekt erschaffen. Er hat mehr als 100 Interviews mit Zeitzeug*innen geführt und akribisch unzählige Fanzines, Kassetten, Platten, Klamotten, Fotos, Flyer und Plakate gesammelt. Steiner selbst war nach eigenen Angaben nur am Rande Teil der Punkbewegung, er spielte 1981 in den lokalen New Wave Bands Mannschreck, Sissis Kinder und F.A.K. Unterstützt wurde Steiner von Norbert Prothmann, Mitglied der damaligen Stuttgarter Punkszene, und dem Plattensammler und Labelmacher von Incognito Records, Barney Schmidt. Schmidt war vor allem für die hörbare Geschichte zuständig: Die beigelegte CD trägt den Titel „Punk – Wave – Avantgarde in Stuttgart und Umgebung 1980-1983“. Das Projekt wurde 2017 mithilfe einer Crowdfunding-Aktion und dem Verlag Edition Randgruppe von Uli Schwinge realisiert. Der Verleger konnte sich zu seinem eigenen Leidwesen nicht zu einem einfachen Taschenbuch durchringen, es musste „fett“ werden, das hätten sich die Punks im Land der Kehrwoche verdient.

In den Texten wird Punk in Stuttgart und Umgebung erlebbar, die Leser*innen werden quasi am Nasenring durch die damaligen Orte und Szenen geführt. „Mir gehen diese Uniformierungen auf den Sack, alle laufen mit Lederjacke rum“, schreit es aus der Ecke und der Rentner, der seinen Pudel Gassi führt, flucht: „Die dackeln hier rum und feiern das ganze Jahr Fasching“. Treffpunkt der unangepassten Jugend war und ist der kleine Schloßplatz im Zentrum der Stadt. Dessen heutige Treppenkonstruktion geht auf die Vorliebe der Jugendlichen zurück, Treppen anstatt fertiger Bänke als Sitzmöbel im öffentlichen Raum zu nutzen. Wie verändert Musik und Mode das Denken? Werden wir durch einen unangepassten Haarschnitt politisch? Fragen, die sich 1980 von selbst beantworteten, wenn die Antwort auf das erste selbst besprühte T-Shirt und die blondierten und rasierten Haare eine Tracht Prügel war. Umfassend ergänzt werden die Berichte durch Auszüge aus den ca. 50 Stuttgarter Fanzines, die damals erschienen sind. Die Schreibmaschine war laut, getippt wurde zumeist im 2-Finger-Suchsystem und manch ein nächtlicher Kreativitätsschub wurde von lärmempfindlichen Eltern vorzeitig abgewürgt. Fanzines machen, das hieß nicht nur Texte zu fabrizieren, das war (und ist) auch die Gestaltung von Artwork, Layout und selbst gezeichneten Comics – immer haarscharf an Kunst und Trash vorbei. Attitüde, Politik und Identität – wer waren diese ersten Punks? Sie waren vor allem hedonistisch und wollten heraus aus dem engen Leben im schwäbischen Ländle. Linke Ideologien wurden erst nach und nach Thema – politische Endlosdiskussionen hatten die Punks satt. Hausbesetzungen stillten primär das Bedürfnis, umsonst wohnen zu können. Der Sprung ins Jahr 2017 zeigt dagegen eine Punk-Attitüde, die zumeist politisch und immer antifaschistisch ist. Auch die Aktiven von heute kommen zu Wort, z.B. Benjamin von Karies und Flavio von Human Abfall, und erzählen von ihren ersten Punk-Momenten in den 90er und 00er Jahren.

Die von Barney Schmidt zusammengestellte CD läuft durch und umfasst 37 Lieder mit illustren Titeln wie Eva Braun & Loki Schmidt von Autofick und Höfliche Terroristen von Frauen & Technik. Für Schmidt war die Zeit bis 1983 die kreativste und originellste Phase des Punk und seiner Subgenres. Es gab im Großraum Stuttgart zwischen 1977 und 1983 ca. 95 Bands mit existierenden Aufnahmen und etwa 85 ohne Veröffentlichungen – darunter mit Frauenklink übrigens nur eine einzige Band, die nur aus Frauen bestand. Entstanden sind in diesem Zeitraum 100 Kassetten und 30 LPs. Stilistisch grob eingeteilt in Punkrock, New Wave, Minimal Elektro, Noise, Experimental und Oi!. Vinyl produzieren war zu teuer und zu aufwändig, Kassetten ließen sich im Home-Taping leicht vervielfältigen und direkt bei Konzerten an das Publikum verteilen. Sie wurden in Heimarbeit zu kleinen Kunstwerken in Minimalauflagen. Jede noch so obskure Proberaumband konnte über die Kassettenvertriebe berühmt werden, ohne je ein einziges Konzert gespielt zu haben. Aus importierten Klängen aus London wurde Eigenes – „man konnte alles ausprobieren, weil es alles mögliche gleichzeitig gab“, beschreibt es der Punk-Musiker Sandro. Während Demo-Kassetten Kreisliga waren, eine eigene Platte war Champions League. Partner der Welt veröffentlichten 1980 ihre EP Moderne Zeiten: „Eine reine Studioproduktion“, erzählt Sänger Fritz. „Wir machten keine Gigs und verschenkten die Platte an Verwandte und Bekannte“. Attraktiv & Preiswert brachten ihre LP in der Auflage von 207 Stück in einer Original Plastiktüte der A&P Supermarktkette heraus, heute ein rares Sammlerobjekt. Vinyl-Veröffentlichungen waren Monumente für die Ewigkeit, die insbesondere durch Labels wie Mülleimer Records aus Stuttgart und Intoleranz aus Pforzheim vertrieben wurden. Voller Begeisterung über das vorhandene Material stellte Barney Schmidt eine separat erschienene Doppel-LP mit seltenen Aufnahmen zusammen. Auf der Doppel-LP und der CD sind zusammen 50 dieser Bands vertreten – kaputt, schräg, witzig aber auch ernst zu nehmen. In Stuttgart wurde 2017 das gesamte Oeuvre im Württembergischen Kunstverein gebührend mit einer Ausstellung gefeiert.

Ich hatte mehr als Spaß und kann euch nur empfehlen, dieses Kompendium im Shop der Edition Randgruppe zu erwerben – ein paar wenige Ausgaben sind noch erhältlich –  und tief in die Frühzeit des schwäbischen Punks einzutauchen.

Begleitend gibt es auf der Webseite Stuttgart Punk weitere Informationen und Berichte.

Jimi NoMore,  Berlin,  Juli 2020

#IZM2020 „Who’s that Zinester?“

Seit einigen Jahren beteiligen wir uns am International Zine Month, so auch in diesem Jahr. Die Beiträge bündeln wir unter dem Hashtag #IZM2020. Bisher haben wir als Mitarbeiter*innen hauptsächlich Zines vorgestellt, die uns wichtig sind oder die wir neu in der Sammlung haben. Für dieses Jahr haben wir uns eine neue Rubrik überlegt: „Whos that Zinester?“

Heute ist der letzte Tag des International Zine Month und wir haben noch noch ein Zinester-Feature für euch im Rahmen unserer neu initiierten #IZM-Rubrik „Who’s that Zinester?“

Diesmal geht es um Fußballfankultur. Auch dazu haben wir eine nicht unerhebliche Menge an Fanzines. Jan/LeToMaGiC-Zine hat vor einigen Jahren im Rahmen unseres Forschungsprojektes JuBri- Techniken jugendlicher Bricolage glücklicherweise dazu beigetragen, unsere Sammlung dahingehend zu erweitern.

Der Kontakt wurde nun vor gut einem Jahr lustigerweise via Twitter zwischen Jan und unserer Kollegin Giuseppina, ohne dass es um Zines oder Fußballfankultur ging, wieder aufgenommen. Beide waren ohne Kenntnis voneinander 2019 auf dem großartigen Big Joanie Konzert in Hamburg und haben sich darüber ausgetauscht. Und da lag die Idee nahe, Jan zu bitten, Teil unserer neuen Rubrik „Who’s that Zinester?“ zu werden. Hier nun Jans (LeToMaGic-Zine) Antworten. Viel Spaß!

Tell us about your zine/project!

Letters To Marina Ginesta Coloma is a handcut and handsewn mini artzine about politics, beer, zine libraries and football. It is inspired by Subbuteo, record cover art, Pixi Books and Slinkachu. I visit different places and leave a small, individual painted figure – with an upraised fist to greet Marina Ginesta – on a bottle cap there. The zine itself is a letter to Marina Ginesta i Coloma where I report on these trips. The last but second page always holds a DIY sticker that can be coloured and finished by the readers. I’m always looking forward to receiving stickers from nice spots around the world. If you’re interested in checking it out, you can find it as @LeToMaGiC on Twitter and Issu.

What was the reason to start your own zine? Did someone or something inspire you?

I started to publish a football fanzine for my local non league club around 15 years ago. The first one ran for ten years and was inspired by the ‚Weltbühne‘ magazine from the 1920s. I’ve experimented with a lot of different subjects and sizes since – I’ve published perzines, art zines, a poetry zine, political/historical zines and a photo zine.

What is the first zine you ever fell in love with?

I’m not sure if they would call their publication a zine, but I was fascinated by ‚Der Tödliche Pass‘ very early on. The first zine where I couldn’t wait for the next issue to be published was ‚The Moral Victory‘ by Josie and Louis.

A zine you would recommend because it deals with issues you care about

My favourite zines are those with a political motivation. I like to read zines with a special kind of humour as well as ‚zine zines‘, too. And I love zines that show a special enthusiasm for a thing or person and explore these from new perspectives again and again. That’s why I’m a big fan of ‚Dishwasher Pete‘, the ‚Wes Anderzine‘ or the various zines about Taylor Swift and Patti Smith. Though ‚Butt Springsteen‘ is a good title, too.

Zine related places you visited or want to visit in the future? Tell us why!

I’m always looking for cities, towns and villages where you can find a zine library or collection, a brewery and a local football club. I love to visit these places for my LeToMaGiC zine. I’ve been to Barcelona, London, Altona, Istanbul, Brussels, Manchester, Forlí, Berlin, Athens, Sydney, Melbourne, Vienna, Salzburg, Arnhem, Toronto, Reykjavik, Riga, Bergen, Oslo, York, Plymouth and Falmouth so far. But I’m always up for hints and suggestions!

What projects are you involved in besides publishing zines?

I like any kind of arts and crafts. I was very happy that the wonderful ‚Illustrated Women In History‘ project accepted my first ever silhouette cut-out, for example. I always try to donate any profits of my zines to good causes. So we were the first German football supporters who followed the very important initiative ‚On The Ball‘ (@OnTheBaw) and made period products available at our stadiums for free.

A collaboration you are dreaming about?

One of the best things about the zine community is swapping zines and contributions. I’ve done a few over the last years, but some of the contacts faded away over time as I’m bad at staying in contact with people. I would love to do another zine with Nikos, who I first met at the Athens Zinefest. And I’m always inspired by the work of Nyx from Sea Green Zines.

What would you be more interested in? A zine about cats or dogs?

I have to admit, it should be about Alpacas for me. As there have been football zines like ‚Can I Bring My Dog‘ (Dundee Utd) and ‚Gone To The Dogs‘ (Canterbury) I would go with the dogs here. Perhaps Ruth (@nonleaguedogs) may compile one some day?

A zine about your teen crush would be about?

I would love to say it would have been about Sara Gilbert or Alyssa Milano, but in fact it would have been about Tipp-Kick figures or collecting cards.

Which fellow zinester would you rob a bank with and why?

Mika and Chriz who were brave enough to share a table with me at the Berlin Zinefest in 2014 without ever meeting me in person before. And I’m pretty sure they will get away with the money and donate it to a good cause while I’m getting arrested.

Your life motto or a message you want to share

If the kids are united, they will never be divided.

Danke Jan für deine Antworten, sowie Danke an alle weiteren Zinesters (Evelyn/Vinyldyke-Zine, Nina/SameHeartbeats-Zine, Lilli/Diverse Comics und Fanzines), die mitgemacht haben. Damit verabschieden wir uns aus dem diesjährigen International Zine Month. See you next year.

Das Archiv kooperiert mit Sick Time Press- Workshopreihe 2020

Wir freuen uns sehr über eine großartige Kooperation mit Sick Time Press bzw. der Sickness Affinity Group, die für ihre tolle Workshopreihe dieses Jahr eine Förderung von Durchstarten -dem Förderprogramm für neue Expert*innen der Kulturellen Bildung Berlin- erhalten hat.

„Sickness Affinity Group (SAG) (Krankheitsbezugsgruppe) ist eine Gruppe von Kulturarbeiter*innen und Aktivist*innen, die zu Krankheit/Behinderung arbeiten und/oder von Krankheit/Behinderung betroffen sind. Sickness Affinity Group funktioniert als unterstützende Gruppe, die den wettbewerbsorientierten und behinderten-feindlichen Arbeitsbedingungen in der Kunst entgegenwirken will. In SAG teilen Gruppenmitglieder Erfahrungen und Informationen, wobei für uns Wohlbefinden und die Zugangsbedürfnisse der Teilnehmer*innen besonders wichtig sind“

Der 1. Workshop FemmeFitness x Sickness Affinity Group findet online statt am 30.August. Der Workshop ist kostenlos.

FEMMEFITNESS X SICKNESS AFFINITY GROUPBewegung teilen durch Collage und Printmedien: Laura Lulika & Anisha Müller

In einer Zeit des anstrengenden performativen Aktivismus veranstalten Laura Lulika und Anisha Müller einen kreativen Empowerment Workshop…

Wir werden unsere Praktiken mit Ihnen zusammenbringen; tanzen, uns bewegen und kreativ sein auf eine Art und Weise, die sich um Femme, Queer, Trans, Behinderte und/oder BIPoC-Leute kümmert. Als Künstler*innen und Aktivist*innen haben wir uns in die Praxis der Zugänglichkeit in den Künsten investiert und einen zweistündigen Workshop entwickelt, an dem Menschen je nach ihren eigenen Kapazitäten teilnehmen können.

Der Workshop wird (unsere eigenen) Körper thematisieren und Bewegung durch verschiedene künstlerische Formen wie Collage, Illustration und Text vermitteln. Die Idee besteht darin, körperliche Ausdrucksformen von Tanz und Bewegung auf Druckmaterial zu übertragen. Wir wollen Möglichkeiten suchen, persönliche Bewegungs- oder Tanzsequenzen, die wir hilfreich finden, aufzuzeichnen und weiterzugeben.

Im Bewusstsein, wie schwer es für die Menschen in unseren Communities sein kann, sich auf bestimmte Zeiten festzulegen oder sogar die Energie für kreative Ruhezeiten zu haben, werden wir verschiedene Optionen für die Teilnahme anbieten. Wir werden den Teilnehmer*innen per Post oder E-Mail* Collage-Materialien schicken, die dann dem aufgezeichneten Tanzmaterial folgen oder am Online-Workshop teilnehmen können. Am Ende werden alle Werke, die die Teilnehmer*innen teilen möchten, in ein gemeinsames Zine gestellt. Alle Werke, die während des Workshops an verschiedenen Orten von Teilnehmer*innen entstanden sind, werden dabei zusammengestellt. Wir werden dieses endgültige Zine an alle Teilnehmer*innen schicken, um es anschließend aufzubewahren!

Es gibt keinen Druck, im Workshop produktiv oder überhaupt sichtbar zu sein (Video aus ist immer eine Option), da wir wissen, wie einschüchternd und nervenaufreibend Tanz und bildende Kunst sein können! Wir hoffen, den Workshop mit der Fürsorge anzugehen, die in künstlerischen Institutionen allzu oft fehlt, und einen sichereren Raum für den Ausdruck zu schaffen. Zur Teilnahme ist keine vorherige Erfahrung in Tanz oder Kunst erforderlich.

*Wenn Sie außerhalb Großbritanniens oder Deutschlands leben, senden wir Ihnen die Materialien per E-Mail und nicht per Post, damit Sie sie rechtzeitig vor dem Workshop erhalten.

Priorität haben Femme, Trans, Queer, Be*hinderte und BIPoCs, aber es ist für alle offen.

Melden Sie sich mit Ihren Daten vor dem 9. August an
https://us02web.zoom.us/meeting/register/tZwkc-ytqjstHtIyWzXKTVimtHBZM4kcVak-
um Collagenmaterial zu erhalten und an den Aktivitäten in dem von Ihnen bevorzugten Format teilzunehmen.

https://www.facebook.com/events/314851702980255

Gefördert von Durchstarten
www.durchstarten.berlin


BESONDERHEITEN

Informationen zur Barrierefreiheit:
Sie benötigen einen Computer oder ein Gerät mit Internetzugang. Wenn die Live-Teilnahme für Sie nicht klappt oder Sie sich nicht wohl fühlen, können Sie sich ein aufgezeichnetes Video der Gastgeber ansehen, das wir nach dem Workshop senden können (nur die Gastgeber*innen werden aufgezeichnet, keine Teilnehmer*innen werden während dieses Workshops aufgenommen). Wir werden den Workshop auf Zoom auf Englisch durchführen, aber wir sind offen für andere Sprachen und Kommunikationsformen. Sie müssen Ihr Video oder Ihren Ton nicht eingeschaltet haben, und es gibt eine Funktion zur Freigabe von Namen und Pronomen. Der Workshop kann live transkribiert werden, und wir senden die Videos mit Untertiteln und separaten Transkriptionen, falls benötigt. Bei den Tanz- und Bewegungsteilen können Sie so viel oder so wenig mitmachen, wie es Ihnen passt; es wird Steh-, Stuhl- und Bodenchoreographien geben. Für den Collage-/Aufnahmeteil können Sie Schere, Kleber und Stifte verwenden, was immer Sie an kreativen Materialien haben! Bitte teilen Sie uns Ihre Bedürfnisse bezüglich der vollständigen Zugänglichkeit mit, damit wir unser Bestes tun können, um uns entsprechend vorzubereiten.

Bitte teilen Sie uns Ihre vollständigen Zugänglichkeitsinformationen mit, damit wir unser Bestes tun können, um uns angemessen vorzubereiten. Wir haben Geld und Zeit zur Verfügung gestellt, um den Zugangsanforderungen zu entsprechen. Bitte zögern Sie nicht, uns um Folgendes zu bitten: Übersetzung, Transkription, Gebärdensprache, Anpassungen an Zeit und Format, Kinderbetreuung und alles andere!

#IZM2020 „Who’s that Zinester?“

Seit einigen Jahren beteiligen wir uns am International Zine Month, so auch in diesem Jahr. Die Beiträge bündeln wir unter dem Hashtag #IZM2020. Bisher haben wir als Mitarbeiter*innen hauptsächlich Zines vorgestellt, die uns wichtig sind oder die wir neu in der Sammlung haben. Für dieses Jahr haben wir uns eine neue Rubrik überlegt: „Whos that Zinester?“

Wir stellen euch in den kommenden Wochen Zinemacher*innen vor, deren Zines wir toll finden und in der Sammlung haben, mit denen wir arbeiten oder einfach so in einem engen Austausch sind. Wir haben eine kleine Auswahl an Menschen unsere Fragen geschickt und hier sind ihre Antworten.

Heute stellen wir euch die Künstlerin Lilli Loge vor.

Lilli kennen wir schon sehr lange, da sie neben ihrer großartigen Kunst auch in der politischen Vermittlungsarbeit für uns tätig ist. Neben dem Weitergeben von Zeichenskills ist Lilli auch als politische Bildnerin zu queeren und genderrelevanten Themen für unser Projekt Diversity Box aktiv gewesen und leitet auch aktuell npch Comicworkshops für Culture on the Road.

Tell us about your zine/project!

I’m doing  art- and comic-zines – technically since 2003, but more serious since 2008. I like to use zines to try out different things. For example I did several modern queer versions of  “Tijuana Bibles” ( a mixture of satire and sex,  popular in 1920’s – 40’s  USA). I also did a zine about menstrual cups, one about trauma and one about perfectionism.

What was the reason to start your own zine? Did someone or something inspire you?

I could say that I like to experiment with printing and binding-techniques, that I love crafting and that the zine-szene is lovely. I really feel that way, but to be honest, the main reason I started self-publishing was, because I was too shy to take the steps that are needed to get a publisher.

A zine you would recommend because it deals with issues you care about

“These things might help, a self-care-zine” by Lois de Silva.

Zine related places  you visited or want to visit in the future? Tell us why!

I would love to visit all the stores and Distros that sell or sold my zines, that I haven’t visited yet: Microcosm Publishing (Portand), Quimbys Bookstore (Chicago), Disparate (Bordeaux), Fatbottombooks (Barcelona), Taco Che (Tokyo), Boismu (Bejing)

What projects are you involved in besides publishing zines?

I just published the mini-zine  “Aubrey Beardsley on Emotional Violence” with “2Bongoût“.
During the Corona-crisis  I did several  funny instructional comics ( “Motto-days”) on instagram. If we experience a second wave , there might be new “episodes”.
Since 2016 I  am working on a graphic novel which will be published by Avant Verlag. Looks like it might be finished next year..
And I just started a new comic on instagram together with Stef (@underwaterowl).  So, stay tuned!

A collaboration you are dreaming about?

I would like  to work with publishers  from around the world.

What would you be more interested in? A zine about cats or dogs?

I had a cat, so I’m more interested in the weird behaviors of cats.

Which fellow zinester would you rob a bank with and why?

Karla Paloma, because I hope that she would transform into one of the fierce bitches from her zines  when we are in  trouble.

Your life motto or a message you want to share:

All these tacky inspirational quotes spreading over instagram and Facebook are actually  true!







#IZM2020 „Who’s that Zinester?“

Seit einigen Jahren beteiligen wir uns am International Zine Month, so auch in diesem Jahr. Die Beiträge bündeln wir unter dem Hashtag #IZM2020. Bisher haben wir als Mitarbeiter*innen hauptsächlich Zines vorgestellt, die uns wichtig sind oder die wir neu in der Sammlung haben. Für dieses Jahr haben wir uns eine neue Rubrik überlegt: „Whos that Zinester?“

Wir stellen euch in den kommenden Wochen Zinemacher*innen vor, deren Zines wir toll finden und in der Sammlung haben, mit denen wir arbeiten oder einfach so in einem engen Austausch sind. Wir haben eine kleine Auswahl an Menschen unsere Fragen geschickt und hier sind ihre Antworten.

Heute stellen wir euch Evelyn vor. Kennengelernt haben wir Evelyn und ihr Zine Vinyldyke 2019 über Twitter, woraus dann ein IRL Besuch im Archiv folgte und wow, das Zine ist seitdem ganz schön durch die die Decke gegangen. Evelyn scheint da wohl einen Nerv getroffen zu haben. Wir finden es jedenfalls ziemlich super.

Tell us about your zine/ project

I make a zine called ‚Vinyldyke‘. It is an old-school looking music fanzine, all cut and paste with scissors and gluestick, and type-written. I call my writing style diy rock journalism, to move away from classic music journalism, always adding personal comments and stories.

What was the reason to start your own zine? Did someone or something inspire you?

My friend Nina from Gent, Belgium, produces the zine ‚Same Heartbeats‘. She writes about her travels, feminist events and (her own) music, from a very personal perpective. You can find such an enthusiastic attitude and so much encouragement in her zines, you’ll have to make your own zine after reading them. 

What is the first zine you ever fell in love with?

I remember the first zines I came across in the early 2000, punk and riot grrrl zines, had letters so tiny, I wasn’t able to read them. Only a few years ago, I’ve found zines that were using bigger fonts… 

A zine you would recommend because it deals with issues you care about

All issues of ‚Same Heartbeats‘ that I mentioned earlier. You can learn a lot about making zines from those. I recommend doing a lot of zine trades with various people, so you’ll get a lot of new ideas and inspiration.

Evelyn//Vinyldyke//passionless=pointless visiting us at the archive to bring us the newest issue of the zine ❤

Zine related places you visited or want to visit in the future? Tell us why!

I have done so many zine trades with people in so many different countries. A number of small stores in the US and  the UK even sell my zines. One day, when I was preparing a lot of US orders, I decided, why not travel where my zine are going? So I started planning a trip across the USA for summer 2020. It has fallen through now during the pandemic, but I hope I’ll be able visit all those places and fellow zinesters as soon as possible.

What projects are you involved in besides publishing zines?

I play in a Berlin-based grunge band called Passionless Pointless. Jyoti, Kate and I have released our demo tape as a real cassette in March and we’re going to record our first album in August. Playing in a band is very similar to making zines, I think. You’ve got the writing, the creativity, the creative output and the best thing – meeting other people who are into the same kind of stuff. Also, I can write about our music in my fanzine, just the way I like it.

A collaboration you are dreaming about?

More comics, drawings and illustrations, that’s what I’d like for the next issue of Vinyldyke. I’m so bad at drawing, there surely need to be collaborations. 

What would you be more interested in? A zine about cats or dogs?

I once did a zine trade and the mini zine I got was called ‚Do You Have a Male Cat?‘. I’m allergic to both cats and dogs, so it didn’t sound that interesting to me. But it turned out it was a zine about language

learing! if you’re hung over, you have a ‚male cat‘ in German! And if you worked out too hard, you’ll have a ‚muscle cat‘ the next day. I loved it. The zine was written by stolzlippen.

A zine about your teen crush would be about?

I don’t think I had a teen crush. Maybe I’ll do a zine about my teenage role models one day – Axl Rose, Jon Bon Jovi, Kurt Cobain and Nick Cave, just to see if other queer people experienced the same. 

Which fellow zinester would you rob a bank with and why?

There are so many! 

Your life motto or a message you want to share

Passionless=pointless. I love nerdiness in people and seeing how much they’re into what they’re doing. Put your time and energy into what you love and what’s important to you.

#IZM2020//Zine of the day: WEIRDO (2019,First Issue/UK)

During International Zine Month (#IZM2020) we will highlight zines that we like and that show how diverse, political and complex zine and subcultural communities are and always have been.

We start with the WEIRDO Zine from UK. 

The pictures are high quality but even more impressive are the honest interviews adressing many relatable questions about identity and the feeling of not fitting in #culturallimbo

#IZM2020 „Who’s that Zinester?“

Seit einigen Jahren beteiligen wir uns am International Zine Month, so auch in diesem Jahr. Die Beiträge bündeln wir unter dem Hashtag #IZM2020. Bisher haben wir als Mitarbeiter*innen hauptsächlich Zines vorgestellt, die uns wichtig sind oder die wir neu in der Sammlung haben. Für dieses Jahr haben wir uns eine neue Rubrik überlegt: „Whos that Zinester?“

Wir stellen euch in den kommenden Wochen Zinemacher*innen vor, deren Zines wir toll finden und in der Sammlung haben, mit denen wir arbeiten oder einfach so in einem engen Austausch sind. Wir haben eine kleine Auswahl an Menschen unsere Fragen geschickt und hier sind ihre Antworten.

Den Anfang machen wir mit Nina aus Belgien. Nina hat uns in den vergangenen Jahren schon mehrmals im Archiv der Jugendkulturen besucht und immer die neueste Ausgabe ihres Zines „Same Heartbeats“ mitgebracht. Los gehts….

Zinester Nina //Echo Zines// Same Heartbeats// Lavender Witch

Tell us about your zine/ project

Hi, I’m Nina and I make a lot of zines under the name “Echo” or “Echo Zines” and have been doing that since 2001. Currently “Same Heartbeats” is my main zine series (a DIY feminist perzine in which I write about gender, body image, activism, craft projects, travelling, zine fests, and other things that interest me) and I make a lot of mini-zines as well, for example about how to play guitar, how to make your own zine, and self-care. I’ve also made some 24 hour zines (zines made in 24 hours as the name suggests), such as “From Spice Girls to Riot Grrrls”, “Space Invasion”, and “CuNt & Paste”. At the moment I’m working on a lockdown diary comic in two parts which should come out soon. As you can tell I really enjoy writing and drawing about music, personal stories, and political stuff. I love the oldschool cut & paste photocopied zine style most as it looks so punk and is very accessible. You can find my zines and more info at https://echopublishing.wordpress.com.

What was the reason to start your own zine? Did someone or something inspire you?

As a teenager I read about zines in biographies about Courtney Love and in zine anthologies like “A Girl’s Guide to Taking Over the World”. But it was hard to actually find or order zines because it was the end of the 90s and I lived in a small isolated town. A few years later I discovered the Dutch riot grrrl zine “Bunnies On Strike” at a Sleater-Kinney concert in Amsterdam and I became friends with them and with other international feminist zinesters soon after that. Of course I immediately wanted to make my own zine. I used to love creating booklets and comics as a child and the combination of text, collage, and drawing really appeals to me. I also like that zines can feature very radical and free content. From the beginning I felt a part of an encouraging DIY / riot grrrl / zinester subculture which was very motivating.

What is the first zine you ever fell in love with?

Definitely “Bunnies On Strike”. It was full of support for feminist struggles, animal rights, DIY subculture, and riot not diet messages so of course I immediately connected to it. And what a great title! Bunnies On Strike was also the name they used for their radical cheerleading team, punk band, DIY events, and the collective behind all of this. Wow, I miss those days…

A zine you would recommend because it deals with issues you care about

There are too many zines I could list here but I’ll choose “Scorpio Moon” because every single issue always amazes me. The topics the author Jade writes about range from autism to anarchism, witchcraft to self-care, and relationships to finding a home. I can relate a lot to what they write about, have learned from their beautiful writings, and have found inspiration and affirmation in them.

Zine related places you visited or want to visit in the future? Tell us why!

Firstly: the Archiv of course! And also Housmans, a radical bookshop in London, the anarchist infoshop at 56a in London, and Fort Van Sjakoo, an anarchist bookshop in Amsterdam. I’ve also enjoyed spending time at the Salford Zine Library and the Manchester Queer Zine Library. The anarchist centre in Ghent where I live has a library with a great selection of zines too and I should really go check it again soon because it’s been a while since I was last there. One day I’d love to visit the distro shop of Portland Button Works but I’m so sad I missed the chance to see their former place before hey moved out because it included an amazing indoors tree house/reading nook. I’m also curious to see the Schikkimikki zine distro and library in Berlin!

What projects are you involved in besides publishing zines?

I’m in a feminist band called Lavender Witch. We’re releasing our first album called “Awakening” in July which I find super exciting. I make music on my own too as Lost Luna, do some (home-recording) music projects with friends (one started during the lockdown), and have recently started recording songs with my former band mates of Vangina Dentata again.I’m also a member of the feminist collective FEL in Ghent but at the moment we’re taking a break. Get in touch though if you’re interested. The Tweede Sekse Voorbij blog by FEL is still active and I use it to post about zines and other feminist stuff. Related to zine-making… I draw a lot and make illustrations as a freelancer, often for feminist or queer projects.

A collaboration you are dreaming about?

I hope Fliss of the zine “Athemaura” (which I also recommend to check out, it’s a beautiful perzine) and I can one day do a split zine. We have been brainstorming about writing about being librarians and about the importance of libraries in these times of horrible austerity measures. She also suggested organising a zine reading some day which sounds very exciting (though I’ll be sooooo nervous). I’d love to do more panel discussions with other zinesters in the future because I love sharing ideas about the politics of self-publishing and DIY media and I also hope to do some more research on these same topics, maybe for a feminist archive or in collaboration with other autonomous media activists.

What would you be more interested in? A zine about cats or dogs?

Cats!!!! I’m a total cat lover but am unfortunately also allergic (to cats and dogs and bunnies as well). So I stick to stuffed animals at the moment… and to zines about cats. Did you know this wonderful website? https://zinecats.tumblr.com

A zine about your teen crush would be about?

A little while ago I wrote a fanzine about guitarist Yngwie Malmsteen in which I wrote about the complexity of queer crushes. Is it a crush or just admiration? Do I want to be with them, be friends with them, or BE them? These questions remain…

I didn’t have many fan crushes before my mid/late teens (except maybe football player Josip Weber) but once I got into music that changed a bit. I think I’d choose Donna Dresch who just seems like an overall cool person as she played bass and guitar in Team Dresch, ran her own record label Chainsaw Records, and used to write a zine called Chainsaw. Team Dresch was also the perfect lesbian band for me with their romantic dyke love songs, queer politics, and their cool butch/androgynous/sporty looks. They even started a self-defense project called Free to Fight that put out a CD with self-defense tips and queer music and spoken word and Team Dresch included self-defense lessons at their concerts too. So yeah, very crush-worthy for teenage me as well as current me!

Which fellow zinester would you rob a bank with and why?

Haha, this is a great question. 😀 But I think I should keep this a secret! 🙂

Your life motto or a message you want to share

I’ve had this quote by Simone de Beauvoir as my email signature for years now: „Change your life today. Don’t gamble on the future, act now, without delay.“ Still very relevant today and it’s not only about making the most of my day for my own wellbeing but also about trying to make some change happen in the world around me. Not easy but so very necessary. It can also be applied to DIY media: go make a zine now, don’t wait for others to do it for you!

Thank you Nina for taking the time and all the great answers!

„Viva Boumann‘s, Boumann‘s viva viva“

Jakob Warnecke
„Wir können auch anders“.  Entstehung, Wandel und Niedergang der Hausbesetzungen in Potsdam in den 1980er und 1990er Jahren
Be.bra 2019
286 Seiten
34€

Wann immer sich die legendäre und mittlerweile aufgelöste Potsdamer Band „Lex Barker Experience“ für eines ihrer seltenen Revival-Konzerte noch einmal zusammentut, macht sich im Publikum eine nostalgische Stimmung breit, die vor allem beim Song „Viva Boumanns“ ihren Höhepunkt erreicht. „‚Wir können auch anders‘ – Entstehung, Wandel und Niedergang der Hausbesetzungen in Potsdam in den 1980er und 1990er Jahren“ von Jakob Warnecke hilft zu verstehen, was es damit auf sich hat.

In seiner in Buchform erschienenen Dissertation geht Jakob Warnecke den Hintergründen und Entwicklungen der Hausbesetzer*innenszene in Potsdam von seinen Anfängen in den 1980er Jahren bis zum Niedergang ab den 1990er Jahren nach. Dafür hat er unter anderem auch im Archiv der Jugendkulturen recherchiert. Die Wurzeln der Bewegung sieht er in schon zu DDR-Zeiten illegal genutzten Wohnungen und in der alternativen und oppositionellen Szene der DDR. Besonders spannend sind dabei unter anderem die Überschneidungen mit politischen und jugendkulturellen Gruppen und (Sub-)Kulturen: So wurde die erste öffentliche Hausbesetzung im Dezember 1989 von der Antifa Potsdam initiiert. Diese hatte sich bereits 1987 als Reaktion auf den Überfall von Neonazis auf ein Konzert in der Berliner Zionskirche gegründet. Überscheidungen ergaben sich aber auch mit der örtlichen Punk- und Gothicszene, Fußballfans des Vereins Babelsberg 03 und der „Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär“. Die Hausbesetzer*innenszene war darüber hinaus aber auch Spiegel gesellschaftlicher Problemlagen, beschreibt Warnecke: Die Zusammenarbeit zwischen den ost- und westdeutschen Besetzer*innen war nicht immer konfliktfrei, das Geschlechterverhältnis unausgewogen. Als Reaktion auf den szeneinternen Sexismus versuchte im Juni 1995 eine „Lesben/Frauen-Gruppe“ ein reines Frauenprojekt zu gründen, scheiterte jedoch an der städtischen Politik und einem Angriff von Neonazis.

Insgesamt zeigt Warnecke, dass die Hausbesetzungen immer auch Ausdruck und Mittel einer Auseinandersetzung um Raumaneignung und -definition darstellten. Die besetzen Häuser waren dabei einerseits Zielobjekte von und Schutzräume vor Neonazis, die vor allem zu Beginn der 1990er Jahre versuchten die Potsdamer Innenstadt zu dominieren. Gleichzeitig stießen die Besetzer*innen immer wieder Diskussion rund um die Frage an, wem eigentlich die Stadt gehöre. Da große Teile der Verantwortlichen in der Politik vor allem daran interessiert waren die „Barockstadt“ Potsdam für Investor*innen attraktiv zu machen. Es kam zu einer systematischen Verdrängung alternativer Kultur- und Wohnprojekte aus der Innenstadt. Gleichzeitig galt Potsdam in den 1990er Jahren mit über 70 Hausbesetzungen seit 1989 und zeitweise bis zu 30 besetzen Häusern gleichzeitig als „Hauptstadt der Hausbesetzer*innen“.

Und doch: Als die Bewohner*innen des „Boumann’s“ im Juni 2000 wegen eines Zimmerbrandes ihr Haus verließen, hinderte die Polizei sie daran das Objekt nach der Löschung wieder zu betreten. Mit dem Boumann’s verschwand damit nicht nur ein seit 16 Jahren existierendes Projekt, sondern auch das letzte öffentliche Hausprojekt mit Kneipe und Konzertbetrieb aus der Innenstadt. Noch einmal kam es zu einer großen Protestwelle, in dessen Folge bis zu 150.000 DM Sachschaden entstanden und „Lex Barker Experience“ ihren Protest mit „Viva Boumann’s“ vertonte. Doch der Protest scheiterte genauso wie die Bemühungen der Besetzer*innen das Haus zu kaufen. Ein Kapitel der alternativen Szene Potsdams schloss sich.

Jakob Warneckes Buch zeichnet kenntnisreich und detailliert die Geschichte der Potsdamer Hausbesetzer*innen nach. Einzig der akademische Sprachstil und der, für eine wissenschaftliche Arbeit obligatorische Theorieteil zu Beginn des Buches erschweren den Lesefluss an einigen Stellen. Übrigens: Auch heute lassen sich in Potsdam noch Spuren der „Hauptstadt der Hausbesetzer*innen“ finden: Einstige Ausweichprojekte brechen bis heute in ihrer Fassadengestaltung mit dem barocken Pastellgelb der sie umgebenen Häuser oder tragen über Transparente politische Botschaften in den Stadtraum. Im „Archiv“ finden bis heute Punk-Konzerte statt, auch wenn die angrenzende Speicherstadt Luxus-Eigentumswohnungen beherbergt. Das „Waschhaus“ hat sich von einem besetzen Haus zu einem etablierten Kulturstandort entwickelt. Und auch heute noch werden in Potsdam (größtenteils erfolglos) Häuser besetzt. An vielen anderen Stellen finden sich jedoch keine Erinnerungen mehr an die bewegte Geschichte der Häuser: Wo einst buntes Chaos blühte, herrscht heute barockes Pastellgelb.

Almut D.

#archivbleibt: Nutzer*innen über unser Archiv

Im Rahmen unserer GoFundMe-Kampagne „Mehr als nur die halbe Miete?- Hilf dem Archiv der Jugendkulturen in Kreuzberg zu bleiben“ haben viele tolle Menschen uns mitgeteilt, was sie an unserem Archiv schätzen. Das sagen Nutzer*innen über unser Archiv. Vielen Dank an Tom Smith für dieses tolle Statement. Sowas freut uns natürlich sehr!

Dr. Tom Smith is Lecturer in German at the University of St. Andrews and an AHRC/BBC New Generation Thinker.

„Das Archiv der Jugendkulturen hat nicht nur eine der besten Sammlungen an Materialien zur deutschen und internationalen Techno-Szene, sondern es ist auch mit das freundlichste und nachkommendste Archiv, in dem ich gearbeitet habe. In meiner Forschung beschäftige ich mich mit marginalisierten Stimmen der frühen Techno-Szene, und ich war vier Wochen im Archiv. Ich habe mich stets wohl gefühlt, und mein Projekt wäre ohne die Zusammenarbeit und Gespräche der Kolleg_innen unmöglich gewesen. Vor allem die Vielseitigkeit der Bestände ermöglichte es mir, ein Bild der Techno-Szene als kulturell diverses und international vernetztes Umfeld zu konstruieren.

Das Weiterbestehen des Archivs ist jetzt leider gar nicht mehr sicher. Das heißt, dass wir, die wir uns für Jugend- und Subkulturen interessieren, uns engagieren müssen. Wenn jede_r, der/die die Bestände verwendet, oder der/die dem Archiv über Facebook oder Twitter folgt, kurz die Zeit nehmen könnte, die Kampagne zu teilen und eine Spende zu geben, wäre die Zukunft des Archivs sichergestellt. Also los!

Hier gehts zur Kampagne: https://www.gofundme.com/f/jugendkulturen

Unser Kampagnenvideo:

https://www.youtube.com/watch?v=4xTp_zqYneA&feature=emb_logo

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„The Archive of Youth Cultures isn’t just one of the best collections on techno, it’s also one of the friendliest and most accommodating archives I’ve used. As part of my work on marginalised voices in the techno scene, I spent four weeks in the archive. I felt very much at home, and my project would have been impossible without the conversations and assistance of colleagues in the archive. The archive’s wide-ranging collections were especially important for my attempts to construct a more diverse and international image of the techno scene.

But the archive’s future is uncertain. Those of us with an interest in youth culture and subcultures have a duty to act. If everyone who’s used the archive, or who follows it on Facebook or Twitter, took a moment to share and donate to the campaign, we could secure the future of this fantastic resource. So what are you waiting for?!

The campaign link: https://www.gofundme.com/f/jugendkulturen

Our campaign video: https://www.youtube.com/watch?v=4xTp_zqYneA&feature=emb_logo

Dr. Tom Smith is Lecturer in German at the University of St. Andrews and an AHRC/BBC New Generation Thinker.

Getting ready for Queer History Month 2020

Seit 2019 ist das Archiv Träger des Queer History Months in Berlin. Der Monat wird bei uns von unserer Kollegin Giuseppina koordiniert. Sie ist seit vielen Jahren unsere Ansprechperson im Archiv für queerfeministische Themen.

Queer History Month in Berlin

Jedes Jahr im Mai gibt es im Rahmen des Queer History Month in Berlin viele kostenlose Workshops, Fortbildungen und kulturelle Veranstaltungen für Jugendliche und Erwachsene zu queerer Geschichte und Gegenwart. In dem Netzwerk des Queer History Month sind queere Museen, wie das Schwule Museum, queere Archive, wie der Spinnboden Lesbenarchiv, LSBTIQ*-Bildungsprojekte wie Queerformat, ABqueer und Diversity Box sowie queere Aktivist*innen vertreten. Gefördert wird der Queer History Month von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.

Was findet 2020 in Berlin statt?

Derzeit befindet sich Giuseppina mit vielen Kooperationspartner*innen in der finalen Abstimmungsphase der Veranstaltungen. Nur soviel an dieser Stelle, es gibt Vernetzungsangebote für queere Lehrkräfte, Empowerment-Workshops zu Sprache und Stimme, Performances, Ausstellungen und noch vieles mehr.

Bestätigt ist u.a. bereits diese Veranstaltung, organisiert vom Lernort Keibelstraße. Die Filmvorführung „Warum wir so gefährlich waren
– eine Lesbengruppe in der DDR“ plus Zeitzeuginnengespräch am 12.Mai ab 16.30. Anmeldungen sind aufgrund begrenzter Raumkapazitäten (ca. 30 Personen) erwünscht unter: anmeldung@keibelstrasse.de

Im Dokumentarfilm erzählen vier Frauen von den zahlreichen Versuchen der Ostberliner Gruppe „Lesben in der Kirche“ (LiK), von 1984-1986 an den Gedenkveranstaltungen im ehemaligen Frauenkonzentrationslager in Ravensbrück teilzunehmen. Die Lesbengruppe widmete sich u.a. in den 1980er Jahren dem Anliegen, das Schicksal von im Nationalsozialismus verfolgten lesbischen Frauen sichtbar zu machen und ihnen öffentlich zu gedenken. Der DDR-Staat reagierte mit Repression. Die Protagonistinnen berichten von den Ereignissen rund um die Gedenkveranstaltungen, insbesondere 1985, und kommen auf die damaligen Ziele und politischen Motivationen der 11-köpfigen Gruppe zu sprechen. Dabei sprechen sie auch darüber, wie es war, in der DDR als Lesbe aufzuwachsen und wie sie gegen Diskriminierung und Unsichtbarmachung vorgingen.
Im Anschluss wird es ein Zeitzeuginnengespräch mit Bettina Dziggel geben, Mitgründerin des Homosexuellen Arbeitskreises Berlin/Lesben in der Kirche. Heute arbeitet und lebt sie in Berlin.

Eine Veranstaltung für Jugendliche, Lehrkräfte und Interessierte im Lernort Keibelstraße im Rahmen des Queer History Months.

Barrierefreiheit: Der Veranstaltungsort ist gut mit dem Rollstuhl bzw. für Menschen mit Bewegungseinschränkungen erreichbar, allerdings gibt es kein Blindensystem und da es sich um einen Film ohne Untertitel handelt, ist die Veranstaltung auch nicht für Gehörlose geeignet.

Ihr wollt euch beteiligen?

Egal, ob mit eigener Veranstaltungsidee oder als Schüler*innengruppe, die gerne zu queeren Themen arbeiten möchte, meldet euch gerne bei Giuseppina info@queerhistory.de

Mehr Infos auch hier:

https://www.facebook.com/queerhistorymonth/

https://www.instagram.com/queer_history_month/

Das war unser 2019

Zineklatsch bei der DruckDruckDruck-Ausstellung in der Galerie am Körnerpark

Generell konnten Archiv und Bibliotheksbereich im Rahmen des Projektes „Pop- und Subkulturarchiv International“ 2019 weitere Schritte auf dem Weg zur Professionalisierung gehen. Wir haben endlich unsere Science-Fiction-Sammlung in einer mehrwöchigen Aktion aus Umzugskartons in archivgerechte Boxen umgepackt und sortiert. Dabei haben wir festgestellt, dass sie weitaus umfassender ist, als wir dachten. Von April bis August haben wir in der DruckDruckDruck-Ausstellung in der Galerie im Körnerpark einen Teil der Ausstellung mitkuratiert und mit Materialien ausgestattet, außerdem waren Exponate von uns unter anderem in der Nineties Berlin und der c/o Berlin zu sehen. Ein weiterer Schwerpunkt im letzten Jahr war die Vernetzung des Archiv- und Bibliotheksbereichs, so etwa beim Workshop der Archive von Unten, den wir in diesem Jahr ausgerichtet haben, beim Besuch der Konferenz „Building the Scenes“ in Prag oder beim Treffen der queeren Archive, Bibliotheken und Sammlungen in Wien (QueerSearch).

rbeiten am Bestand: Unsere spannende und umfangreiche Plakatsammlung

Im Rahmen des Digitalisierungsprojektes „Y-KLRMPFNST verständlich gemacht!“ wurde die vierte Ausgabe des West-Berliner Punk-Fanzines Y-KLRMPFNST von 1980 in Form einer Digitalen Edition umfassend online verfügbar gemacht. Diese enthält erläuternde Informationen und Kontextdokumente zu den Fanzine-Inhalten, Links zu Online-Ressourcen und Verweise auf vertiefende Literatur und Quellen. Die Digitale Edition integriert das Faksimile des Originals, die Transkription sowie die XML-basierte Auszeichnung des Textes und ermöglicht die Volltextrecherche im Fanzine. Darüber hinaus wurden szenerelevante Personen, Gruppen, Orte und Ereignisse markiert, erläutert und in ein Glossar aufgenommen.

Das Panel mit Diversity Box-Referent*innen auf der Abschlussveranstaltung im Refugio Berlin

In letzten Projektjahr konnte unser Projekt „Diversity Box“ nochmal viele Workshops und Projekttage mit Jugendlichen realisieren, wie im Dezember 2019 an der Leonardo da Vinci Schule in Berlin. Dort fanden 7 Workshops zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Kontext von Comic, Fanzine, Video, Fotografie, Rap/ DJing, Kreatives Schreiben, Graffiti/Streetart  statt. Darüber hinaus gab es die Abschlussveranstaltung „Und ihr habt sie doch!“, bei der 5 Jahre queere Bildungsarbeit in Stadt und Land rekapituliert sowie die Herausforderungen und Barrieren in der nachhaltigen Arbeit zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt diskutiert wurden. Wir danken allen am Projekt beteiligten Menschen, Schulen und Jugendeinrichtungen, die diese 5 Projektjahre zu etwas ganz Besonderem für unsere Projektverantwortlichen Giuseppina, Saskia und Vicky gemacht haben. Wir freuen uns nun auf neue Projekte und Aufgaben, wie z.B. den Queer History Month in Berlin (http://www.queerhistory.de)

Das Culture on the Road-Team bei Projekttagen in Hoya/Niedersachsen

Außerdem waren wir auch im Jahr 2019 wieder in 15 Bundesländern mit unseren Bildungsangeboten zu Jugendkulturen und Diskriminierungen unterwegs und haben mehr als 150 Veranstaltungen mit mehr als 2000 Jugendlichen und Erwachsenen realisiert. Unsere Ausstellung „Der z/weite Blick“ war an rund 20 Orten, untern anderem auf dem Deutschen Präventionstag in Berlin und auf dem Evangelischen Kirchentag in Dortmund, zu sehen. Rund 30 Szeneninitiativen haben sich im Sommer über bedrohte Freiräume ausgetauscht und vernetzt. Im Dezember haben wir auf unserer fünften Résumétagung in Fachvorträgen und einem Panel mit Szenengänger*innen über die Bedeutung von Jugendkulturen für die politische und kulturelle Bildung debattiert. Ergebnissen aus fünf Jahren Strukturentwicklungsförderung im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ sind in unserer Broschüre „Jugendkulturen und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – Strukturen festigen, Wirkung entfalten“ dokumentiert. Die Broschüre und weitere Ergebnisse aus dieser Förderung sind im Archiv erhältlich oder können auch kostenlos unter  https://www.jugendkulturen.de/publikationen.html heruntergeladen werden. 

Unser Umzug steht bevor in 2020

2020 wird ein Jahr voller Herausforderungen für uns. Denn wegen dem bevorstehenden Umzug und dem Wegfall von Fördermitteln fehlen uns 45.000€ um unsere Miete zu bezahlen. Supportet uns gerne, entweder hier: https://www.gofundme.com/f/jugendkulturen, hier: https://www.betterplace.org/de/projects/4563-unterstutze-das-archiv-der-jugendkulturen, via PayPal: archiv@jugendkulturen.de oder Kontoverbindung: Archiv der Jugendkulturen, GLS Bank, IBAN: DE46 4306 0967 1124 0712 01

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Kurz vorm Jahresende und keine Ahnung, wohin mit deiner Spende???



Du siehst die Bibliothek vor lauter Büchern nicht? Spende für den Erhalt von sub-und popkulturellen Erzeugnissen und hilf uns zudem in Kreuzberg zu bleiben.
Spenden kannst du entweder über Paypal: archiv@jugendkulturen.de, per Kontoverbindung an: Archiv der Jugendkulturen, IBAN: De46430609671124071201 oder über unsere GoFundMe-Kampagne https://www.gofundme.com/f/jugendkulturen

Mehr als nur die halbe Miete

Hilf dem Archiv der Jugendkulturen in Kreuzberg zu bleiben!

Das Archiv der Jugendkulturen ist das Gedächtnis der Szenen, von Science-Fiction über Gothic und Graffiti bis hin zu Punk, Riot Grrrl und Techno. Staatliche Einrichtungen sammeln diese widerständigen Geschichten kaum, deshalb ist ein selbstorganisiertes Archiv wie unseres einmalig. Wir sind eine wichtige Anlaufstelle für Menschen aus Jugend-und Subkulturen, Aktivismus, Wissenschaft, politischer Bildung und Geschichtsvermittlung. Doch unsere finanzielle Situation ist schwierig. Wir sind zum Großteil von Fördergeldern abhängig und arbeiten immer wieder auch unter prekären Bedingungen – personell wie finanziell.

Im kommenden Jahr stehen wir vor einer großen Herausforderung: Wir müssen umziehen. Denn der Hof, auf dem wir seit über zwanzig Jahren zu Hause sind, wurde verkauft. Wir können zwar auf dem Gelände bleiben und sogar in größere Räumlichkeiten ziehen, aber unsere Mietkosten werden steigen. Gleichzeitig stehen uns nächstes Jahr weniger Fördergelder zur Verfügung. Uns fehlen insgesamt 45.000 Euro, um unsere Miete in 2020 zu bezahlen. Das ist eine Riesensumme. Deshalb brauchen wir jetzt deine Hilfe.

Spende jetzt für das Archiv der Jugendkulturen und hilf, unsere Räume in Kreuzberg für die Zukunft zu sichern!

Nirgendwo in Europa werden diese Schätze in öffentlichen Einrichtungen gesammelt: Ob Nachlässe von Punks, Dokumente aus der Hausbesetzer*innenszene, Plakate von Goth-Konzerten, Fotos von Raver*innen auf der Loveparade, Kunst aus der Graffiti-Szene oder queerfeministische Zines. Es braucht ein selbstorganisiertes Archiv, das diese subkulturellen Schätze sammelt, ihre Geschichten erzählt und für künftige Generationen bewahrt. Wenn wir es nicht machen, geht dieses Wissen verloren.

Wir brauchen deshalb jetzt deine Hilfe, um unsere Arbeit weitermachen zu können. Spende jetzt für das Gedächtnis der Szenen!

Wildes Düsseldorf

ar/gee gleim / Xao Seffcheque & Edmund Labonté (Hrsg.)
Geschichte wird gemacht. Deutscher Underground in den Achtzigern
Heyne Hardcore 2019
244 Seiten, inklusive CD mit 7 Songs
30€

Prolog:
Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran!
Spacelabs fallen auf Inseln, vergessen macht sich breit, es geht voran!
Berge explodieren, Schuld hat der Präsident, es geht voran!
Graue B-Film-Helden regieren bald die Welt, es geht voran! 
(Fehlfarben – Ein Jahr, es geht voran)

Acover.jpgr/gee gleim wurde 1941 in Düsseldorf unter dem Namen Richard Gleim geboren, bekannt wurde der gelernte Gärtner vor allem für seine Fotografien, die ab Ende der 1970er Jahre im Umfeld der aufkeimenden deutschen Punk- und New-Wave-Szene entstanden.

„Ich habe mal eine Ausstellung namens ‚Wildes Düsseldorf’ gemacht, in der ich Bilder von ausschließlich wild vorkommenden Pflanzen in der Stadt gezeigt habe. Doch das Publikum hat nur Blümchen gesehen und dem Aussteller war das nicht politisch genug. Immer wieder dasselbe. (…) Als Gärtner steht man außerhalb dieses Schlachtfeldes und versucht, ein Verständnis für die Vielfalt und Größe des Daseins zu vermitteln. (…). Also bin ich nach wie vor Gärtner und das vor dem Fotografen.“

Die Herausgeber von Geschichte wird gemacht, Xao Seffcheque und Edmund Labonte,  waren selbst in den 1980er Jahren im und um den Düsseldorfer Ratinger Hof – dem Zentrum der Punk- und New-Wave-Szene der Modestadt – aktiv. Ein Besuch beim größten Bücherversand der Welt gibt uns erste Orientierung, um was es hier gehen könnte:

18. März 2019 2,0 von 5 Sternen Hier sehen die frühen 80er langweiliger aus, als sie waren!

8. März 2019 1,0 von 5 Sternen Gefällt mir nicht  Das Cover finde ich nicht ansprechend. Hätte mir mehr Farben gewünscht.

244 Seiten ermöglichen dem Rezensenten 122 mal umzublättern. Dabei begegnen ihm 200 imposante und teilweise zuvor unveröffentlichte Schwarzweiß-Fotos aus dem Ouevre von ar/gee. Er selbst unterstützt die Bilder mit kleinen Anekdoten. Er erinnert sich in kurzen, fotografisch anmutenden Blitzlichtern an seine nicht-heimlichen Aufnahmen der vermeintlichen Residents am Bahnhof in Frankfurt, an Aufnahmen von Nico, Julie Jigsaw und Johnny Thunders. Ar/gee war dabei nicht nur in seiner Heimatstadt Düsseldorf unterwegs, auch in Wuppertal, Hamburg und Berlin fungierte er als Kronzeuge des nahenden Untergangs – die Achtziger, No Future, der Rest ist Geschichte. Bilder von frühen Auftritten der Ärzte und der Toten Hosen wechseln mit wirklich eindrücklichen Bildern vom Auftritt der amerikanischen Skandal-Band The Plasmatics im Metropol Berlin 1982. Geschichte wird gemacht und schon geht es weiter mit Aufnahmen von Östro 430, Abwärts, S.Y.P.H. oder den Einstürzende Neubauten. Dazwischen zeigen Bilder vom gelangweilten oder erstaunten Publikum im Ratinger Hof oder beim Hagener New Wave Festival 1980, dass die Szene nicht nur aus den neuen Stars auf der Bühne bestand.

Zwischen den Fotographien Spalten voller Buchstaben: 15 Essays von Musiker*innen, Journalist*innen und Autor*innen erzählen ganz eigene Geschichten von einem jeweils ganz eigenen Universum. Zeitzeugen wie Peter Hein (Fehlfarben / Family*5) und Hans Nieswandt wechseln sich ab mit später geborenen wie Miriam Spies, Katja Kullmann und Hendrik Otremba (Messer). Der Blick wechselt mit jedem Essay, aber die Message bleibt gleich. Es ist immer eine Zeitreise ins eigene Ich, die die Autoren unternehmen. Eine sehr persönliche Reise zum Erweckungsmoment, dem Jahr der Kontaktaufnahme oder dem Culture-Clash mit der „normalen“ Welt.

„In Friedrichshafen kam der Punk so richtig im Jahr 1979 an. (…) Ohne die Fotos von ar/gee und anderen (…) hätten wir gar nicht gewusst was wir anziehen sollen“ beginnt Hans Nieswandt seinen Essay über Kleidungs- und Haarfragen. Wolfgang Zechner bringt es für sich so auf den Punkt: „DAF haben den Schalter in meinem Kopf umgelegt, haben mein Gehirn neu formatiert“. Hendrik Otremba, Mastermind der neu-modernen Münsteraner Band Messer widmet sich dagegen Genesis P-Orridges dunklen Künsten. P-Orridges Band Throbbing Gristle („pochender Knorpel“, in der Umgangssprache von Yorkshire die Bezeichnung für einen erigierten Penis) war stilbildend für das spätere Genre Industrial. Katja Kullmann wiederum geht in eine Art Gespräch mit sich, dem Auftraggeber Seffcheque und dem Publikum. Ganz anders wird es wieder bei Frank Spilker, Sänger von Die Sterne. Spilker erinnert sich an sein ganz eigenes 1982 und seine enttäuschende Feststellung zu spät geboren zu sein: „Wir sind die, die es nicht mehr genauso machen können, wie die, die uns fünf Jahre zuvorgekommen sind. Wir sind gezwungen etwas neues zu machen.“

Am Ende dieser Geschichte gibt es dann den Soundtrack unserer Vergangenheit. Die Ärzte, Family*5, Palais Schaumburg, Andreas Dorau, Östro 430, Der Plan und The Wirtschaftswunder finden sich mit jeweils einem Titel auf einer beiliegenden CD. Stilecht wäre dagegen wohl eine 7“Single gewesen.

Am 16. Juli diesen Jahres ist ar/gee in Düsseldorf gestorben und dieser Fotoband wirkt nun wie sein Vermächtnis. Ich danke Xao Seffcheque, Edmod Labonte und vor allem ar/gee für dieses Buch.

Aber lassen wir ar/gee doch selbst sprechen:

Gnogongo.de: Publiziert am 22. März 2019 von ar/gee: Mir fällt auf, dass in fast allen Rezensionen zum Buch der Ratinger Hof im Mittelpunkt steht. Dabei ist nicht mal ein Viertel der Bilder dort entstanden. Auch damals war die Welt größer.

Epilog:
Bilder von früher
Um ganz ehrlich zu sein
Bitte zeigt sie mir nicht mehr
Menschen machen Fotos gegenseitig
Zu beweisen dass sie wirklich existierten
Auf Nummer sicher zu gehen dass sie da sind

(Goldene Zitronen – Menschen machen Fotos gegenseitig)

Jimi NoMore

Zine of the Week: Fleisch mit weißer Soße #August2016

Es ist International Zine Month! Zeit für einen Einblick in die Fanzinesammlung des Archivs der Jugendkulturen, in der sich inzwischen mehr als 20.000 Einzelhefte befinden. Heute rezensiert Giuseppina Lettieri aus dem Team Diversity Box.

Das Zine „Fleisch mit weißer Soße“ ist im August 2016 erschienen und eigentlich längst überfällig mal von unserer Seite rezensiert zu werden. Allein der Titel irritiert mich schon seit langem, weil er mehr Rätsel aufgibt als wirklich Hinweise zum Inhalt des Zines- jedenfalls für mich. Nach dem ersten Lesen ist immerhin das etwas klarer. Es geht um Sexarbeit oder besser gesagt um einen persönlichen, wenn auch sehr fragmentarischen Einblick in das Leben einer Person, die im Puff arbeitet.

Und was dann in diesem 14 Seiten dünnen Zine folgt, erinnert ein kleines bisschen an William S. Burroughs „Naked Lunch“ vom Stil, sprachlich jedoch ehrlicherweise eher an Tagebuch-Einträge. Gedanken, scheinbar wahllos aufeinanderfolgend, geben Einblicke in Lebensmomente aus dem August 2016: das konfliktive WG-Leben, unangenehme U-Bahn-Situationen, Migräneanfälle, depressive Phasen und ein erster Hinweis auf den ausgeübten Beruf als Sexworker. Immerhin ist das der längste Text in dem Zine und füllt eine ganze DIN A 6-Seite.

Vom Zine zum Buch

Da das Zine dahingehend nur diesen einen Vorgeschmack zum Thema Sexarbeit zu bieten hat, habe ich auch das gleichnamige Buch von Christian Schmacht, erschienen im Dezember 2017, gelesen. Cut and Paste als künstlerisches Stilmittel durchzieht auch die 105 Seiten des Buches. Auf dem Klappentext wird nun der Kontext geliefert, der dem Zine fehlte. Dort steht:

Christian Schmacht, durch seine Skandalkolumnen für das Missy Magazine bekannt geworden, schreibt in seiner autobiografisch inspierten Novelle über einen jungen transgender Mann, der als Frau verkleidet in den Bordellen Berlins anschafft.

Und sicherlich weiß auch ich durch die Kolumne in der Missy sowie durch die Social Media-Accounts von Christian Schmacht mehr über das Leben als Sexworker, über Körper-und Identitätsfragen, Konsum und das politisches Selbstverständnis des Autors. Mehr als mir manchmal lieb ist sogar, um ehrlich zu sein. In dem Buch beschreibt Christian Schmacht, warum Schreiben und sich der Welt mitteilen eine heilsame Wirkung hat und es nach dem eigenen Selbstverständnis nicht darauf ankommt, ob andere das hören oder lesen wollen:

Schreiben heißt: Ich existiere. Ich schreibe für mich, weil ich will und manchmal weil ich muss; um mich selbst zu erhalten. Oder zu halten. Ich habe mit meinen gedanken eine geschwindigkeit erreicht, mit der andere nur manchmal klarkommen.

Schreiben als Existenz- bzw. Daseinsberechtigung. Denn: Representation matters.

Sexarbeit ist Arbeit oder auch über die Banalität der Sexarbeit im Kapitalismus

Niemand hat sex außerhalb vom kapitalismus, aber darüber wollen viele gern hinwegsehen. bei liebe und sex denken sie, das ist so ursprünglich, das gehört mir, egal wie entfremdet ich sonst bin. Aber das ist nicht wahr und wir sexworker stoßen sie darauf, mit unserer bloßen existenz und das mögen sie nicht.

Das Sexarbeit Arbeit ist, ist in den queerfeminitischen Kontexten, in denen ich mich bewegen, nichts Neues, aber meine Berühungspunkte mit dem Thema waren bisher immer analytischer nicht persönlicher Natur. Ich habe keine Freund*innen, die Sexarbeit machen und beziehe meine Einblicke aus Aktivismus und Popkultur. Die Aktivistin Sylvia Rivera, Transfrau of Color, hat meinen Aktivismus vor einigen Jahren, als ich sie viel zu spät als zentrale Figur der Stonewall-Riots eher per Zufall entdeckte, seitdem stark geprägt. Und mit der Serie Pose stehen zum ersten Mal hauptsächlich BPoC Transfrauen im Mittelpunkt der Geschichte und geben Einblick in das New York der 80er und 90er Jahre, wo Sexarbeit einfach mit zum (Über-) Leben gehörte.

White Privilege

Geht es bei Pose und in den Interviews von Sylvia Rivera im STAR-Zine jedoch eher um die Adressierung struktureller Benachteilungen, wie Rassismus und Trans*feindlichkeit gegenüber BPoC Transfrauen und Queers, die oft einen sozio-ökonomischen Kosmos schufen, der die Sexarbeit bedingte, so anders ist der Einblick den Christian Schmacht als weiße Person in Deutschland aus den Jahren 2016 und 2017 schildert. Christian Schmacht reflektiert die eigenen Privilegien sehr gut und äußerst sich zudem politisch zu Rassismus, Klassismus, Misogynie und der kapitalistischen Verwertungslogik in der Gesellschaft an sich sowie zu Homo-und Transfeindlichkeit und rechter Gesinnung unter den Freiern und auch den Sexarbeiter*innen im Puff. Das blitzt aber immer wieder nur kurz auf. Zu kurz für mein Empfinden. Davon würde ich lieber mehr lesen. Stattdessen sind die Gedankensprünge und die wilde Aneinanderreihung von Themen (von Schernikau zum Dschungelcamp, von der Fashion Week zu Botox bis zum G20-Gipfel in Hamburg) das, was für mich am prägnantesten hängen bleibt. Das soll auch alles gar nicht kohärent sein, glaube ich, sondern Einblicke in die diffuse Gedankenwelt und das Seelenleben einer jungen weißen Trans*person geben, die zwischen Materialismus und Aktivismus schwankt:

Beispiel geld: Lieber wurde ich sexworker, als wenig geld zu haben und für oder gegen etwas zu kämpfen. Ich wollte teilhaben, am leben, mieten, konsumieren.

Fazit

Dieses Review ist eher ein ganz persönlicher Push aus meiner Komfortzone und lässt am Ende auch eher mehr Fragen offen, statt ein klareres Meinungsbild meinerseits erkennen. Die oft kontrovers geführten Debatten zum Thema Sexarbeit in feministischen Diskursen, lösen sich in meinem Kopf ab mit den kurzweilig verfassten Beiträgen von Christian Schmacht. Eines kann ich an dieser Stelle aber abschließend sagen: Nie habe ich vorher so ehrlich und banal über den Beruf Sexarbeiter*in gelesen, über die Langweile im Puff, wenn bei zu gutem oder zu schlechten Wetter die Freier wegbleiben. Davon geht sogar ein bisschen Faszination aus. Da ist die Frage nach dem Titel fast schon wieder vergessen.

Giuseppina Lettieri

Giuseppina schreibt aus einer cis-weiblichen, queerfeministischen, of Color-Perspektive. Sie leitet im Archiv ein queeres Bildungsprojekt und koordiniert seit 2019 den Queer History Month Berlin.

Zine of the Week: Metal Maidens #31

Es ist International Zine Month! Zeit für einen Einblick in die Fanzinesammlung des Archivs der Jugendkulturen, in der sich inzwischen mehr als 20.000 Einzelhefte befinden. Heute rezensiert Lisa Schug aus dem Team PopSub.

Als ich „Metal Maidens“ auf der Suche nach einem ganz anderen Metal Fanzine das erste Mal in den Händen hielt, war ich baff. “Metal Maidens – The Ultimate Magazine Dedicated to Women in Hard Rock & Heavy Metal“, wie konnte mir das als feministisch interessierter Metalfan bisher entgangen sein?

Ob das Metal Maidens Fanzine bei seinem erstmaligen Erscheinen 1995 wirklich “The Only Magazine with a Heart for Female Rockerz” war, wie es auf dem Cover steht, lässt sich heute nicht mehr sagen. Sicher ist aber, dass es eines der wenigen Zeugnisse des Kampfes für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Metalszene im prä-Social-Media-Zeitalter ist. Denn während Initiativen wie #killtheking, #metaltoo oder das Sycamore Netzwerk heute andere Stimmen hörbar machen und in die Szene intervenieren, tat sich in Sachen Sichtbarkeit für marginalisierte Perspektiven im Metal in der Vergangenheit sehr lange sehr wenig.

Im Archiv der Jugendkulturen gibt es bisher nur eine Ausgabe des niederländischen englischsprachigen Fanzines, das von 1995 bis 2005 erschien und online bis heute als Webseite und Facebook-Seite weiterlebt – Nummer 31 aus dem Jahr 2003. Auf 46 Seiten gibt es das klassische Metal-Fanzine-Programm: Interviews, Plattenbesprechungen, Berichte von Konzerten und eine Übersicht über bevorstehende Tourneen – wohlgemerkt nur von Bands mit mindestens einer Musikerin. Was das genau heißt bleibt weit gefasst, teilweise werden auch Bands rezensiert, die „female guest appearences“ auf ihren Platten haben. Auch genremäßig geht es wild durcheinander von Heavy & Death Metal bis hin zur Punkband The Distillers und einem Album von Pop-Sängerin Shania Twain.

Spannend ist der Blick in die Metalgeschichte in der Kategorie „Back to the Past“. Dort werden Protagonistinnen der 80er Jahre Hard-Rock-Bands „Tough Love“ und „Romantic Fever“ interviewt und schildern ihre Erfahrungen:

„The better [bands] were all female. I played in a couple [of bands] where I was the only woman and in these bands, the guys tended to treat me like their little sister and they were very protective.“

Courtney Paige Wolfe in Metal Maidens #31

Einen kleinen Empowerment-Block hat das Fanzine auch: In der Rubrik „Marjo’s Guitar Techniques“ gibt Gitarristin Marjo Marinus praktische Tipps für’s Tapping: Eine Spielart der Gitarre bei der auf die Seiten getippt wird statt sie zu zupfen. Und nicht zuletzt hat Metal Maidens #31 auch eine Beilage: Zum Heraustrennen liegt ein Wandkalender für das Jahr 2003 mit Fotos der Bands Arch Enemy und Sinergy bei.

Soweit so gut. Tatsächlich macht das Fanzine Lust in einige der vorgestellten Bands reinzuhören und selbst weiter zu forschen. Und doch fehlt mir etwas: Was Metal Maidens #31 nicht thematisiert ist sind Erfahrungen von Ausgrenzung und Marginalisierung, die Frauen und Queers in der Metalszene machen. Generell ist die Ausgabe wenig politisch abgesehen von einigen klugen Antworten auf die obligatorische Frage: „Wie ist es in einer all-female Band zu spielen?“.

“ We wanted to change the idea of women in Metal: „Nice dolls in tight clothes with nice voices and at the utmost [sic] playing some bassguitar.“

Nienke von der Band „Autumn“ in Metal Maidens #31

Das Fanzine bietet zwar eine Plattform für Musikerinnen– stellt aber nicht die Frage danach, warum es in erster Linie an Sichtbarkeit mangelt oder es so wenig Metal Musikerinnen gibt. Auch scheint der Fokus der „Metal Maidens“ bis in die heutige Online-Ausgabe hinein ausschließlich auf Cis-Frauen zu liegen, die fehlende Sichtbarkeit für Trans*-, Inter-, nicht-binären Personen in der Metalszene ist kein Thema.

Und dennoch: das Metal Maidens Fanzine hat in über 10 Jahren und 40 Ausgaben ganz sicher dazu beigetragen Metal-Musikerinnen sichtbarer zu machen und das in einer Zeit, in der es im Metal denkbar wenig Unterstützung für solche Ansätze gab. ist Ein wichtiges Relikt der Metal-Geschichte!

Lisa Schug

Zine of the Week: Bullenpest #5

Es ist International Zine Month! Zeit für einen Einblick in die Fanzinesammlung des Archivs der Jugendkulturen, in der sich inzwischen mehr als 20.000 Einzelhefte befinden. Heute rezensiert Almut, Praktikantin im Team PopSub.

Unter dem programmatischen Namen „bullenpest“ erscheint in den 1980er Jahren ein linksautonomes Blättchen in Göttingen. Laut den Macher*innen handelt es sich um ein „ex-gö-punx-blatt“ und eine „zeitung zur billigung von straftaten“. Die anonymen Redakteur*innen „saustall“ und „radikalinski circus“ weisen im Impressum darauf hin, dass die „verkäufer der bullenpest […] mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit nicht der redaktion“ angehören.

Die fünfte Ausgabe der bullenpest beginnt mit einem Vorwort, das von den alltäglichen Schwierigkeiten des Zinemachens erzählt. Texte werden nicht oder erst kurz vor Redaktionsschluss eingereicht, beim Schneiden gehen wichtige Teile versehentlich verloren, der Hefter gibt den Geist auf und dann auch noch die Razzia im Jugendzentrum. Das Fazit: „ES HAT MAL WIEDER ALLES NICHT GEKLAPPT“. Optisch folgt das Zine dem Schnipsel-Look, wie wir ihn auch aus Punk-Fanzines kennen: Zeitungsartikel werden mit (ausgedachten) Überschriften, Bildern, Zeichnungen und eigenen Texten oder Kommentaren vermischt. Auffällig ist die extrem kleine Schriftgröße, für die sich die Macher*innen im Heft mehrmals entschuldigen.

Inhaltlich geht es zunächst um „Standardthemen“ der Autonomen. Es gibt Solidaritätsbekundungen mit der ETA, Berichte über Häuserkämpfe, Aktionen gegen das Sachleistungsprinzip für Geflüchtete und Aufrufe zum Umtausch von Wertgutscheinen in Bargeld. Neben einem Verriss des Films „Stammheim“ (mit einem Drehbuch von Stefan Aust) finden sich im Heft auch Bekennerschreiben unter anderem zu einem (Brand-)Anschlag auf das vorführende Kino in Göttingen.

Interessant sind aber vor allem die Artikel, die sich mit den Protesten gegen Atomkraft beschäftigen. Das vermutlich im Herbst 1986 erschienene Heft steht dabei noch im Zeichen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Einige Artikel behandeln das breite Protestbündnis vom bürgerlichen bis linksautonomen Spektrum gegen die geplante Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf und die massive Gewalt von Seiten der eingesetzten Polizei. In anderen geht es um das AKW Brokdorf, dass im Oktober 1986 nur wenige Monate nach Tschernobyl in Betrieb genommen wird.

Zusätzlich enthält die Ausgabe einen Erlebnisbericht vom Anti-WAAhnsinns-Festival, das 1986 im bayrischen Burglengenfeld mit bis zu 100.000 Besuchenden stattfindet und auch als deutsches Woodstock Bekanntheit erlangt. Dort positionierten sich renommierte (internationale) Künstler*innen gegen die WAA in Wackersdorf. Der*die anonyme Autor*in übt jedoch scharfe Kritik an der fehlenden politischen Schärfe der dortigen Inhalte und den Abgrenzungsbemühungen vieler Künstler*innen zum militanten Protest und stellt darüber hinaus die Frage nach der Sinnhaftigkeit gewaltfreier Protestformen. Trotz allem trägt dieser Protest in seinen verschiedenen Formen dazu bei, dass der Bau in Wackersdorf drei Jahre später eingestellt wird, die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstäbe aus Kernreaktoren in Deutschland findet nun in Frankreich (La Hague) und Großbritannien (Windscale/Sellafield) statt.

Almut D.

Zine of the Week: Möbiusschleife Vorgestern

Es ist International Zine Month! Zeit für einen Einblick in die Fanzinesammlung des Archivs der Jugendkulturen, in der sich inzwischen mehr als 20.000 Einzelhefte befinden. Heute rezensiert Lisa Schug aus dem Team PopSub.

„Dieses Zine, gemacht von der ATO, die nicht mehr existent ist, da auch das T aus ATO nicht mehr existiert, heißt Möbisusschlaufe [sic], weil es (das Zine) mit Zeit und ihrer Vergangenheit zu tun hat.“ Alles klar? Was von außen anmutet wie ein klassisches Punkfanzine – Illustration, Collage, Xerox-Kopie – ist ein kleines Schmankerl aus der Science-Fiction-Sammlung des Archivs der Jugendkulturen: „Möbiusschlaufe Vorgestern“.

Das nur 18-seitige Zine aus Denzlingen (in der Nähe von Freiburg im Breisgau) wurde von einer Gruppa namens ATO 1993/94 erstellt und redaktionell von Kurt Snietka betreut (der heute offenbar in Denzlingen expressionistische Ausstellungen macht). Es enthält zwei Kurzgeschichten und eine zynische Abrechnung mit dem Gerfandom, also der deutschsprachigen Science-Fiction-Fanszene und ist wegen seiner Auseinandersetzung mit Zeit, Logik und Zukunft auch dieser zuzurechnen.

Highlight ist eine Art absurd-experimentelles Frage-Antwort-Spiel mit dem Titel „Möbiusschleife vorgestern – Sanduntergänge“, in dem eine imaginäre Person in einer Prüfungssituation Fragen wie „Woraus besteht ein Schurwollepullover?“ beantwortet. Richtige Antwort, laut Möbiusschleife vorgestern: Aus Seegras. „[…] die Grenze zwischen tierischer (Schafswolle) und pflanzlicher (Seegras) Herkunft wurde als eine bloß mit dem zeitlichen Entwicklungsstand zugehörige erkannt. Es ist in der Tat eine Frage der zeitlichen Entwicklung, ob es sich um höher- oder niedrig entwickelte Organismen handelt, also eine Frage des zeitlichen Quantums. Quantitative Kriterien sind aber qualitativen Kriterien untergeordet – deshalb ist die Frage korrekt beantwortet.“

Ob die VHS-Version des Zines, die auf der letzten Seite beworben wird, tatsächlich jemals angefordert wurde, kann an dieser Stelle leider nicht beantwortet werden. Allerdings war „das Zine auf den Aufnahmen [auch] nicht lesbar, gezeigt werden die Seiten vor der Heftung als ein Bild.“

Im Rahmen unseres aktuellen Bibliotheks- und Archivprojektes „Pop- und Subkulturarchiv International“ können wir uns endlich intensiver mit unserer etwa 3.000 Hefte umfassenden Science-Fiction Sammlung beschäftigen und finden hoffentlich noch viel mehr solcher herrlich-skurriler Hefte.

Lisa Schug

Hyper! A Journey into Art and Music

Es sind (zumindest für Berliner Clubgänger*innen) bekannte Gesichter, die die Besucher*innen gleich zu Beginn der Ausstellung Hyper! in den Hamburger Deichtorhallen begrüßen: auf großformatigen Portraits von Fotograf und Berghain-Türsteher Sven Marquardt sind seine Türsteherkolleg*innen zu sehen. Dieser Einstieg ist programmatisch, denn bei der Ausstellung spielt Clubkultur als Bezugspunkt für Kunst und Musik eine große Rolle. Das Berghain selbst verbindet schon seit Jahren unterschiedliche kulturelle Sphären miteinander – es ist nicht nur ein Technoclub, sondern Ort für experimentelle Musik, bildende Kunst, Tanztheater und vieles mehr. Auch deshalb finden sich wohl immer wieder Verbindungen zum Berghain: neben Marquardts Portraits ist ein Korkmodell des Berliner Clubs von Philip Topolavac ausgestellt, es sind Arbeiten der Fotografin Frederike von Rauch zu sehen, die in Zusammenarbeit mit dem Berghain-Resident Marcel Dettmann entstanden sind. Von Wolfgang Tillmanns, von dem auch Fotografien in den Räumen des Berliner Clubs zu sehen sind, wird eine breite Auswahl an Musiker*innenportraits gezeigt, darunter Techno-DJs genauso wie Mainstream-Popstars. Es sind viele weitere Bezüge zur Technoszene zu entdecken – von den von Scooter inspirierten Malereien von Albert Oehlen, Fotoarbeiten des Kölner Techno-Urgesteins Wolfgang Voigt (hier das erste Mal in einer Ausstellung zu sehen) bis zu einer großformatigen Fotographie von Andreas Gursky aus dem ehemaligen Frankfurter Technoclub Cocoon.

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Philip Topolovac: I’ve Never Been to Berghain, 2016 © Philip Topolovac/VG Bild-Kunst Bonn, 2019

Clubkultur und Techno sind allerdings nicht die einzigen Bezugspunkte, es findet sich eine große Breite an unterschiedlichen Stilen – u.a. Mainstream-Pop, (Post)-Punk, experimentelle Musik, Klassik und Noise. Sie repräsentieren die persönlichen Perspektiven des Kurators Max Dax, der in der Vergangenheit auch Chefredakteur der Spex und des von der Telekom herausgegebenen Electronic Beats Magazins war. Langjährige Leser*innen dieser (mittlerweile beide als Printmagazine eingestellten) Zeitschriften finden entsprechend vieles wieder, was in diesen diskurspoppigen Magazinen thematisiert wurde. Dazu gehören z. B. Arbeiten von Kim Gordon (Sonic Youth), Michaela Melián (FSK), Wolfgang Müller (Die Tödliche Doris), Christof Schlingensief (Thema ist seine Beschäftigung mit Richard Wagner) oder K Foundation (The KLF). Auch Plattencover (bzw. Material, das für Plattencover genutzt wurde) von u.a. Daniel Richter (für die Goldenen Zitronen), Emil Schult (für Kraftwerk), Thomas Ruff (für Family*5), Cosima von Bonin (für Moritz von Oswald Trio) oder Rosemarie Trockel (für Kreidler) werden gezeigt. Auch wenn sehr unterschiedliche künstlerische und musikalische Kontexte nebeneinander stehen, beliebig wirkt die Auswahl nicht. Die Ausstellung verbindet Pop, sogenannte Hochkultur, Avantgarde und subkulturellen Untergrund und macht deutlich, wie sehr diese kulturellen Bereiche miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig bedingen – und wie produktiv es sein kann, die Grenzen zwischen solchen Kategorien auch in einer Ausstellung zu sprengen.

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Rutherford Chang: We Buy White Albums, 2013 – 2019 © Rutherford Chang

Zu den vielen Highlights der Ausstellung gehört z. B. das Werk „We Collect White Albums“, für das der Künstler Rutherford Chang mehr als 2.000 gebrauchte Exemplare des White Albums der Beatles zusammengetragen hat. Die Alben sind durch den Gebrauch durch die ehemaligen Besitzer*innen zu Einzelstücken geworden, das Kunstwerk spielt mit der Spannung der im Pop üblichen Massenproduktion von Tonträgern und dem in der Kunst zentralen Rolle des einzigartigen Originals. Beeindruckend sind mehrere Videoarbeiten – neben Cyprien Gaillards hypnotisierendem „Nightlife“  und Mark Leckeys Collage subkultureller Tanzstile „Fiorucci made me Hardcore“ insbesondere APEX von Arthur Jafa, in dem der afroamerikanische Künstler im Sekundentakt Hip-Hop-Plattencover, Bilder von Aliens oder auch schwer zu ertragene Bilder von gelynchten Schwarzen aneinander geschnitten hat. Jafa will eine alternative, afroamerikanische (Pop)Kulturgeschichte schreiben, als Soundtrack läuft der brachiale Minimal-Techno-Track „Minus“ des Detroiter Techno-Produzenten Robert Hood von 1994 – ein Track, der bis heute auch im Berghain gespielt wird und eine überraschende Verbindung zum Beginn der Ausstellung schlägt.

9783864422836_0.jpgDer bei Snoeck erschienene Katalog zur Ausstellung enthält Interviews, die Kurator Max Dax mit einem Großteil der vertretenen Künstler*innen geführt hat, und reichhaltiges Bildmaterial. Als Reader und Dokumentation der Ausstellung, die noch bis zum 4. August gezeigt wird, ist er wunderbar geeignet, tiefer in die Verbindungen zwischen Kunst und Musik einzutauchen.

Eine weitere Ausstellung, die sich an der Schnittstelle zwischen Musik und Kunst bewegt, ist im Augenblick in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main zu sehen. In „Big Orchestra“ werden Werke gezeigt, die auch als Musikinstrumente im weitesten Sinne funktionieren. Hier lohnt es sich, auf das Begleitprogramm zu schauen, da diese Werke erst dann wirklich verständlich sind, wenn sie auch genutzt werden können (was im regulären Ausstellungsbetrieb nur vereinzelt möglich ist). Deutlich weniger stark sind hier die Bezüge auf Pop und Subkultur, aber ein bisschen experimenteller Techno ist mit der Installation von Carsten Nicolai vertreten. Auf vier Plattenspieler können auf spezielle Platten gepresste Loops abgespielt und miteinander kombiniert werden. Im Berghain ist Nicolai übrigens auch schon einige Male aufgetreten.

Hyper! A Journey into Art and Music. Deichtorhallen, Hamburg. bis zum 4.8.2019

Big Orchestra. Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, bis 8.9.2019

Max Dax und Dirk Luckow
Ausstellungskatalog Hyper! 
Snoeck 2019
288 Seiten
49,80€
In Deutsch und Englisch erhältlich.

Daniel Schneider

Queere Fundstücke im Queer History Month

Zum Abschluss des Queer History Month, der in diesem Jahr unter Trägerschaft des Archiv der Jugendkulturen von Giuseppina Lettieri, Saskia Vinueza und Vicky Kindl koordiniert wurde, stellen wir euch einige spannende queere Fundstücke aus Archiv und Bibliothek vor.

Den Anfang macht das Fanzine „Alterna TV“ (TV steht dabei für „Transvestite“). Es erschien 1998 und richtete sich in erster Linie an „transvestites, cross dressers, transsexuals“, aber auch an alle anderen interessierten Menschen. Autorin Anna Key gibt in dem Heft, das wie ein klassisches Punk-Fanzine aus Schnipseln, Zeichnungen und Fotos zusammengeklebt ist, praktische Tipps zur Selbstverteidigung oder zeigt, wie Kleidung und Kosmetika günstig beschafft werden können. Mit viel Wut im Bauch kritisiert sie (trans-)sexistische Strukturen und das kapitalistische Wirtschaftssystem. Sehr lesenswert!

Das nächste Fundstück ist sogar preisgekrönt: 1995 gewann Heikes Läspen Comics den Preis des Interessenverband Comic e.V. ICOM. Darin illustriert Heike Anacker, Gründerin des dienstältesten deutschen Comic-Fanzines PLOP – Fanzine, (ihren) lesbischen Alltag ab den späten 1980er Jahren. „Die sporadisch erscheinenden Heftchen sind mal so was wie ein Gruß an alte Bekannte, mal ein erweitertes (verschlüsseltes) Tagebuch, oder der Auftakt zum Austausch über ein Thema, das mich gerade beschäftigt“, sagte sie dem Grrrl Zine Network in einem Interview. Die Comics sind handcoloriert und in einer Auflage von nur 30-100 Stück erschienen.

Ein weiteres Highlight: das US-amerikanische Fanzine „Shotgun Seamstress“ von Osa Atoe. „Shotgun Seamstress is a zine by & for Black PUNKS, QUEERS, MISFITS, FEMINISTS, WEIRDOS and the people who support us. This zine is meant to support Black People who exist within predominantly white subcultures, and to encourage the creation of our own,“ schreibt Atoe in Ausgabe Nummer 2. Die ersten sechs Ausgaben des Zines sind komplett vergriffen, aber 2012 auch als Buch erschienen. Das Buch zeichnet dabei sehr schön die thematische (Weiter-) Entwicklung des Zines nach, von einem Black Empowerment und Visibilty- Anspruch in Bezug auf Bands und Musik in der Punkszene hin zu einem vielschichtigeren Umgang mit Repräsentationsformen in der Gesellschaft, Ausschlußpraxen in der Punkszene und komplexen eigenen Fragestellungen zu Identitätspolitik*en. Mehr als empfehlenswert!

Zum Schluss noch ein Heft, das vor einigen Jahren schon einmal in diesem Blog besprochen wurde, aber nichts an Relevanz eingebüßt hat: „Ring of Fire“ #2 , 1997 in den USA von Hellery Homosex geschrieben und gezeichnet. „This zine promotes queer sex, genderfuck and the advancement of amputees everywhere“ kündigt Hellery gleich auf der ersten Seite an. Ein Jahr vor dem entstehen dieses Zines mussten ihr nach einem Trainhopping-Unfall beide Unterschenkel amputiert werden. Und so geht es in dem Heft um Trauma und darum, wieder laufen zu lernen, aber auch um Dating, Sex und darum eine „slutty dyke femme“ zu sein.

Das war nur ein kleiner Einblick in unsere Sammlung – bei uns vor Ort gibt es noch viel mehr spannendes zu entdecken!